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Mängel bei AHV-Kasse
Bund zahlt Milliarden aus – und nur eine Person soll Betrug verhindern

Auch bei AHV-Renten wird betrogen. Allein im Jahr 2020 hat die Zentrale Ausgleichsstelle in Genf ausländischen Versicherten 81 Millionen Franken zu Unrecht überwiesen: Bronte Beach, Australien.  
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Sie gilt als Sorgenkind der Bundesverwaltung: die Zentrale Ausgleichsstelle (ZAS) mit Sitz in Genf. Kaum eine andere Bundesstelle verteilt so viel Geld. Über 7 Milliarden Franken überweist die ZAS pro Jahr an AHV- und IV-Versicherte im Ausland. Das macht sie zur finanziell wichtigsten Ausgleichskasse der Schweiz – und zu einem interessanten Ziel für Betrüger. Doch jetzt zeigt sich: Bei der Betrugsbekämpfung hat die Kasse, die vom Eidgenössischen Finanzdepartement beaufsichtigt wird, erhebliche Defizite.

Die Probleme häuften sich bereits in den letzten Jahren. 2021 wurde die langjährige ZAS-Direktorin vom Bundesstrafgericht wegen Betrugs und Urkundenfälschung verurteilt. Die Kasse schiebt zudem einen Berg an IT-Problemen vor sich her. Auch ein fehlerhafter Rentenrechner bereitet Sorgen. Zudem scheint das Betriebsklima belastet. 10 Prozent der Belegschaft gaben 2020 bei einer Personalbefragung an, Opfer von Mobbing geworden zu sein, ein Prozent klagte über sexuelle Belästigung.

Kontrollmängel fördern Dunkelziffer

Ein neues Kapitel in dieser Negativserie liefert jetzt die Eidgenössische Finanzkontrolle (EFK) mit einem Prüfbericht über die Ausgleichsstelle. Darin kommt die EFK zum Schluss, dass die ZAS schlecht gegen Versicherungsmissbrauch gewappnet ist – was bei jährlichen Milliardentransfers ein schwerwiegendes Problem ist.

Auf Betrugsfälle stösst die Ausgleichsstelle trotz ihrem mangelhaften Kontrollsystem schon heute immer wieder. Im Jahr 2020 stellte sie zum Beispiel fest, dass sie rund 81 Millionen Franken Renten zu Unrecht ins Ausland überwiesen hatte. Vom Vermögen, das der AHV gehört, konnte die ZAS damals immerhin 74 Millionen Franken wieder in die Schweiz zurückholen. Doch die Finanzkontrolle geht davon aus, dass das Problem viel grösser ist: dass es nämlich im Fall von AHV- und IV-Rentnerinnen und -Rentnern im Ausland eine Dunkelziffer von unrechtmässigen Rentenbezügen gibt, welche die Ausgleichsstelle wegen ihrer Kontrollmängel gar nie entdeckt. 

Der konkrete Verdacht: AHV-Renten könnten an Personen gehen, die bereits verstorben sind. Als Indiz dafür wertet die Finanzkontrolle das Durchschnittsalter der AHV-Bezüger in Ländern wie Israel, Australien, Grossbritannien, Kanada und den USA. Dieses sei deutlich höher als das durchschnittliche Sterbealter in der Schweiz. Dies, obschon die Schweiz gemäss der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung eine der höchsten Lebenserwartungen weltweit aufweist.

Zwar sind solche exploratorischen Rechnereien auch für die Finanzkontrolle letztlich keine harten Beweise für konkrete Betrugsfälle – aber es seien Indizien dafür, dass die AHV-Kasse genauer hinsehen müsste. Wie gross ist die Dunkelziffer tatsächlich? Stéphanie Lociciro, Autorin des EFK-Prüfberichts, teilt auf Anfrage mit, es sei «Sache der ZAS, diese Analysearbeit zu leisten».

Betrugsfälle sind hochkomplex 

Laut Finanzkontrolle verwendet die Zentrale Ausgleichsstelle schlicht zu wenig Personal und Ressourcen für die Betrugsbekämpfung. Jährlich überweist die ZAS 920’000 Renten, doch nur eine einzige Person ist für die Bearbeitung von – gemäss EFK – «sehr komplexen Betrugsverdachtsfällen» zuständig. Eine einzige Person bei einem Personalbestand von über 850 Angestellten. Total hat die Ausgleichsstelle Betriebskosten von jährlich 160 Millionen, finanziert werden sie von der AHV. 

