Umbruch im Nahen OstenDamaskus gefallen, Assad geflohen – die wichtigsten Fragen und Antworten zur Lage in Syrien
Was wollen die Rebellen? Wo ist Assad? Wie ist die Lage für Israel? Und was sagt Trump?
Was ist passiert?
Die Rebellen in Syrien haben eigenen Angaben zufolge die Kontrolle über die Hauptstadt Damaskus übernommen und damit das Ende der mehr als zwei Jahrzehnte andauernden Herrschaft von Machthaber Bashar al-Assad eingeläutet. Assad verliess die Hauptstadt am frühen Morgen mit unbekanntem Ziel, wie die Deutsche Presse-Agentur unter Berufung auf syrische Offiziere in Damaskus erfuhr. Die Aufständischen drangen derweil in Damaskus ein und verkündeten die Befreiung der Stadt von Assad. Das Rebellenbündnis kündigte an, die Macht friedlich übernehmen zu wollen.
Derweil teilte die staatliche Armee den Regierungssoldaten mit, Assads Regierungszeit sei beendet. Das Armee-Kommando habe die Soldaten damit ausser Dienst gestellt, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur aus syrischen Militärkreisen. Die Soldaten sollten zu Hause bleiben und würden bei Bedarf wieder zum Dienst gerufen.
Die Aufständischen hatten ihre Offensive auf Damaskus am frühen Sonntagmorgen gestartet. Ein DPA-Korrespondent vor Ort berichtete von lauten Explosionen und schwerem Maschinengewehrfeuer. Soldaten der Präsidentengarde verliessen Augenzeugenberichten zufolge die Hauptstadt. Der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman, sagte, das Sicherheitspersonal und die Armee hätten sich von dem Internationalen Flughafen Damaskus zurückgezogen. Die Rebellen drangen zudem eigenen Angaben zufolge in ein berüchtigtes Gefängnis ein und befreiten Häftlinge.
Zuvor hatten verschiedene Medien bereits berichtet, dass syrische Soldaten in Scharen das Land verlassen. Der Irak habe mehr als 1000 Soldaten aus dem Nachbarland aufgenommen, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur INA. Der katarische Nachrichtensender al-Jazeera zitierte einen Sprecher der irakischen Regierung, wonach sogar bereits 2000 syrische Soldaten mit voller Ausrüstung in den Irak gekommen seien.
Was sagen die Rebellen?
Nach den Worten ihres Anführers Abu Mohammad al-Julani will das Rebellenbündnis die Macht friedlich übernehmen. Öffentliche Einrichtungen in Damaskus «werden bis zur offiziellen Übergabe unter Aufsicht des früheren Ministerpräsidenten bleiben», teilte Julani in sozialen Medien mit. Militärischen Kräften sei es strikt verboten, sich diesen Einrichtungen zu nähern, auch Schüsse dürften nicht abgegeben werden.
Nach der Flucht von Assad verkündete die Rebellen-Allianz dann auch den Sturz seiner Regierung. «Der Tyrann Bashar al-Assad ist geflohen», teilten die Aufständischen in sozialen Medien mit. «Wir verkünden, dass die Hauptstadt Damaskus (von ihm) befreit wurde.» Der 8. Dezember markiere «das Ende dieser dunklen Ära» der Unterdrückung unter Assad und seinem Vater Hafez al-Assad, die das Land mehr als 50 Jahre regierten.
«Dies ist der Moment, auf den die Vertriebenen und die Häftlinge lang gewartet haben, der Moment der Heimkehr und der Moment von Freiheit nach Jahrzehnten der Unterdrückung und des Leids.» Gerichtet an die Millionen Flüchtlinge, die durch den Bürgerkrieg vertrieben wurden, erklärten die Aufständischen: «An die Vertriebenen weltweit, ein freies Syrien erwartet euch.»
Kämpfer mehrerer Gruppen haben im Staatsfernsehen den Sturz von «Tyrann» Bashar al-Assad bekannt gegeben. In einer am Sonntagmorgen übertragenen Ansprache verlas ein Mitglied einer Menschengruppe unter dem Namen «Einsatzzentrale zur Eroberung von Damaskus» eine Erklärung. Darin wurde die «Befreiung der Stadt Damaskus und der Sturz des Tyrannen Bashar al-Assad» verkündet.
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Weiter hiess es, «alle zu Unrecht in den Gefängnissen des Regimes Inhaftierten» sollten freigelassen werden. Kämpfer wie Bürger wurden in der Erklärung aufgerufen, das «Eigentum des freien syrischen Staats» zu schützen.
Maslum Abdi, der Anführer der von kurdischen Kämpfern angeführten und von den USA unterstützten Demokratischen Kräfte Syriens (SDF), sprach von «historischen» Momenten und dem Sturz von Assads «autoritärem Regime». Der «Wandel» biete eine «Chance, ein neues Syrien aufzubauen, das auf Demokratie und Gerechtigkeit basiert und die Rechte aller Syrer garantiert», fügte Abdi im Onlinedienst Telegram an.
