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Sexuell übertragbare Krankheit
Chlamydien breiten sich in der Schweiz aus

ARCHIV - 22.01.2018, Berlin: ILLUSTRATION - Ein junges Paar liegt im Bett. (zu dpa «Was ist dran? Redensarten zur Liebe auf wissenschaftlichem Prüfstand» vom 08.02.2019) Foto: Christophe Gateau/dpa +++ dpa-Bildfunk +++ (KEYSTONE/DPA/Christophe Gateau)
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«Ich möchte darüber eigentlich nicht sprechen. Das war eine sehr schwierige Zeit für mich ...», schreibt Anna per SMS. «Mein damaliger Partner war echt anstrengend, der wollte nicht darüber reden. Ich möchte das nicht alles noch mal durchleben, sorry.»

Anna (Name geändert) war 2021 eine von rund 7000 Frauen in der Schweiz, bei denen eine Chlamydien-Infektion festgestellt wurde. Mit dem Wunsch, dass sie nicht an diese Erfahrung erinnert werden will, ist sie nicht alleine: Ein Ausflug in die Onlinewelt zeigt, dass sich unter dem Hashtag #chlamydia Betroffene vor allem über die nach wie vor auffällige Stigmatisierung der sexuell übertragbaren Infektion (STI) austauschen. Und das obwohl Chlamydiose in vielen Ländern die am häufigsten diagnostizierte bakterielle STI ist: Etwa 5 von 100 sexuell aktiven Personen sind betroffen.

Schweiz liegt im Trend

Die Zahlen des Bundesamtes für Gesundheit BAG zeigen, dass die Fälle bestätigter Chlamydien-Infektionen in der Schweiz seit der Jahrtausendwende kontinuierlich ansteigen. 2022 wurde der bisherige Höchststand verzeichnet. Während im Gegensatz dazu jedes Jahr weniger Personen mit HIV/Aids diagnostiziert werden, lässt sich ein Anstieg auch bei anderen bakteriellen sexuell übertragbaren Infektionen, wie Gonorrhoe und Syphilis, beobachten. Die Schweiz liegt damit in einem europaweiten Trend, wie eine im Oktober 2023 publizierte Sonderausgabe des Medizinjournals «The Lancet Regional Health – Europe» verdeutlicht.

Dieser Anstieg sei allerdings mit Vorsicht zu interpretieren, sagt Benjamin Hampel, ärztlicher Leiter des Checkpoints Zürich. Er nennt mehrere Faktoren, die an der Zunahme beteiligt sind. Einer davon: «Jährlich lassen sich mehr Personen testen. Je mehr Tests gemacht werden, desto mehr Fälle entdecken wir.»

Den Grund für die Zunahme der Tests sieht Hampel, der seit über 20 Jahren in der STI-Prävention tätig ist und dazu auch an der Universität Zürich forscht, in der geänderten Zugangsweise zum Thema sexuelle Gesundheit. «Früher haben sich viele Betroffene nur dann testen lassen, wenn sie Symptome hatten.» Seit 10 Jahren wisse man aber, dass viele STI wie die Chlamydiose meistens asymptomatisch verlaufen. In der Bevölkerung habe sich daher das Bewusstsein geändert: «Vor allem Menschen mit häufig wechselnden Sexualpartnerinnen und -partner lassen sich heute auch ohne Symptome aus Vorsicht regelmässiger testen.» 

HIV ist heute kein Todesurteil mehr. «Das hat dazu geführt, dass viele bereit sind, mehr Risiken einzugehen», sagt Hampel.

Benjamin Hampel, ärztlicher Leiter des Checkpoints Zürich

Bei der Interpretation der Fall- und Testzahlen sei auch zu bedenken, sagt Hampel, dass in der BAG-Statistik zwar schweizweit alle Chlamydien-Diagnosen erfasst werden, bei den Zahlen zu durchgeführten Tests allerdings nur jene, die im Rahmen der freiwilligen Beratung und Testung an Stellen wie dem Checkpoint durchgeführt werden, bekannt sind. 

