Untersuchung CO₂-AbgabeBund: Firmen kommen bei Klimaabgabe zu billig weg
Weil sich Firmen, die viel Energie brauchen, von der CO2-Abgabe befreien lassen können, entgeht dem Bund jedes Jahr fast eine Milliarde Franken.
Seit fünfzehn Jahren zahlen die Bevölkerung und ein Grossteil der Unternehmen eine Abgabe auf Heizöl und Gas. Pro Tonne CO₂ sind es 120 Franken, ein Liter Heizöl wird so um etwa 30 Rappen verteuert. Die Massnahme soll helfen, die Treibhausgasemissionen zu senken.
Doch die Regel gilt nicht für alle. Unternehmen aus energieintensiven Branchen – es sind derzeit rund 1300 – können sich von der Abgabe befreien lassen. Im Gegenzug müssen sie sich verpflichten, ihre CO₂-Emissionen zu senken. Dabei handeln sie mit dem Bund das konkrete Reduktionsziel aus. In der Praxis kann das zum Beispiel heissen, dass eine Brauerei ihren Ölheizkessel durch ein weniger klimaschädliches Erdgasmodell ersetzt.
Diese Sonderregel soll verhindern, dass die CO₂-Abgabe die internationale Wettbewerbsfähigkeit dieser Unternehmen und damit Arbeitsplätze in der Schweiz gefährdet. Ihr liegt die Annahme zugrunde, dass die Unternehmen nicht von sich aus alle Investitionen zur Senkung der CO₂-Emissionen tätigen.
Doch was bringt dieses Instrument dem Klima? Die Eidgenössische Finanzkontrolle, die oberste Finanzaufsicht des Bundes, hat es zwischen August 2022 und Mai 2023 untersucht und dazu 1279 Unternehmen befragt.
So viel vorweg: Die Kontrolleure halten die Befreiungsmöglichkeit für wichtig. Allerdings stellen sie Mängel fest. Sie raten dem Bundesamt für Umwelt daher, eine Revision der CO₂-Verordnung einzuleiten, um den Unternehmen ehrgeizigere Ziele zu setzen. Das Bundesamt schreibt in seiner Stellungnahme zum Bericht von einer «wertvollen Grundlage», um das Instrument weiterzuentwickeln. Auch das Bundesamt für Energie widerspricht den Befunden der Kontrolleure nicht.
Im Folgenden die wichtigsten Erkenntnisse:
Mässige Klimawirkung
Die untersuchten Unternehmen haben von 2013 bis 2020 ihre Emissionen im Durchschnitt um 19 Prozent gesenkt. Damit übertrafen sie zwar die erwartete Reduktionsleistung von 12 Prozent. Aber: Die gesamte Industrie schaffte in diesem Zeitraum 20 Prozent. Die Finanzkontrolleure konstatieren eine «mittlere Wirkung» und resümieren, die Ziele für die abgabebefreiten Unternehmen seien «nicht anspruchsvoll genug». Passend dazu ist die Feststellung, dass 94 Prozent der Unternehmen mit dem Instrument zufrieden oder eher zufrieden sind.
Hohe Einnahmeausfälle
Total kamen aus der CO₂-Abgabe zwischen 2013 und 2020 rund 7,8 Milliarden Franken zusammen. Ohne die Befreiungsklausel wären es 940 Millionen Franken mehr gewesen, schätzen die Finanzkontrolleure. Mit anderen Worten: Die befreiten Unternehmen ersparten sich Abgaben in der Höhe von fast einer Milliarde Franken.
Hinzu kommt: Unternehmen, die ihr Ziel übertrafen, erhielten Bescheinigungen im Wert von 50 bis 100 Franken pro zusätzlich eingesparter Tonne Treibhausgase – Bescheinigungen, die sie in der Folge an die Stiftung für Klimaschutz und CO₂-Kompensation weiterverkaufen konnten. Zwischen 2013 und 2020 wurden so über 2 Millionen Bescheinigungen ausgestellt, ihren Gesamtwert schätzen die Kontrolleure auf über 100 Millionen Franken. Davon profitierten verschiedene Unternehmen, etwa die Ems-Chemie. Auf 2022 stoppte der Bundesrat die umstrittene Praxis.
