Consumer Electronics Show (CES)Autoindustrie zeigt in Vegas Muskeln
Bei der CES in Las Vegas hat die Autoindustrie mit einem imposanten Auftritt bewiesen, dass die mobile Zukunft keine Glückssache ist. Denn egal, ob alte Giganten oder neue Player – die Branche hat sich gerüstet.
Echt oder Illusion? Das weiss man in Las Vegas nie so genau. Und das gilt nicht nur für die Inszenierungen auf den Showbühnen, für die Dekolletés in den Casinos und die Bauten auf dem Strip, sondern diesmal mehr denn je auch auf der am Wochenende zu Ende gegangenen CES. Denn nachdem die grösste Elektronikmesse der Welt im letzten Jahr vor der Pandemie in die virtuelle Realität geflüchtet war, wollte Messechef Garry Shapiro in diesem Jahr eigentlich das Comeback nach Corona feiern. Aber dann kam ihm Omikron dazwischen, und trotz strenger Hygieneprotokolle haben sich ein paar wichtige Akteure noch kurz vor der Premiere abgemeldet und sich doch wieder aufs Virtuelle verlegt. Amazon, Google, Intel, General Motors oder Mercedes sind deshalb nur auf digitale Dienstreise gegangen.
Doch egal, ob nun leibhaftig oder nur im Livestream – die Autoindustrie ist dem wohligen Werben der CES gefolgt und hat die Elektronikshow zu ihrer neuen Leitmesse gemacht. Detroit ist vergessen, Los Angeles interessiert keinen mehr, Genf ist wieder abgesagt, und auch die IAA in München wirkt im Rückblick wie zweite Liga.
Newcomer wie Sony füllen die Lücken
Wer an der neuen Leitrolle zweifelt, der muss sich nur Mercedes und General Motors anschauen. Die einen haben mit dem EQXX das effizienteste Elektroauto der Welt (TA, 4.1.22) nicht beim Heimspiel in Deutschland gezeigt, sondern sich den Spar-Stromer mit 1000 Kilometern Reichweite für den Nabel der neuen Welt aufgehoben. Und die anderen feiern nur drei Flugstunden von ihrem Stammsitz entfernt mit dem elektrischen Silverado die Premiere eines Autos, das die Mobilitätswende in Amerika nachhaltig voranbringen dürfte. Schliesslich ist der Pick-up seit Jahrzehnten die Nummer 2 in der US-Statistik und wäre bei der Detroit Motor Show zum Superstar geworden – wenn es die Messe denn in ihrer alten Form noch geben würde.
Und das ist ja nicht alles. Ja, der VW-Konzern hat sich ganz ohne Verweis auf Corona erst gar nicht angemeldet, obwohl kein anderer Autoboss gerade so laut vom Wandel spricht und auf die Software schwört wie Konzernchef Herbert Diess. Und mit Toyota oder Ford glänzen zwei weitere Giganten mit Abwesenheit, die für einen Gutteil der automobilen Weltproduktion stehen. Dafür ist Stellantis mit dem Airflow als erstem elektrischen Chrysler für die breite Masse oder Hyundai mit ein paar visionären Konzepten zum automatisierten Fahren und roboterisierten Leben umso präsenter. Und die restlichen Lücken werden von zahlreichen Newcomern gefüllt.
Da ist zum einen der Elektronikriese Sony, der noch vor Apple, Foxconn oder Xiaomi sein erstes eigenes Auto auf die Strasse bringen könnte – nicht ohne Grund haben die Japaner mit dem S-02 im Stil des Tesla Model Y bereits ihre zweite Studie enthüllt und auch schon eine entsprechende Firmentochter gegründet. Und da sind zum anderen ein paar neue Länder, die im Windschatten der Chinesen mit ihren Elektroautos die Welt erobern wollen. Aus dem Osten ist das vor allem Vinfast, wo mittlerweile fünf E-Autos auf dem Stand stehen, von denen vier noch in diesem Jahr auch in Europa verkauft werden sollen. Und aus dem Süden ist das Togg, ein Joint Venture türkischer Grossunternehmen, die im neuen Jahr mit einem elektrischen SUV als Herzstück eines mobilen Ökosystems erst den Heimatmarkt aufmischen und ab 2024 über Europa den Rest der Welt erobern wollen. Und damit man ihnen den nötigen Ernst nicht abspricht, haben sie nicht nur bereits drei Serienmodelle entwickelt, sondern gleich auch noch eine visionäre Studie mit nach Las Vegas gebracht, in der ihre digitalen Träume wahr werden.
Während der Elektroantrieb Alltag ist bei den Ausstellern in der Westhall, geht auch der Autopilot nicht vergessen: Zulieferer wie ZF oder Bosch präsentieren und verkaufen immer mehr Systeme, mit denen der Fahrer immer länger Pause hat, und die Studien ganz ohne Lenkrad werden als Robotaxen und Transport-Pods immer realistischer.
Petrolheads gehen schweren Zeiten entgegen
Aber auch damit passen sie gut auf die CES – schliesslich ist Unterhaltung hier ebenfalls ein grosses Thema. Und zwar nicht nur in den Hallen mit Fernsehern gross wie Hauswände, sondern auch in der Westhall. Denn wenn das Auto zum «Third Space», zum dritten Lebensraum nach Wohnung und Büro, wird, sollen die Insassen darin auf nichts verzichten müssen. Deshalb werden die Bildschirme wie im Mercedes EQXX, im Togg oder im Sony immer grösser, und die Vernetzung mit den digitalen Kanälen schreitet voran. Amazon, Youtube und all die anderen Onlinedienste sind deshalb in immer mehr Fahrzeugen immer besser integriert – bald wird also jeder Autofan die virtuelle CES auch hinter dem Lenkrad verfolgen können und sich den Weg nach Las Vegas sparen können.
Egal, ob virtuell oder vor Ort: Wer den Bildschirm ausschaltet oder aus den Hallen tritt, der verlässt die CES durchaus mit der Zuversicht, dass das Auto bei aller Veränderung eine Zukunft hat, und mit dem Vision EQXX auf der einen und dem elektrischen Chevrolet Silverado auf der anderen Seite machen Mercedes und General Motors allen Newcomern zum Trotz deutlich, dass diese Zukunft zumindest zu einem guten Teil auch von den alten Herstellern bestimmt wird – selbst wenn die beiden wichtigsten Autos der Messe nur digital präsent waren.
Doch zumindest Petrolheads gehen schweren Zeiten entgegen – egal, ob durch ihre Adern noch Benzin oder schon Strom fliesst. Ja, BMW zeigt auf der CES auch den neuen iX M60 als erstes E-Auto der M GmbH und als erstes Serienmodell mit mehr als 1000 Nm Drehmoment. Und der elektrische Silverado kommt mit seinen fast 700 PS auf Sprintwerte wie ein Sportwagen. Doch ein Silberpfeil, der wie der EQXX 140 km/h fährt, ein Bugatti Chiron, der zum schmückenden Beiwerk für ein paar Kickscooter wird, und als erste Innovation aus dem neuen BMW 7er ein kinobreiter Deckenbildschirm für die Hinterbänkler – die altbekannte Freude am Fahren ist ein Auslaufmodell.
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