Die steigenden Testzahlen sind laut Hampel auf keinen Fall der einzige Faktor für die steigende Zahl der Chlamydien-Diagnosen. In den letzten 15 Jahren habe sich das Sexualverhalten massiv geändert – vor allem durch das deutlich einfachere Finden von Sexualpartnerinnen oder -partnern im Internet. Zudem sei HIV heute kein Todesurteil mehr. «Das hat dazu geführt, dass viele bereit sind, mehr Risiken einzugehen», sagt Hampel.

Gilbert Greub, Leiter der Abteilung für diagnostische Mikrobiologie am Universitätsspital Lausanne (Chuv), ergänzt, dass es in den letzten Jahren auch erheblichen Fortschritt bei den Testverfahren gegeben hat: «Die Fallzahlen lassen sich nur bedingt vergleichen. Die Diagnosemethoden sind heute viel präziser als noch vor wenigen Jahren, wir können Chlamydien also häufiger und verlässlicher detektieren.»

Risiken – vor allem für Frauen

Chlamydien sind Bakterien, die ausschliesslich über Schleimhautkontakt beim oralen, vaginalen und analen Sexualkontakt übertragen werden. Bei einer Ansteckung nisten sich die Bakterien in den Zellen der Schleimhäute ein. «Die Bakterien treten dabei in eine Wechselwirkung mit dem Immunsystem», sagt Gilbert Greub, der seit mehr als 20 Jahren zu Chlamydien forscht. «Sie vermehren sich zyklisch und gehen dazwischen in Ruhephasen, sodass sie immer knapp einer Eliminierung durch Immunzellen entkommen.»

Daher machen sich bei Betroffenen in etwa 90 Prozent der Fälle keine Symptome bemerkbar. Ähnlich war es bei Anna: Bis auf ein gewisses «Gefühl des Unwohlseins» im Genitalbereich bemerkte sie keine klaren Anzeichen einer Infektion.

Chlamydia trachomatis bacteria. Computer illustration showing an inclusion composed of a group of chlamydia reticulate bodies (intracellular multiplying stage, small red spheres) near the nucleus (purple) of a cell. Chlamydia trachomatis causes a sexually transmitted infection that can go undetected causing infertility. It also causes the eye disease trachoma, which can lead to blindness.

Die Anwesenheit der Bakterien führt jedoch zur Entstehung fibrotischen Gewebes, das die Schleimhäute verdichtet. Wenn dies im Eileiter passiert, können Frauen unfruchtbar werden, da Spermien nicht mehr passieren können. «Unfruchtbarkeit aufgrund einer derartigen Eileiter-Blockade ist heute europaweit der häufigste Grund für Infertilität», sagt Greub. Ausserdem steige das Risiko für Eileiter-Schwangerschaften und Fehlgeburten. Auch bei Männern sei ein Zusammenhang zwischen Chlamydien-Infektionen und Unfruchtbarkeit denkbar, wissenschaftliche Daten dazu fehlen allerdings noch.

Umso wichtiger sei es, eine Chlamydien-Infektion rasch zu erkennen und zu behandeln. Eine einzige Antibiotika-Gabe kann ausreichen, um das Bakterium zu eliminieren. So auch im Fall von Anna, die erleichtert war, dass der Spuk dank der unkomplizierten Behandlung schnell vorbei war.

Trotz der guten Behandelbarkeit wird wegen der steigenden Fallzahlen auch die Diskussion über Präventionsmassnahmen wichtiger. Da selbst richtig angewendete Kondome nur bedingt Schutz vor einer Chlamydien-Infektion bieten, spielen kostenlose Beratung, Testung und Information eine umso grössere Rolle.

«Seitensprünge kommen vor und können von unangenehmen Überraschungen begleitet sein.»

