Blockaden der BauernDer Traktor war ein Versprechen – heute ist er der Panzer des kleinen Mannes
Was jetzt das Protestsymbol wütender Bauern ist, war einst eine umweltfreundliche Alternative. Zur Kulturgeschichte eines Ungetüms.
Ein Traktor in der Stadt – das deutete bis anhin auf den nächsten Auftritt des lokalen Zirkus hin. Zuletzt aber tauchte das Landgefährt in manchen Städten in Scharen auf: Wütende Bauern protestieren derzeit in Frankreich und davor in Deutschland. Wenn sie ihr Demonstrationsrecht wirkmächtig bis vor die Champs-Élysées und das Brandenburger Tor ausrollen, ermöglicht das dem urbanen, sich selbst längst als entdieselt betrachtenden Publikum einen Blick auf ein wirtschaftshistorisch bedeutsames Gefährt.
Warum aber ist der Traktor als Symbol so kraftvoll – und wie kam es dazu, dass man ihn heute als fortschrittsfernes Urvehikel wahrnimmt?
Die mistfreie Alternative zum Pferd
Der emissionsfreudige Traktor nämlich war einst ein ähnlich heilsversprechender Umweltretter, wie es heute das im Stadtbild dominierende Cargo-Bike ist: kraftvoll, mistfrei, futuristisch. Mistfrei gerade deswegen, weil er nach seinem Aufkommen in den USA um 1920 eine Alternative zu den Millionen Pferden in der Landwirtschaft war, ähnlich dem Automobil in den Städten.
Mit dem Beginn des industriellen Zeitalters sah man sich dort mit einem Kutschenverkehrsaufkommen konfrontiert, das die eifrigsten Dystopiker die urbanen Gebiete im Pferdemist versinken sehen liess. Und im ländlichen Raum galten die Ausscheidungen der Nutztiere als verantwortlich für prekäre sanitäre Bedingungen. Der Traktor als umweltfreundliche Alternative – eine aus heutiger Sicht spektakuläre Rolle.
Interessanterweise bewirkte der rollende Revolutionsführer gewissermassen den Zusammenfall des Wirtschaftssektors, den er zunächst beflügelte. In Europa – wo übrigens die heutigen Edelautobauer von Lamborghini zu den ersten Traktorfabrikanten gehörten – waren zur Jahrhundertwende noch ein Drittel aller Erwerbstätigen in der Landwirtschaft tätig; heute sind es noch zwischen zwei und fünf Prozent.
Auch in den Kreisen, die sich heute mit dem Traktor vom Rest der Gesellschaft abgrenzen, gab es Ressentiments. Die Potenzierung der Pferdestärke war nicht allen geheuer, es gab Gegenden, in denen die Bauern noch jahrzehntelang auf die Hilfe verzichteten.
Mitte des 20. Jahrhunderts war sie irgendwann verankert, die Symbolik des Traktors als Muskel des industriellen Leistungskörpers – und damit auch die der Bauern als naturbewahrende Kraft einer sich immer schneller drehenden, stärker vom Planeten entfernenden Gesellschaft.
Zumindest in der ländlichen Schweiz war der Traktor eine Zeit lang auch ein Ausdruck jugendlichen Freiheitsgefühls: Wie sonst kann man bereits mit 14 Jahren Macht über so viel Masse erlangen und insbesondere auf dem Parkplatz vor dem Schulhaus zumindest vom Volumen den Opel Kadett des Schulleiters übertreffen?
Als ukrainische Traktoren russische Panzer abschleppten, brandete Jubel auf
Heute gilt der Traktor als urtümlich, in seiner Klassifizierung als Verbrenner zwangsläufig als rückständig. Einzig als ukrainische Bauern einige Wochen nach dem russischen Überfall Panzer des Feindes mit ihren Treckern abschleppten, jubelte wieder ein breiteres Publikum dem Traktor zu – in dem Sinne, als die herkömmlichen Methoden noch immer die besten seien, um dem Bösen beizukommen.
Später funktionierten die Bauern ihre Landmaschinen zu Minenräumern um, und in diesem pragmatischen Zusammenhang muss der Traktor wohl in Zukunft betrachtet werden.
In einer immer umfänglicher automatisierten Landwirtschaft wird die Einmannmaschine Traktor mehr und mehr verzichtbar. Womöglich werden dann die letzten Exemplare als Luxuskarossen vertrieben – als Panzer des kleinen Mannes und von Lamborghini.
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