Wer sind die Rebellen?
Am Anfang waren es junge Männer und desertierte Soldaten, sie bildeten die Freie Syrische Armee, es ging ihnen um den Sturz des Diktators Assad und ein Leben in Freiheit. Langfristig setzten sich aber islamistische Rebellengruppen durch, die sich, zum Beispiel mit katarischem Geld, besser bewaffneten, während der Westen die moderaten Kräfte alleinliess. Die Islamisten kämpften ebenfalls gegen Assad, aber mit einem anderen Ziel: einem Syrien nach den Regeln ihres Islam. Die mächtigste Gruppe unter ihnen war bald die Al-Nusra-Front, die aus der al-Qaida hervorging. Sie sagte sich von dieser Herkunft allerdings schnell los, auch von den früheren Verbindungen zum IS.
Heute nennt sie sich Hayat Tahrir al-Sham, kurz HTS. Sie regiert die letzte Provinz, die die Rebellen seit 2017 noch gehalten haben: Idlib, an der türkischen Grenze gelegen. Dort leben vier Millionen Menschen, die aus anderen Landesteilen vor Assad geflohen sind.
Islamistisch ist die HTS nach wie vor, mit Gruppen wie den Taliban oder gar dem IS kann man sie aber längst nicht mehr vergleichen. Dem HTS-Anführer Abu Mohammed al-Julani geht es heute mehr um politische Macht als um Jihad. In Idlib hat er sich mit türkischer Hilfe als einigermassen effektiver und besonnener Machthaber erwiesen.
Das heisst zwar nicht, dass nach Assads Abzug nun die Demokratie ausbricht; für viele dort und in der Region sind die HTS-Truppen und die anderen Rebellen aber tatsächlich so etwas wie Befreier. Sie haben ein Regime vertrieben, das Aleppo über Jahre mit Fassbomben terrorisiert hat, um dann eine Gewaltherrschaft zu errichten, in der Widerspruch direkt in eine Folterzelle führte.
Am 27. November war der Bürgerkrieg in Syrien, der 2011 begonnen hatte, mit der Offensive der Islamisten-Allianz Hayat Tahrir al-Sham (HTS) plötzlich wieder aufgeflammt. Innerhalb kurzer Zeit übernahmen die Aufständischen die Kontrolle über viele Orte, darunter Aleppo und Hama, weitgehend kampflos. Erst am Samstag hatten die Rebellen die strategisch wichtige Stadt Homs eingenommen. Verschiedene andere Rebellengruppen rückten zugleich von Süden aus Richtung Damaskus vor. Die Rebellen eint das Ziel, Assad stürzen zu wollen.
Wo ist Bashar al-Assad und ist er am Leben?
Das ist derzeit nicht bekannt. Assad hat die Hauptstadt Damaskus mit unbekanntem Ziel verlassen. Das sagte der Leiter der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte, Rami Abdel-Rahman, am frühen Morgen unter Berufung auf syrische Offiziere in Damaskus.
Laut der Nachrichtenagentur Reuters berichten zwei Quellen in Syrien, dass Assad auf seiner Flucht verstorben ist. Sein Flugzeug sei in der Region Homs vom Radar verschwunden und mutmasslich abgestürzt. Dies unterstreichen auch Bilder von Flightradar. Eine offizielle Bestätigung zu Assads Tod liegt derzeit aber nicht vor.
Assads Ministerpräsident Mohammed al-Jalali blieb eigener Darstellung zufolge im Land und will bei einem Machtwechsel kooperieren. «Wir sind bereit, (die Macht) an die gewählte Führung zu übergeben», sagte Jalali in einer Videobotschaft, die er laut eigener Aussage in seinem Zuhause aufzeichnete. Über diese Führung müsse das Volk entscheiden. «Wir sind bereit, sogar mit der Opposition zusammenzuarbeiten.»
Die Bürger rief er bei den laufenden Entwicklungen auf, zu kooperieren und kein öffentliches Eigentum zu beschädigen. Syrien könne ein «normaler Staat» sein mit freundschaftlichen Beziehungen mit seinen Nachbarn. Er selbst habe kein Interesse an irgendeinem politischen Amt oder anderen Privilegien. «Wir glauben, dass Syrien allen Syrern gehört.»
Wie reagieren die Bewohner Syriens?
Im Zentrum von Damaskus brach nach Assads Flucht Jubel aus. Anwohner klatschten dort auf der Strasse und einige waren beim Gebet zu beobachten, wie Augenzeugen berichteten. In sozialen Netzwerken machten Videos von Anwohnern die Runde, die auf einen Panzer klettern und feierliche Gesänge anstimmen. Auch in der Metropole Istanbul in der benachbarten Türkei, wo mehr als drei Millionen Syrer leben, gab es Videos zufolge in der Nacht Jubel und Gesänge. Einige zündeten dort Feuerwerk.
