Rücktritte mitten in der LegislaturMit ihrem Rollator-Spruch sabotiert Amherd Pfisters Vision
Der Mitte-Präsident will Bundesräten seit Monaten vorzeitige Abgänge verbieten. Ausgerechnet Viola Amherd fährt ihm in die Parade.

Bundesräte, die mitten in der Legislatur zurücktreten, sind Gerhard Pfister ein Gräuel, obwohl es sie schon immer gab. Seit hundert Jahren treten 70 Prozent aller Regierungsmitglieder vorzeitig zurück, Tendenz leicht steigend. Die einen nehmen den Hut, weil sie «kä Luscht» mehr haben, andere aus taktischen Gründen der Partei zuliebe.
Die Verlockung ist gross: Ein Einzelrücktritt bietet der Partei die Gelegenheit, auf einem sich munter drehenden Kandidatenkarussell ihre besten Pferdchen zu präsentieren. Wer würde sich das schon entgehen lassen?
Zuweilen sind ausserordentliche Rücktritte sogar eine List: Je nach Konstellation kann eine Partei, bei der sich ein Rückgang der Wählerstärke abzeichnet, mit der vorgezogenen Neuwahl eines Bundesats einen Sitzverlust verhindern. Denn ist ein neuer einmal gewählt, hat das Parlament Hemmungen, ihn bei der nächsten regulären Wahl gleich wieder in die Wüste zu schicken, auch wenn der Wähleranteil den Sitz nicht mehr rechtfertigen würde.
Solche politischen Spielchen hält Pfister für unwürdig für eine direkte Demokratie. Deshalb forderte er im vergangenen Juni per Vorstoss, dass Bundesräte für eine feste Amtszeit von zum Beispiel acht Jahren gewählt werden und nicht mehr einfach vorzeitig zurücktreten dürfen. Ein Rücktritt soll nur noch «aus ausserordentlichen Gründen» erlaubt sein, zum Beispiel wenn ein Bundesrat ernsthaft erkrankt.

Damit will Pfister sicherstellen, dass alle vier Jahre, jeweils direkt nach den Parlamentswahlen, drei oder vier Bundesratssitze auf einmal frei werden. «Das Ziel ist, dass die aktuellen Parteistärken mit diesem neuen Modus im Bundesrat möglichst gut abgebildet werden», sagt Pfister. Wie ernst ihm das Anliegen ist, zeigt die Art des gewählten Vorstosses: Pfister hat eine parlamentarische Initiative eingereicht. Das ist das stärkste Instrument, das ein Nationalrat ergreifen kann.
Der Vorstoss ist hängig, hat bei anderen Parteien aber einen schweren Stand. Um sein Anliegen glaubwürdig verteidigen zu können, müsste Pfister mit seiner Partei mit gutem Beispiel vorangehen. Bis vor kurzem dürfte er gehofft haben, dass ihm das gelingt.
Amherd nimmt es mit dem Rücktritt ziemlich locker
Und nun das: Ausgerechnet die eigene Bundesrätin fährt Pfister in die Parade.
Die Walliserin tritt zurück, obwohl sie im Verhältnis zu anderen Bundesräten noch gar nicht lange im Amt ist. Es sind erst sechs Jahre. Sie hat weder gesundheitliche noch andere ausserordentliche Gründe geltend gemacht. Sie geht mit der lapidaren Begründung, dass sie ja nicht warten könne, bis sie «mit dem Rollator einfahren» müsse. Dazu lacht sie entspannt in die Kamera.
Für Pfister, der genau solche willkürlichen Rücktritte ein halbes Jahr zuvor öffentlich kritisierte, muss diese Begründung ein Schlag ins Gesicht gewesen sein. Er muss sich jetzt den Vorwurf gefallen lassen, dass man in der einst katholischen Partei Wasser predigt und Wein trinkt.
Schlimmer noch: Amherds Rücktritt verschlechtert die ohnehin schon schlechte Bilanz vorzeitiger Rücktritte von CVP- respektive Mitte-Bundesräten. Georg Lutz, Professor für Politologie, recherchiert seit Jahren zu diesem Thema – und führt Strichlisten. Soeben hat er seine Studie über magistrale Rücktritte aktualisiert. Sie zeigt: Bei keiner anderen Partei sind zwischen 1919 und 2025 so viele Bundesrätinnen und Bundesräte zur Unzeit – also irgendwann einmal mitten in der Legislatur – zurückgetreten. Nur gerade ein Viertel der Mitte-Bundesräte hat das Amt auf das Ende eines Wahlzyklus ordentlich abgegeben.
Pfister macht Amherd «explizit keinen Vorwurf»
Pfister kritisiert die taktischen Rücktritte in der Vergangenheit – ganz besonders auch jene der eigenen Partei. Als besonders negatives Beispiel nennt er den Doppelrücktritt der beiden CVP-Bundesräte Arnold Koller und Flavio Cotti.
Die zwei nahmen 1999 ein halbes Jahr vor den Parlamentswahlen den Hut, um die beiden Sitze der CVP im Bundesrat zu sichern. Denn es hatte sich abgezeichnet, dass die SVP die CVP bei den anstehenden Wahlen überholen würde. So war es dann auch. Aber die Taktik der CVP ging auf: Das Parlament hatte nicht den Mut, eines der beiden durch Ersatzwahlen in die Landesregierung nachgerückten CVP-Mitglieder (Ruth Metzler oder Joseph Deiss) wieder abzuwählen. Pfister räumt ein: «Dank dieser Planspiele konnte die CVP damals vier weitere Jahre zwei Sitze im Bundesrat halten, obwohl nur noch einer gerechtfertigt war.»
Das rächte sich dann aber 2003. Die CVP-Bundesrätin Metzler wurde nach nur vier Jahren abgewählt – und durch Christoph Blocher ersetzt.
Nichtsdestotrotz will Pfister Bundesrätin Viola Amherd «explizit keinen Vorwurf machen». Er sagt: «Solange ausserordentliche Rücktritte nicht durch ein Gesetz verboten oder eingeschränkt sind, kann man niemanden kritisieren, der von der Freiheit, seinen Rücktritt selber zu bestimmen, Gebrauch macht.»
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