Neues Sicherheitsgesetz China will Hongkong das letzte bisschen Freiheit nehmen
In der Stadt war das Leben noch immer ein wenig freier, selbst nachdem die Polizei- und Zensurgesetze sie in den Würgegriff genommen hatten. Doch selbst das missfällt Peking.
Eigentlich könnte John Lee zufrieden sein. Gerade, sagte der Hongkonger Regierungschef Ende Januar, erscheine in der Gesellschaft alles «ruhig und sicher». Doch dann schloss er eine Warnung an: «Wir müssen auf mögliche Sabotageakte und Unterströmungen achten, die versuchen, Unruhe zu stiften.» Manche Staaten, behauptet der frühere Polizeichef der Stadt, würden immer noch versuchen, die Sonderverwaltungszone zu unterwandern.
Abhilfe schaffen soll ein neues Sicherheitsgesetz. Es wird das 2020 durch Peking aufgezwungene Nationale Sicherheitsgesetz nicht ersetzen, sondern ergänzen. Eine Einführung dieser Ergänzung war bereits in Artikel 23 der Hongkonger Miniverfassung vorgesehen, die nach der Übergabe an China 1997 in Kraft getreten ist. Ein erster Versuch scheiterte 2003 am Widerstand der Hongkonger, die zu Hunderttausenden gegen die Pläne protestierten.
Die ersten Details stellte Regierungschef John Lee im Januar vor, bis zum 28. Februar laufen die öffentlichen Konsultationen, dann soll das Gesetz möglichst schnell kommen. Amnesty International spricht von einem «gefährlichen Moment für die Menschenrechte», die grösste lokale Journalistenvertretung berichtet, dass die «vagen» Pläne für «Angst» unter Medienvertretern sorgten. Der von einem mehrheitlich Peking-treuen Gremium gewählte Regierungschef Lee erklärte hingegen, die Mehrheit der Leute, die ihre Meinung zu dem Gesetz geäussert hätten, unterstützten die Einführung, «um uns zu schützen, wenn andere Menschen uns schaden wollen».
Hongkong verliert Rechtsstaatlichkeit
Mit grossem Widerstand ist nicht zu rechnen. Das Sicherheitsgesetz aus 2020 dient bereits als effektives Instrument, um Andersdenkende zum Schweigen zu bringen. Hunderte Aktivisten sind in den vergangenen vier Jahren verhaftet worden, viele Medien wurden geschlossen oder haben die Stadt verlassen, Tausende Hongkonger sind geflohen oder ausgewandert. Peking dürfte die Vorlage längst abgenickt haben.
Die Pläne spiegeln nicht nur den Verfall von Freiheit und Rechtsstaatlichkeit in Hongkong wider, bisher Grundlage für seinen wirtschaftlichen Erfolg. Das Sicherheitsgesetz übernimmt einige der repressivsten Elemente des chinesischen Sicherheitsregimes, in dem Entwurf ist explizit die Rede von einer Anpassung an Pekings Verständnis von einer «umfassenden» nationalen Sicherheit.
Für Staatschef Xi Jinping steht die Staatssicherheit über allem. Neben politischer und gesellschaftlicher Sicherheit geht es nun auch um soziale, militärische, kulturelle, nukleare und, eher kurios, Polar- und Weltraumsicherheit, insgesamt 20 Bereiche. «Peking treibt eine Mischung aus Selbstbewusstsein und Paranoia an», erklärt Katja Drinhausen vom Mercator Institute for China Studies (Merics) in Berlin. «Ziel ist nicht nur, Gefahren abzuwehren, sondern auch neue Bedrohungen frühzeitig zu identifizieren, auf die sich die Partei einstellen muss.»
In einer Untersuchung für das China-Institut hat sie sich mit der «Versicherheitlichung von allem» in China beschäftigt. Auf der einen Seite sehe sich die Partei laut der Expertin – ob berechtigt oder unberechtigt – vom Ausland bedroht. Demnach versucht der Westen unter Führung der Amerikaner, den Aufstieg Chinas einzudämmen, eine Gefahr für die Macht der Partei. Dazu kommt die permanente Angst vor einer Unterwanderung im Inland, Arbeiterprotesten oder spontanen Massenprotesten wie im November 2022 gegen die Corona-Massnahmen.