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Wie auf Bildern zu sehen war, stürzte am Sonntag im Zentrum von Damaskus eine jubelnde Menschenmenge eine Statue des früheren Staatschefs Hafez al-Assad und trampelte auf ihr herum. Hafez al-Assad, der Vater und Vorgänger von Bashar al-Assad, hatte Syrien von 1971 bis zu seinem Tod im Jahr 2000 mit extrem harter Hand und Brutalität regiert.
Profitiert Israel von Assads Sturz?
Analysten der Denkfabrik Institut für Nationale Sicherheit (INSS) in Tel Aviv schrieben vor dem Sturz Assads, aus israelischer Sicht hätten die Entwicklungen in Syrien sowohl positive als auch negative Aspekte. Einerseits wäre Assads Sturz ein erheblicher Schlag für den Iran und seine Helfershelfer und für Russland. «Der Iran müsste seine Truppen aus Syrien abziehen, während die direkte Route für einen militärischen Wiederaufbau der Hizbollah durch Waffenschmuggel vom Iran und Syrien in den Libanon blockiert wäre», so die Analysten.
Andererseits drohe nach einem Sturz Assads eine Zeit von Chaos und Instabilität in der Region. Besonders besorgniserregend sei die Möglichkeit, «dass jihadistische Gruppen – auch wenn sie etwas moderater sein sollten – die Kontrolle über grosse Teile Syriens sowie ein potenziell grosses Arsenal von Waffen übernehmen könnten, darunter auch chemische Waffen, und damit für Israel eine ernsthafte Bedrohung darstellen könnten».
Was ist die Rolle der Türkei?
Die Türkei dementiert, etwas mit der Offensive der Islamisten zu tun zu haben. Beobachter im Land gehen aber davon aus, dass Ankara den Vorstoss zumindest gebilligt hat – und am Ende davon profitiert. Die Türkei unterstützt im Bürgerkrieg die Syrische Nationale Armee (SNA) und hält mit deren Unterstützung Grenzgebiete im Norden besetzt. Nach Ansicht des Militärexperten Erdogan Karakus koordiniert sich die islamistische HTS mit den SNA-Rebellen. Zudem liefere die Türkei regelmässig Hilfe und habe durchaus Einfluss auf das Geschehen.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan verfolgt zwei Hauptziele in Syrien: Zum einen strebt er an, dass zumindest ein Teil der Flüchtlinge in seinem Land nach Syrien zurückkehrt. Zum anderen möchte er den Einfluss kurdischer Milizen an der Grenze schwächen. Dort plant er einen sogenannten «Sicherheitskorridor», um Flüchtlinge anzusiedeln und die kurdischen Milizen zurückzudrängen.
Die Türkei sei wohl nicht an einer «dramatischen Eskalation» interessiert, sagt Heiko Wimmen von der Denkfabrik International Crisis Group der DPA. «Ankara sieht es vielleicht nicht ungern, wenn die Rebellen ihre Position verbessern (...) Eine Ausweitung des Konflikts, die am Ende auch Russland wieder auf den Plan ruft, scheint dagegen eher kontraproduktiv.»
Was sind die Folgen für den Iran?
Ein Machtwechsel in Syrien dürfte für die iranische Führung gravierende Folgen haben. Das Bündnis mit Syrien als «Korridor» zum Mittelmeer war für die Islamische Republik bislang zentral, um Waffen an die Hizbollah im Libanon zu liefern und den regionalen Einfluss zu stärken. Syrien gilt als Teil der sogenannten Widerstandsachse im Kampf gegen Israel.
Was sind die Reaktionen in den USA?
Das Weisse Haus teilte mit, US-Präsident Joe Biden und sein Team beobachteten die aussergewöhnlichen Ereignisse in Syrien genau und stünden in ständigem Kontakt mit den regionalen Partnern.
Der designierte US-Präsident Donald Trump will nicht, dass sich die Vereinigten Staaten in irgendeiner Form in die Krise in Syrien einmischen. Syrien stecke in grossen Schwierigkeiten, aber das Land sei kein Freund der USA, «und die Vereinigten Staaten sollten nichts damit zu tun haben», erklärte der Republikaner auf den Plattformen X und Truth Social. «Das ist nicht unser Kampf», schrieb er in Grossbuchstaben. Die USA sollten sich deshalb nicht einmischen.
Trump schrieb mit Blick auf die aktuelle Entwicklung: «Russland, das in der Ukraine so stark gebunden ist und dort über 600’000 Soldaten verloren hat, scheint nicht in der Lage zu sein, diesen buchstäblichen Marsch durch Syrien zu stoppen – ein Land, das es jahrelang geschützt hat. Die Russen würden nun, wie Assad selbst, aus dem Land gedrängt. «Und das könnte tatsächlich das Beste sein, was ihnen passieren kann», argumentierte er. «Für Russland gab es in Syrien nie viel zu holen.»
AFP/DPA/aeg
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