Taumelnde GrossbankCredit-Suisse-Chef Thomas Gottstein steht vor Rücktritt
Katastrophale Zahlen, neues Sparprogramm, immer neue Rechtsfälle: Der zweitgrössten Schweizer Bank reicht das Wasser bis zum Hals. Jetzt zieht der oberste Chef die Konsequenzen.
Knall bei der Credit Suisse: Am Dienstag kurz nach 20 Uhr Schweizer Zeit meldete das «Wall Street Journal», dass die Bank unmittelbar vor der Bekanntgabe des schon länger erwarteten Rücktritts ihres Konzernchefs Thomas Gottstein steht.
Der 58-jährige Schweizer steht seit zweieinhalb Jahren an der Spitze der zweitgrössten Schweizer Bank. Und diese vor nicht enden wollenden Problemen. Aller Wahrscheinlichkeit nach hat der Verwaltungsrat ihn zum Rücktritt gedrängt – und wird Gottsteins Abgang am Mittwochmorgen bekanntgegeben, wenn die Credit Suisse ihre Zahlen zum zweiten Quartal veröffentlicht.
Eine offizielle Stellungnahme war zwar nicht erhältlich. «Wir kommentieren Spekulationen nicht», sagte eine Sprecherin der Credit Suisse. Doch Informationen einer verlässlichen Quelle aus dem Inneren der Bank lassen den Schluss zu, dass die Information stimmt.
Ulrich Körner soll neuer Chef werden
Wer für die Nachfolge von Gottstein im Gespräch ist, war nicht offiziell zu erfahren. Doch am späten Dienstagabend meldete die «Financial Times» gestützt auf vier Quellen, dass Ulrich Körner der neue Credit-Suisse-Chef werde. Der 60-jährige deutsch-schweizerische Doppelbürger ist Chef der Asset-Management-Sparte der Bank, die Vermögen für institutionelle Anleger wie Pensionskassen, Versicherungen und Stiftungen verwaltet.
Er stiess erst im März 2021 zur Credit Suisse; vorher leitete er das Asset Management bei der UBS. Von 1998 bis 2009 war Körner jedoch in führenden Positionen bei der Credit Suisse tätig.
Körners Ernennung kommt eher überraschend. Denn als Favorit galt der Österreicher Christian Meissner. Er zählt intern zu denen, die mit Gottsteins Kurs am wenigsten zufrieden sind und harte Einschnitte einfordern. Meissner hat erst im Oktober 2020 bei der Credit Suisse angeheuert und ist dort schnell aufgestiegen, zum Chef der Investmentbank und der Region Amerika. 2019 wurde er bereits als Konzernchef der UBS angefragt, erhielt dann aber letztlich eine Absage.
Immer wieder als Kandidat genannt wurde auch der schweizerisch-italienische Doppelbürger Francesco de Ferrari. Er leitet die gesamte Vermögensverwaltungssparte der Bank und zudem übergangsmässig die wichtige Region Europa, Nahost und Afrika. Würde er gewählt, würde das als Bekenntnis der Credit Suisse zu einem Strategiewechsel gewertet: volle Kraft voraus bei der Vermögensverwaltung, Ausstieg aus dem Investmentbanking.
Als Nachfolger Gottsteins gehandelt wurde auch der Franzose Jean Pierre Mustier. Er führte bis zum vergangenen Jahr die italienische Unicredit. Diese sanierte er mit eiserner Hand – kein schlechter Leistungsausweis für einen künftigen Chef der Credit Suisse.
Chancen zugerechnet wurden auch der mächtigste Frau bei der UBS, der Deutschen Sabine Keller-Busse. Sie ist Chefin der UBS Schweiz, des Firmen- und des Kleinkundengeschäfts. Zuvor verantwortete sie als Chief Operating Officer den riesigen Informatikbereich der Bank, war Personalchefin und Chefin der Region Europa/Nahost/Afrika.
Für eine interne Lösung bei Gottsteins Nachfolge spricht, dass der Bank die Zeit für grosse Umbaupläne und Strategieübungen fehlt. Jetzt ist Tempo nötig, nicht das zeitraubende Einarbeiten eines externen neuen Chefs.
Neues Sparprogramm und neuer grosser Verlust
Gottsteins Stuhl wackelt schon seit Längerem. Unter seiner Führung hat die Bank eine Reihe von kostspieligen Debakeln erlitten, darunter die Zusammenbrüche von Greensill Capital und Archegos Capital Management im vergangenen Jahr. Die Credit-Suisse-Aktie erreicht beinahe die Marke von 5 Franken. Vor der Finanzkrise war sie noch 88 Franken wert, Anfang Jahr noch 9 Franken.
Ende April hatte Verwaltungsratspräsident Axel Lehmann dem unter Beschuss geratenen Gottstein noch den Rücken gestärkt. Die Rückkehr der krisengeschüttelten Grossbank in die richtige Spur solle gemeinsam mit Gottstein geschafft werden, hatte Lehmann in einem Interview gesagt.
Doch nun scheint der Verwaltungsrat zu einem anderen Schluss gekommen zu sein. Gründe dafür gibt es genügend. Am Mittwoch wird die Bank dem Vernehmen ein miserables Ergebnis vorlegen. «Die Zahlen sind katastrophal», sagte ein Topmanager gegenüber der SonntagsZeitung. In der Chefetage sind darum Beratungen über zusätzliche Einsparungen bereits im vollen Gang. Ein weiterer drastischer Stellenabbau kündigt sich an.
Überdies kommt auf die Credit Suisse ein neuer grosser Verlust zu: Zurzeit bricht wegen der höheren Notenbankzinsen das Geschäft mit fremdfinanzierten Firmenübernahmen ein. In diesem steckt die Bank tief drin. Das könnte ihr einen dreistelligen Millionenverlust einbrocken, rechnete ein Analyst gegenüber der SonntagsZeitung vor.
Update vom 27. Juli 2022 um 7:23 Uhr: Der Rücktritt wurde bestätigt. Die Nachfolgeregelung sowie die Details zum Verlust. Finden Sie in diesem Artikel: Ulrich Körner wird neuer Chef bei der Credit Suisse, Gottstein tritt ab
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