Kontrast zu Pekings Charmeoffensive
Andererseits ist das Selbstvertrauen in die eigenen Institutionen gewachsen. Während andere Staaten mit Krisen und Konflikten kämpfen, sieht das Land seinen Einfluss auf der globalen Ebene wachsen. In einem im vergangenen Sommer verschärften Anti-Spionage-Gesetz hat die Staatsführung in der Volksrepublik den Begriff der nationalen Sicherheit noch weiter gefasst. Spionage soll nun «alle Dokumente, Daten, Materialien und Artikel» umfassen, die Chinas Interessen betreffen. Im Frühjahr 2023 liess Peking die Büros mehrerer amerikanischer Beratungsfirmen durchsuchen und Mitarbeitende befragen, darunter Bain & Company in Shanghai. Die Staatsmedien übertrugen die Bilder direkt ins TV. Ein Warnsignal ans ganze Land.
Das will nicht so recht passen zu Pekings Charmeoffensive, mit der die Führung versucht, das Vertrauen internationaler Investoren und Unternehmer nach drei Jahren Corona-Irrsinn zurückzugewinnen. Gerade erst hat Aussenminister Wang Yi bei der Sicherheitskonferenz in München für eine engere wirtschaftliche Kooperation plädiert, frei von «geopolitischen und ideologischen Ablenkungen». Doch vier Jahrzehnte nach Beginn von Chinas Öffnungspolitik steht Xis Ideologie längst wieder über den Interessen der Wirtschaft.
Erst vor einigen Wochen hatten die Sicherheitsbehörden mit einem besonders heftigen Urteil für Aufmerksamkeit gesorgt: Ein Gericht verurteilte den seit 2019 in China inhaftierten Australier Yang Hengjun wegen Spionage zum Tode, wobei die Strafe in lebenslange Haft umgewandelt werden könnte. Bei seiner Festnahme hatten die Behörden dem in China geborenen Mann vorgeworfen, die nationale Sicherheit verletzt zu haben. Yang war einst als kritischer politischer Blogger in China bekannt. Am vergangenen Dienstag hat seine Familie bekannt gegeben, dass Yang das Urteil nicht anfechten wird, weil ein faires Verfahren nicht zu erwarten sei. Seine Familie berichtet von Folter und fehlender medizinischer Versorgung in Haft. Erst im Oktober hatte China die australische Journalistin Cheng Lei freigelassen, die drei Jahre lang im Gefängnis sass – ihr wurde vorgeworfen, Staatsgeheimnisse verraten zu haben.
Die meisten solcher Prozesse finden in China im Geheimen statt, die Verurteilungsquote liegt bei mehr als 99 Prozent. Erst vor ein paar Tagen berichtete das «Wall Street Journal» über einen britischen Geschäftsmann, der vier Jahrzehnte lang in China gearbeitet hatte, ehe er 2018 verschwand. Auf Nachfrage erklärte das Aussenministerium in Peking, der Mann sei wegen illegalen Verkaufs von Informationen ins Ausland zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Im März 2023 wurde ein japanischer Manager festgenommen, Tokio geht von 17 seit 2015 durch Chinas Staatssicherheit inhaftierten japanischen Staatsbürgern aus, US-Experten von 200 willkürlich inhaftierten Amerikanern.
Die neue Gesetzeslage sorgt für Verunsicherung unter Geschäftsleuten, und ein Ende scheint nicht in Sicht zu sein. Peking nimmt alle Bürger in die Pflicht, die nationale Sicherheit zu schützen. In Unternehmen und Schulen lernen die Menschen jetzt, wie man Spione erkennt. Die Staatssicherheit lockt Tippgeber mit Zehntausenden Franken Belohnung. Nicht selten rufen normale Leute nun die Polizei, wenn sie Ausländer auf der Strasse sehen. Jeder Fremde steht unter Verdacht.
In Hongkong diente bereits 2019 die «schwarze Hand des Auslands» als Erklärung für die Massenproteste. Das neue Gesetz sieht vor, dass im Namen der nationalen Sicherheit Verfahren beschleunigt werden können, wohl um die Rechte der Angeklagten einzuschränken. Frühzeitige Entlassungen werden erschwert, die Rechte von «geflüchteten» Hongkongern im Ausland beschränkt. Die Proteste 2019 richteten sich vor allem gegen ein Auslieferungsgesetz nach Festlandchina. Die Hongkonger fürchteten, in die Fänge der chinesischen Justiz zu geraten. Das geplante Sicherheitsgesetz bringt das Unrechtssystem jetzt nach Hongkong.
Fehler gefunden?Jetzt melden.