Gilbert Greub, Mikrobiologe am Universitätsspital Lausanne

Bei der Frage, ob breit angelegte Testkampagnen sinnvoll sind, um die Verbreitung vor allem asymptomatischer Erkrankungen einzudämmen, gehen die Meinungen der Experten auseinander. «Routinemässige Tests helfen, Gruppen zu erreichen, die sich nicht von STI betroffen fühlen», sagt Greub. Als Beispiel nennt er Personen in monogamen Langzeitbeziehungen: «Seitensprünge kommen vor und können von unangenehmen Überraschungen begleitet sein.» Greub befürwortet daher ein routinemässiges Testen aller sexuell aktiven Bevölkerungsgruppen, zum Beispiel im Rahmen von gynäkologischen Untersuchungen.

Benjamin Hampel sieht das anders. «In Hochrisikogruppen, also bei Menschen, die häufig ihre Sexualpartnerinnen oder -partner wechseln, testen wir immer noch zu wenig», sagt der Präventionsexperte. Weil sich die Ansteckungen in dieser Gruppe am schnellsten verbreiten, macht es laut Hampel mehr Sinn, diese Menschen regelmässig zu testen.

Seit zehn Jahren verfolge man ein «Test and Treat»-Prinzip, sagt Hampel. Damit sollen Menschen aus den Hochrisikogruppen dazu angehalten werden, sich regelmässig testen zu lassen, um dann auch schnell behandeln zu können. Dieses Prinzip sei vor allem bei asymptomatischen Infektionen wie Chlamydiosen wichtig. Nur: Laut Hampel hat «Test and Treat» bisher noch zu keinem Rückgang der STI-Diagnosen geführt. «Bevor wir es aufgeben, müssen wir aber erst herausfinden, ob tatsächlich alle, die einen Test benötigen, auch Zugang haben. Dabei spielen hauptsächlich die Kosten eine Rolle.» 

Zürich bietet Gratistests an

Für einen Chlamydien/Gonorrhoe-Kombinationstest sind in der Schweiz je nach Zentrum bis zu 200 Franken zu berappen. Die Krankenkassen übernehmen – nur bei einer ärztlichen Verschreibung – maximal 70 Franken dieser Kosten, und dies auch nicht immer. Für viele ist die Hemmschwelle zu hoch.

«Idealerweise sollte die öffentliche Hand diese Kosten übernehmen», sagt Hampel. Dabei seien vor allem die Kantone gefragt, da es um individuelle Prävention geht.» Das Problem bei einer Kostenübernahme durch die Krankenkassen bleibe das System der Franchise, die vor allem bei Jungen oft hoch ist. «Das heisst, sie zahlen im Endeffekt den Test wieder selbst.»

Eine Mitarbeiterin haelt einen PCR Abstrich fuer Chlamydien und Gonokokken im Checkpoint Zuerich, einem Gesundheitszentren fuer HIV und andere sexuell uebertragbare Infektionen, am Mittwoch, 17. November 2021 in Zuerich. Als erste Schweizer Stadt plant Zuerich für bestimmte Bevoelkerungsgruppen Gratistests zur Praevention von sexuell uebertragbaren Infektionen zur Verfuegung zu stellen. (KEYSTONE/Michael Buholzer)

Die Stadt Zürich bietet seit Juni 2023 allen Menschen bis 25 Jahre und Personen mit Kulturlegi die Möglichkeit, sich gratis auf HIV und andere STI testen zu lassen. Am Checkpoint macht sich das bemerkbar – Hampel bestätigt, dass mehr Menschen zum Test kommen als davor. Ob die Kampagne langfristig Wirkung zeigt, lässt sich noch nicht sagen.

Hampel nennt aber auch einen wichtigen psychologischen Faktor öffentlicher Informations- und Test-Kampagnen. Eine ungeschickte Wortwahl führe schnell zu übersteigerten Verantwortungs- und Schuldgefühlen bei Betroffenen, was zur Stigmatisierung und zu steigender Unsicherheit in der Bevölkerung beitrage. «Am Checkpoint sehen wir manchmal Teenager, die noch nie Sex hatten, aber Angst vor STI haben und sich unbedingt testen lassen wollen», berichtet der Arzt. Daher sei für eine effiziente Prävention der Zugang zu kostenlosen Beratungsgesprächen ebenso wichtig wie Tests.  

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