Doppelte Profiteure
Der Grossteil der Einnahmen aus der CO₂-Abgabe fliesst an die Wirtschaft und die Bevölkerung zurück. Von dieser Rückverteilung haben aber auch die abgabebefreiten Unternehmen profitiert. Die Finanzkontrolleure haben schon in einem früheren Bericht geraten, diesen Mangel zu beseitigen. In der laufenden Revision des CO₂-Gesetzes, das die Klimapolitik von 2025 bis 2030 festlegt, will der Bundesrat die Empfehlung umsetzen. Im Parlament scheint es keinen Widerstand dagegen zu geben.
Milde Sanktionen
Verfehlt ein Unternehmen das vorgegebene CO₂-Reduktionsziel, muss es für jede zu viel emittierte Tonne CO₂ 125 Franken bezahlen. Ein Rechenbeispiel zeigt die Folgen: Ein Unternehmen verpflichtet sich, seine Emissionen von 1000 auf 850 Tonnen CO₂ zu senken, schafft aber nur eine Reduktion auf 950 Tonnen. Die geschuldete Sanktion beliefe sich damit auf 12’500 Franken. Zusätzlich muss es für seine zu viel emittierten Emissionen Emissionsrechte abgeben, in diesem Beispiel im Umfang von 9000 Franken.
Zum Vergleich: Wäre dasselbe Unternehmen von der Abgabe nicht befreit, müsste es auf seinen Ausstoss von 1000 Tonnen die CO₂-Abgabe zahlen, letztes Jahr wären so 120’000 Franken fällig geworden. Hinzu kommt: Die Sanktionshöhe – 125 Franken pro Tonne CO₂ – ist in all den Jahren stabil geblieben (und soll es weiter bleiben), während der Bundesrat die CO₂-Abgabe von 30 auf 120 Franken pro Tonne schrittweise angehoben hat. Die Sanktionslast hat damit relativ gesehen abgenommen.
Mangelhafte Evaluation
Die letzte Evaluation datiert von 2016, ist also acht Jahre her. Die Finanzkontrolle empfiehlt, die Untersuchung im Minimum alle fünf Jahre durchzuführen. Nur so lassen sich in angemessener Frist Korrekturen einleiten, sollte das Instrument nicht wie gewünscht funktionieren.
Ungewisse Zukunft
National- und Ständerat sind sich einig, dass zwischen 2025 und 2030 die Abgabenbefreiung neu allen Unternehmen offenstehen soll; die Abgabe soll bei 120 Franken pro Tonne CO₂ bleiben. Das Bundesamt für Umwelt rechnet mit doppelt so vielen wie heute, die davon Gebrauch machen werden, also etwa 2600. Es wird künftig also noch wichtiger, dass das Instrument gut wirkt.
Auch die Industrie, die für etwa ein Viertel der Treibhausgasemissionen in der Schweiz verantwortlich ist, muss das Netto-null-Ziel erreichen; so hat es das Stimmvolk im letzten Sommer beschlossen. Bis 2040 muss sie ihren Ausstoss um 50 Prozent senken; geschafft hat sie bisher 21 Prozentpunkte. Die Finanzkontrolle kommt zum Schluss, die heutigen Anforderungen seien nicht ausreichend, um das Netto-null-Ziel zu schaffen.
Das Bundesamt für Energie sieht das gleich. Die aktuellen Rahmenbedingungen böten den Unternehmen keinen Anreiz, ehrgeizigere Massnahmen zu ergreifen. Im Klartext: Die CO₂-Abgabe müsste in Zukunft wohl deutlich steigen; das 2021 vom Volk abgelehnte CO₂-Gesetz sah eine Erhöhung des maximalen Abgabesatzes von 120 auf 210 Franken vor. Zudem müssten wohl auch die Sanktionen nach oben angepasst werden.
Fehler gefunden?Jetzt melden.