GastkommentarBiodiversitäts- und Klimakrise lassen sich gemeinsam lösen
Es gibt in der Schweiz genügend Potenzial, die Windkraft auszubauen. Man muss den Schutz gefährdeter Vogelarten deswegen nicht aufgeben.
Rund eine Million Arten weltweit sind vom Aussterben bedroht. Durch das Wegsterben von Arten werden Ökosysteme noch stärker beeinträchtigt als bisher, Ökosystemleistungen werden erodieren. In der Schweiz ist die Lage besonders schlecht. Die Roten Listen sind länger als in allen anderen europäischen Ländern, und der Prozentsatz von Naturschutzgebieten an der Landesfläche ist tiefer. Folgerichtig hat die OECD die Schweiz zwar für ihre Fortschritte im Bereich des Klima- und Umweltschutzes gelobt, gleichzeitig aber das ungenügende Engagement zum Schutz der Biodiversität kritisiert.
Im Juni 2021 haben die beiden internationalen wissenschaftlichen Räte zu Klima und Biodiversität, IPCC und IPBES, in einer gemeinsamen Medienmitteilung betont, dass die Biodiversitäts- und die Klimakrise nur gemeinsam gelöst werden können. Für die Zukunft unseres Planeten gibt es daher nichts Problematischeres, als Klima und Biodiversität gegeneinander auszuspielen. Und doch geschieht das immer wieder, so letzthin in einem Gastbeitrag in dieser Zeitung in Bezug auf Windanlagen.
Dass in der Schweiz relativ wenige Windanlagen in Betrieb sind, hat einerseits mit der dezentralen Besiedlung und dem vielfach nur schwachen bis mässigen Wind zu tun. Andererseits werden Windanlagen in der Schweiz unverständlicherweise oft in den verbleibenden Gebieten geplant, welche für die Biodiversität besonders wertvoll sind. Hier versagt die Richtplanung vieler Kantone. Oft ist die Interessenabwägung völlig ungenügend, und der verfassungsmässige Schutz der Biodiversität wird nicht berücksichtigt.
Ungenügende Richtpläne können Investoren dazu verleiten, Windenergieanlagen an völlig ungeeigneten Standorten zu planen.
Ungenügende Richtpläne können Investoren dazu verleiten, Windenergieanlagen an völlig ungeeigneten Standorten zu planen. Nehmen wir den projektierten Windpark im Neuenburger Jura auf dem Montperreux. Hier brüten noch mehrere Dutzend Paare von Vogelarten, die durch Windenergieanlagen besonders betroffen sind, z. B. weil sie in Höhe der Rotorblätter fliegen oder vertikale Strukturen generell meiden: die gemäss Roter Liste gefährdete Heidelerche und der ebenso bedrohte Wiesenpieper. Das Gebiet ist ein Paradies für Waldschnepfen.
Nicht weniger als fünf Arten der Roten Liste der Brutvögel kommen hier vor. Und nun sollen genau hier sechs grosse Windenergieanlagen mit Zufahrtsstrassen errichtet werden. Die gefährdeten Arten würden ihr angestammtes Brutgebiet verlieren. Die Zufahrtsstrassen ermöglichen eine Intensivierung der verschiedenen Nutzungen. Das ruhige, einmalige Paradies wäre zerstört. Auch in weiteren Gebieten mit extensiven Wiesen und brütenden Heidelerchen waren oder sind Windenergieanlagen geplant.
Es gibt in der Schweiz viele Standorte, an denen Windenergieanlagen keine grosse Gefährdung für die Biodiversität darstellen. Mont Crosin, Montagne de Buttes, Rhonetal, Peuchapatte, Haldenstein: Hier und an weiteren Standorten bestehen bereits Windanlagen oder sind solche in Planung. Gegen diese Projekte hat Birdlife Schweiz keine Beschwerde ergriffen. Insgesamt hat Birdlife gegen genau sieben Windenergieprojekte Rekurs eingelegt.
Die falsche Behauptung, dass Naturschutzorganisationen Windanlagen systematisch verhindern, wird durch ständige Wiederholung nicht wahrer. Birdlife nutzt das Verbandsbeschwerderecht nur dort, wo gemäss sorgfältiger Analyse die Gesetze nicht eingehalten werden. Vielmehr setzen wir unsere beschränkten Ressourcen in zahlreichen Projekten für die Förderung der Biodiversität ein.
Raffael Ayé ist Geschäftsführer des Schweizerischen Vogelschutzverbandes Birdlife.
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