Diese Einzelperson musste in den letzten sechs Jahren rund 500 Betrugsverdachtsfällen nachgehen. 40 Prozent der Verdachtsfälle konnte der Betrugsexperte aus Kapazitätsgründen nicht bearbeiten. Bei den 283 bearbeiteten Fällen bestätigte sich der Betrugsverdacht in 136 Fällen. Dies entspricht einer Erfolgsquote von immerhin 50 Prozent.

Gemäss der Finanzkontrolle sind die Deliktsummen in der Regel zwar relativ tief, aber im Jahr 2020 lagen die Beträge in zwei Fällen bei über 200’000 Franken. Für die EFK ist dies für eine Einzelperson erstens eine viel zu hohe Arbeitslast, es fehlt zweitens das Vieraugenprinzip, und bei einem Ausfall kann drittens niemand einspringen.

Auch bei ihrer Digitalisierung hat die Ausgleichsstelle Rückstände, die sich auch auf die Betrugskontrolle auswirken. Ausländische AHV-Bezüger müssen der ZAS jährlich eine sogenannte Lebensbescheinigung einreichen, die von der Gemeinde oder der Polizei an ihrem Wohnort ausgestellt wird. Jahr für Jahr treffen in Genf eine halbe Million solche Dokumente ein. Die Ausgleichsstelle kontrolliert sie von Hand. Auch hier stellt die EFK Mängel fest.

Jede Analyse dauere lediglich 20 Sekunden. Im für die Kontrollen geschaffenen Schulungshandbuch würden zwar wichtige Kontrollpunkte genannt – aber «keine davon betreffen Indikatoren für eine mögliche Fälschung des Dokuments». Digitale Lösungen zur Kontrolle der Bescheinigungen existierten zurzeit keine.

Gute Geschäfte für Banken

Schliesslich ortet die Finanzkontrolle auch bei den Transfers der AHV- und IV-Renten ins Ausland ein Problem. Hier arbeitet die ZAS mit drei Banken zusammen: der Schweizer Postfinance, dem spanischen Banco Santander und der italienischen Banca Popolare di Sondrio. Die drei Banken verdienen mit den Transaktionen zwischen 70 und 80 Millionen Franken pro Jahr. Die EFK sieht bei der Zusammenarbeit mit den Banken ein generelles Problem. Sie stellte fest, dass die drei beteiligten Banken bei der gleichen Arbeit mit stark unterschiedlichen Margen arbeiten, wobei ihre Arbeit bei der Rückforderung von zu Unrecht überwiesenen Renten teilweise mangelhaft ist. 

Bei einer Bank fällt zudem auf, dass sie am Ende eines Geschäftsjahres jeweils einen minimalen Anteil am Volumen transferierter Gelder an die ZAS zurücküberweist. Warum? EFK-Expertin Stéphanie Lociciro schreibt: «Technisch gesehen handelt es sich um eine Wechselkursrückvergütung, die direkt aufs Konto der 1. Säule fliesst.» In der Realität gehe es bei «diesem Bonus» jedoch darum, «einen Teil der ungerechtfertigten, nicht eingezogenen Renten auszugleichen». Die Ausgleichsstelle unterzeichnete die Verträge mit den Banken vor 20 Jahren. Die EFK empfiehlt, die Zusammenarbeit mit den Banken zu überprüfen.

Die Ausgleichsstelle hat zum EFK-Bericht schriftlich Stellung genommen. Sie schreibt, sie sei «erfreut zu lesen, dass die Organisationsstruktur (...) eine Dossierverwaltung gewährleistet, die die gesetzlichen Bestimmungen einhält und auf professionelle Art und Weise ausgeführt wird». Die Empfehlungen der Finanzkontrolle zur Betrugsbekämpfung nehme man «zur Kenntnis». Die ZAS werde Massnahmen ergreifen, um den Empfehlungen Folge zu leisten – «gemäss dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit».