Neue DokuCharles Manson, wie man ihn noch nie gehört hat
Eine neue Serie veröffentlicht bisher unbekannte Aufnahmen. Sie ist eine Zeitreise in die Jahre zwischen Flower-Power und Ritualmorden.
- Die Serie «Making Manson» bietet unveröffentlichte Aufnahmen von Charles Manson.
- Die Geschichte der Morde wird durch neue Details ergänzt und beleuchtet.
- Mansons Brieffreund John Michael Jones entwickelte eine Freundschaft zu Manson im Gefängnis.
Die Sechziger enden in einer klaren Nacht. Mit Schreien, Blut und einem einzigen Wort, das mit zittriger Hand an eine Haustür geschmiert wird: «Pig». Es ist die Nacht vom 8. auf den 9. August 1969, als vier Mitglieder der Manson Family am 10050 Cielo Drive in Los Angeles ein Massaker anrichten, das die Gesellschaft verändern sollte. Das Haus gehört Roman Polanski, doch der Regisseur ist in England. Seine Frau, die hochschwangere Sharon Tate, bleibt zurück. Mit ihr sterben der Starfriseur Jay Sebring, die Freunde Abigail Folger und Wojciech Frykowski und ein junger Mann namens Steven Parent. Gefesselt, gequält, mit Messern und Revolvern getötet – die Täter hinterlassen ein Bild des Grauens.
Historiker sagen, diese Nacht habe mehr als nur fünf Leben beendet. Sie war das Ende des «Summer of Love», das Ende der Unschuld der Hippiebewegung. Nach dieser Tat ist in Hollywood nichts mehr wie zuvor, und bis heute versucht man zu verstehen: Was ist damals geschehen? Und warum? Bücher, Filme, Podcasts und zuletzt Quentin Tarantinos fiktive Version in «Once Upon a Time in Hollywood» – das Verbrechen wird wieder und wieder aufgerollt und durch neue Details ergänzt.
Die jüngste Auseinandersetzung: «Making Manson», eine dreiteilige Serie von Billie Mintz, verfügbar auf dem Streamingdienst Peacock. Mintz verspricht neue Einblicke – was nach 50 Jahren ein gewagtes Versprechen ist.
Raus aus dem Knast, rein in die Hippiebewegung
Tatsächlich verfügt Mintz über etwas, das seine Serie von anderen abhebt: alte, bisher unveröffentlichte Aufnahmen von Charles Manson selbst. In diesen erzählt er von seiner schweren Kindheit, von seiner Kommune, der «Family», von den Morden und vom Prozess, der darauf folgte. Keine neue Geschichte, aber Mansons Stimme und seine Art zu sprechen, ziehen den Zuschauer direkt in die Abgründe der späten Sechziger, zwischen Blumenkindern und Gewalt.
Einige Monate nach der Nacht von Cielo Drive wird Charles Manson verhaftet. Der Berufskriminelle, so erfährt man im Film, war 1967 zuletzt aus dem Gefängnis entlassen worden. Mit 35 Dollar Sackgeld in der Tasche geht er direkt nach San Francisco, wo die Hippiebewegung ihrem Höhepunkt zusteuert. Manson taucht ein, er nimmt LSD, Speed und Meskalin. Der ehemalige Zuhälter, der sich jeder Gesellschaft anpassen kann, wird weniger erleuchtet. Vielmehr sammelt er ein ganzes Harem von ihm treu ergebenen jungen Frauen um sich, die sogenannte Family. Und er beginnt sie zu kontrollieren.
Partys und Sexorgien in Hollywood
Mit der Botschaft der freien Liebe trieb er sich mit seiner Family in Hollywood herum. Man ernährte sich aus dem Abfall, und die Girls bezirzten auf Mansons Geheiss jeden, er ihnen hilfreich sein konnte. So etwa der Beach-Boys-Schlagzeuger Dennis Wilson, in dessen Villa am Sunset Boulevard bald 17 Leute einziehen. Als dieser genug hat von Partys und Sexorgien, ziehen Manson und die Family weiter, auf die abgelegene Spahn-Ranch. Von hier zogen die Mörder 1969 los an den Cielo Drive.
Im Dezember 1969 wurden Manson und alle Mörder verhaftet, und das Interesse am Fall explodierte. Manson wird ein Popstar des Verbrechens. Der 1971 folgende «Jahrhundertprozess» setzte das Spektakel fort, dafür sorgten Manson und seine Mädchen. Jeden Tag knieten sie vor dem Gerichtsgebäude, sangen und beteten. Als sich Manson eine Glatze rasierte, taten sie es ihm nach. Als er sich ein X auf die Stirn ritzte, weil die Gesellschaft ihn angeblich aus-x-en wolle, machten das auch die Frauen. Der Prozess endete mit dem Todesurteil für Manson und die vier Täter, später wurde es in eine lebenslange Haftstrafe umgewandelt. Manson starb 2017 im Gefängnis.
Die manipulativen Fähigkeiten Mansons
Genau hier setzt «Making Manson» an – oder besser: bei John Michael Jones. Der ehemalige Drogensüchtige entdeckt Anfang der Nullerjahre eine lukrative Marktlücke: Manson-Autogramme. Jones schreibt Manson ins Gefängnis, eine Antwort bleibt aus. Dann versucht er es mit einem Gedicht und knackt damit den Kultführer. Es entwickelt sich eine seltsame Freundschaft. Manson beginnt, Jones anzurufen, ihm von seiner Vergangenheit zu erzählen. Er will, dass Jones die Gespräche aufzeichnet – und Jones tut, was Manson verlangt.
Die Gespräche zeigen Mansons manipulative Fähigkeiten, die ihn einst zu einem gefährlichen Anführer machten. Er erzählt, wie er als Sohn einer Prostituierten zwischen Heim, Gefängnis und Strasse pendelte. Besonders brisant: Manson diskutiert seine Schuld oder Unschuld an den Tate-Morden. «Ich bin nicht unschuldig», sagt er einmal, «aber ich habe diese Morde nicht befohlen.»
Vom Kleinkriminellen zum glühenden Manson-Verehrer
Diese Aussage benennt den Schwachpunkt des damaligen Prozesses: Die Staatsanwaltschaft musste beweisen, dass Manson die Morde aus der Ferne initiiert hatte. Staatsanwalt Vincent Bugliosi überzeugte die Jury. Und nicht nur das. Er schrieb noch während des Prozesses ein Buch darüber, es ist bis heute das bekannteste und meistverkaufte True-Crime-Buch.
«Allem, was sie jemals über Manson zu wissen glaubten, wird in diesen Tapes widersprochen», sagt Jones. Über die Jahre entwickelte er sich vom Gesprächspartner zum engen Vertrauten und schliesslich zum glühenden Verteidiger Mansons. Die Dokumentation punktet mit bisher ungesehenem Material von der Spahn-Ranch und seltenen Aufnahmen aus dem San Francisco der Sechzigerjahre.
Als Kontrapunkt zu Jones’ Perspektive gibt es zahlreiche Interviews mit ehemaligen Mitgliedern der Family, Journalisten, Psychiatern und Weggefährten. Beleuchtet werden nicht nur Manson und die Verbrechen selbst. «Making Manson» zeigt auch, wie dieses grausame Verbrechen zu einer Legende werden konnte, die bis heute nicht auserzählt scheint. Das Resultat ist eine sehenswerte Serie und eine Ergänzung in der Auseinandersetzung mit einem Verbrechen, das die Welt veränderte.
«Making Manson» von Billie Mintz. Zu sehen auf dem Streamingdienst Peacock.
Fehler gefunden?Jetzt melden.