Studie zu InfluenzaWarum künftig mehr Grippe-Epidemien auftreten könnten – und was Corona damit zu tun hat
Ein Teil der Viren ist verschwunden, andere könnten womöglich heftiger als bisher zurückkommen. Das resümieren Forschende in einer neuen Analyse.
- Grippeinfektionen gingen zu Beginn der Pandemie weltweit stark zurück.
- Die Immunität gegen Grippeviren ist gesunken.
- Nach dem Ende der Corona-Massnahmen breiteten sich die Grippeviren schnell aus.
- Die Pandemie veränderte die Immunität gegen Influenzaviren grundlegend.
Die Massnahmen gegen die Covid-19-Pandemie zeigten schon früh einen unerwarteten Nebeneffekt: Als der Flugverkehr fast zum Erliegen kam und soziale Kontakte stark eingeschränkt waren, entfiel in etlichen Ländern die jährliche Grippewelle. Auch die Schweiz erlebte in der Saison 2020/2021 eine historisch niedrige Zahl an Influenzainfektionen.
Ein internationales Forscherteam hat nun im Fachmagazin «Science» nachgezeichnet, wie sehr die Massnahmen gegen die Corona-Pandemie das weltweite Zirkulieren der Grippeerreger bis heute beeinflusst haben.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass die Grippeinfektionen zu Beginn der Pandemie fast überall auf der Welt massiv zurückgingen. Tests auf Influenzaviren ergaben sehr viel seltener positive Resultate als früher: Diese sogenannte Testpositivrate lag im ersten Pandemiejahr um mehr als 95 Prozent niedriger als in den Vorjahren. Gleichzeitig wiesen die Influenzaviren in der Hochphase der Pandemie weniger genetische Vielfalt auf als vor und nach dieser Zeit.
Allerdings ergab die Auswertung von epidemiologischen und Virusgenom-Daten, dass Grippeerreger in Teilen Südasiens und Westafrikas weiter zirkulierten – begünstigt durch die dort weniger strikten Corona-Massnahmen sowie ein tropisches Klima, in dem die Mikroorganismen ganzjährig aktiv sind.
Somit konnten sich die Erreger nach dem Ende der Corona-Massnahmen wieder rund um den Globus ausbreiten – und das «bemerkenswert schnell», wie Hauptautor Zhiyuan Chen von der University of Oxford und der Fudan University in Shanghai in einer Pressemitteilung sagte. Schon im März 2023 zirkulierten Grippeviren weltweit wieder in einem Ausmass wie vor der Pandemie – und bewiesen damit ihre Widerstandsfähigkeit selbst gegen mehrjährige Veränderungen der Umgebung, wie es in dem Artikel heisst.
Eine Ausnahme gab es allerdings. Während die Influenza A-Subtypen H1N1 und H3N2 ebenso wie die B-Viren der sogenannten Victoria-Linie mit voller Wucht zurückkamen, scheinen die B-Viren der Yamagata-Linie auf der Strecke geblieben zu sein. Seit Beginn der Pandemie wurden der Studie zufolge weniger als 20 Infektionen mit diesen Erregern registriert. Dabei sei nicht einmal sicher, ob es sich tatsächlich um natürliche Ansteckungen handelt oder aber um Infektionen, die auf den Lebendimpfstoff zurückzuführen sind. Auch möglich sind Meldefehler. Die Impfstoffe dieser Saison richten sich demzufolge auch nicht mehr gegen diese Erregervariante. Wie sich ihr Verschwinden auf die anderen Influenzaviren auswirkt, ist bislang nicht abzusehen.
Warum die Yamagata-Linie die Pandemiezeit dem Anschein nach nicht überstand, können die Autoren ebenfalls nicht sagen. Eine mögliche Erklärung ist, dass diese Linie in den Jahren vor der Pandemie grössere Ausbrüche auslöste und somit eine hohe Immunität in der Bevölkerung bestand. Zugleich wies sie offenbar eine geringere genetische Anpassungsfähigkeit auf als andere Influenzaerreger.
Künftig könnten mehr Influenzaepidemien auftreten
Die Studie unterstreiche zum einen, dass nicht pharmazeutische Interventionen «unglaublich effektiv sein können und wohl wirksamer sind als Impfaktionen allein», schreiben die US-Forscher Pejman Rohani und Justin Bahl in einem begleitenden Kommentar.
Zugleich weisen die beiden Autoren darauf hin, dass die Pandemie auch die Immunität gegen Influenzaviren grundlegend verändert habe. Zum einen, weil das Immunsystem vieler Menschen den Erregern über mehrere Jahre nicht begegnete, zum anderen auch, weil in Teilen der Welt Grippeimpfungen den Wirren der Corona-Zeit zum Opfer fielen. Diese Situation könnte dazu führen, dass künftig wieder grössere Influenzaepidemien auftreten.
Auch die Autoren der «Science»-Publikation warnen vor möglichen heftigeren Grippeausbrüchen, die wiederum die Entstehung neuer Virenstämme begünstigen könnten. Das bedeutet, dass sich die Ereignisse der Pandemie womöglich noch länger auf das Grippegeschehen auswirken.
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