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Fliegen im Strassenverkehr
Ganz schön abgehoben

Ein futuristisches Auto mit sechs Rädern fährt entlang einer reflektierenden Oberfläche, während eine Drohne in der Nähe fliegt.
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Als Tan Wang im Januar an der CES in Las Vegas den Land Aircraft Carrier vorstellte, hatte er prominente Gesinnungsgenossen. Denn bei seiner Arbeit kann sich der Chef von AeroHT, einem Ableger des chinesischen Autoherstellers Xpeng, auf niemand Geringeren berufen als auf Ikarus oder Leonardo da Vinci. Schliesslich haben schon die vom Fliegen geträumt. «Und dieser Traum hat uns seitdem nicht losgelassen», sagt der Kölner Design-Professor Paolo Tumminelli. «Flugautos sind Bestandteil unserer kollektiven Vorstellungskraft und begegnen uns seit Jahrzehnten immer wieder.»

Allerdings tun sie dies öfter auf dem Boden als in der Luft. Denn so richtig abgehoben hat die Idee noch immer nicht. «Bis jetzt zumindest», sagte Wang an der Premiere des Land Aircraft Carrier. Der graue Koloss, der verdächtig aussieht wie ein Tesla Cybertruck, kann zwar auch nicht fliegen, hat aber eine elektrische Personendrohne an Bord. Die faltet sich automatisch aus dem Laderaum und soll den Insassen bei Dutzenden Kilometern langen Rundflügen in bis zu 300 Meter Höhe neue Perspektiven eröffnen. Zwar denkt Tan Wang dabei auch an Ersthelfer und Katastrophenschützer, sieht das Doppel allerdings eher als neues Gadget für die reiche Elite seines Landes. 

Hyundai glaubt fest daran

Die Idee ist freilich nicht neu, und immer wieder engagieren sich in diesem Geschäft auch Autohersteller. Hyundai zum Beispiel hat deshalb einen eigenen Ableger, der die Kundschaft bald ebenfalls in die Luft bringen soll: «Auf dem Boden ist es mittlerweile so voll, dass wir in die Luft ausweichen müssen, wenn wir den Verkehrskollaps vermeiden wollen», ist Young Cho Chi überzeugt. Wenn der Chefstratege im Hyundai-Konzern den urbanen Verkehr der Zukunft skizziert, dann fliegen Besucher von Shanghai oder Berlin bald mit elektrischen Drohnen führerlos zu speziellen Hubs im Stadtgebiet, von denen aus sie in autonomen Kleinbussen ans Ziel gebracht werden.

Experten sind skeptisch, was die Zukunftsfähigkeit von Flugauto-Konzepten angeht.

Drohnen wie der SA-1 zum Beispiel, den die Koreaner gemeinsam mit dem Fahrdienst Uber entwickeln. Er soll vier Personen in einer Höhe von 300 bis 600 Meter mit bis zu 290 km/h etwa 100 Kilometer weit befördern können. Chi sieht darin nicht nur eine Notwenigkeit zum Erhalt der Mobilität, sondern auch einen riesigen Markt und zitiert Studien, die von einem Bedarf von bis zu 500’000 solcher Lufttaxis ausgehen. Und das zu Stückpreisen irgendwo zwischen einer halben und zwei Millionen Dollar. 

«Wer, wenn nicht wir Chinesen?»

Allerdings müssen die Hersteller zunächst einmal ihre Projekte zum Fliegen bringen. Dass das schwerer ist als erwartet, das müssen gerade auch die deutschen Start-ups Lilium und Volocoptor lernen, die zum Jahreswechsel mal wieder vor einer finanziellen Bruchlandung stehen und bislang kaum gute Nachrichten zu verkünden hatten. «Beide Unternehmen liegen um Jahre hinter ihren Zeitplänen, bisherige Geldgeber glauben nicht mehr an einen erfolgreichen Abschluss und haben sich zurückgezogen», analysiert Dennis Röhr vom Münchner Strategieberater Berylls.

Flugtaxi von Volocopter fliegt über eine Grossstadt mit modernen Wolkenkratzern im Hintergrund.

AeroHT-Chef Wang lässt sich davon nicht entmutigen, sondern eher anspornen. «Wer, wenn nicht wir Chinesen, sollte so ein Ding zum Fliegen bringen?», fragt er provozierend. Schliesslich gäbe es nirgends mehr Geld, Know-how und politische Rückendeckung als im Reich der Mitte. Und den ersten Schritt hat er ja schon gemacht: Denn der Land Air Carrier sei keine Studie mehr und soll Ende nächsten Jahres in Serie gehen. Und obwohl er mindestens 300’000 Franken kosten wird, haben die ersten 3000 Kunden dafür schon unterschrieben. Damit dürfte die Umsetzung des Schwenkflüglers finanziert sein. 

Autonomes Fliegen ist ein Muss

Als Luxusspielzeug für Superreiche mag so etwas funktionieren, räumt Berylls-Experte Röhr ein und zollt Wang und seinen Kollegen grossen Respekt: «Die vollständige Integration eines separaten Flugmoduls in die Hard- und Software-Plattformen einer Automobil-Architektur sind technologisch eindrucksvoll.» Allerdings sieht er darin eher einen Leistungsbeweis und eine Marketingaktion denn ein Geschäftsmodell: «Das Messe-Fahrzeug unterstreicht die Kreativität und Innovationsstärke von Xpeng.» Dass daraus mehr werden könnte, scheitert in seinen Augen an einem grossen Haken: Abgesehen von der Last-Mile-Mobility für ein paar Besserverdiener in China oder den Emiraten fehlen ihm die Anwendungsfälle und die Anreize für die Kunden.

Alternativ lässt sich der Skyrider X1 als eVTOL einsetzen

Vor allem sieht er einen technischen Mangel: «Trotz der Innovationsfähigkeit hat Xpeng bisher auf einen autonomen Modus des Flugmoduls verzichtet.» Auch wenn das Fliegen nach Beteuern Wangs noch so einfach sein soll, braucht es deshalb zum Führerschein auch noch ein Flug-Brevet. «Es braucht einen Piloten, Anforderungen an Luftfahrzeugführer und Fluggeräte aller Art sind hoch, der sehr stark frequentierte Luftraum in Europa ist schwer zugänglich und viele Bereiche sind für den Überflug per se gesperrt», urteilt der Experte. Selbst wenn die technischen Hürden irgendwann überwunden werden, könnte sich das Flugauto deshalb im Paragrafendschungel verfahren oder schlicht von den Controllern gekillt werden. 

Preise sollen bald purzeln

Design-Professor Tumminelli sieht hingegen keine ernsthaften Hindernisse – man müsse nur den Horizont etwas öffnen und weiter in die Zukunft schauen: «Langfristig wird Drohnen-Technologie das Fliegen mit automatisierten Funktionen ungemein erleichtern», ist er überzeugt. «Bald braucht man keinen Pilotenschein mehr und auch nicht viel Geld.» Der kolossale Xpeng mag noch so viel kosten wie ein Luxusauto, aber die ersten Drohnen werden bereits für weniger als 10’000 Franken anvisiert.

Das wirft die Frage nach einer Regelung auf. Für Tumminelli ist es selbstverständlich, dass die massenhafte, private und bemannte Drohnen-Fliegerei nicht ohne Bürokratie erfolgen kann. Er glaubt deshalb, dass zunächst nur Taxi-Dienstleistungen möglich sein werden. Er ist überzeugt, dass die Chinesen als Erste starten und uns möglicherweise den Weg hin zu privater individuellen Aeromobilität weisen werden.