Autonomes FahrenWie sieht das Auto-Cockpit der Zukunft aus?
Will man die Vorteile des autonomen Fahrens im Privatauto voll realisieren, muss sich der Innenraum stark verändern. Wie genau, versucht die Branche grad herauszufinden.
Wann das autonome Fahren im grossen Massstab kommt, ist noch nicht klar. Doch die Branche arbeitet schon jetzt intensiv an Innenraum-Konzepten für die Robotermobile der Zukunft. Gerade ist nach knapp vier Jahren das Forschungsprojekt Rumba zu Ende gegangen. Experten aus Industrie und Wissenschaft haben sich mit allen Fragen rund um selbstfahrende Privatauto sowie Lastwagen beschäftigt. Und neue Konzepte entwickelt sowie erprobt: vom autonomen «Flix-LKW» bis zum Doppel-Joystick als Lenkradersatz.
Wann autonome Autos wirklich auf der Strasse sein werden, kann auch Michael Schulz nicht sicher sagen. Der Bosch-Ingenieur koordiniert das Forschungsprojekt, an dem neben seinem Arbeitgeber unter anderem Audi, VWs Software-Tochter Cariad, MAN und die Universität Stuttgart beteiligt sind. Neben technischen Fragen seien vor dem Marktstart vor allem rechtliche und politische Probleme zu klären, auf die die Autohersteller und Zulieferer keinen unmittelbaren Einfluss hätten. Optimistische Stimmen erwarten den Durchbruch noch für das laufende Jahrzehnt, pessimistischere rechnen frühestens in der ersten Hälfte des kommenden damit. Wenn es so weit ist, will die Branche aber gute Antworten auf ein paar ganz praktische Fragen haben: etwa auf die, wie der Innenraum vollautomatisierter Fahrzeuge aussehen muss, damit sich die Insassen entspannen oder ihrer Arbeit nachgehen können.
Joysticks statt Lenkrad
Schulz nennt direkt einen der zentralen Punkte: «Wir brauchen viel grössere Verstellfelder für die Sitze.» Nur mit längeren Schienen und flexibleren Positionierungen liessen sich diese in eine Position bringen, in der bequem entspannt oder entspannt gearbeitet werden könne. Dabei müssen nicht nur Lehnen und Sitzflächen verschoben werden, auch Pedalerie und Lenkrad werden viel beweglicher und ziehen sich etwa bei Nichtnutzung zurück.
Neben wegfahrenden oder wegklappbaren Volants haben die Experten auch alternative Steuerelemente untersucht. Als grundsätzlich tauglich wurden beispielsweise Joysticks identifiziert. Sie benötigten deutlich weniger Platz als ein klassisches Lenkrad und erlaubten nach kurzer Eingewöhnung eine präzise und sichere Bedienung, sagt Schulz. «Eine Problematik, die noch nicht ausreichend erforscht ist, aber auftreten könnte, wäre beispielsweise, dass dem Fahrer nach einer Weile die Hände einschlafen könnten. Denn anders als beim Lenkrad ist die Position der Hände relativ statisch.»
Zu den offenen Fragen auf dem Weg zum autonomen Fahren zählt auch noch die der Übergabe des Steuers von der Maschine zum Menschen. Die kann relativ schnell erfolgen, wenn der Insasse gerade nur Zeitung liest. Oder recht lange, wenn er ein Nickerchen macht. Rund 60 bis 90 Sekunden benötigt ein Tiefschläfer, bis er wieder konzentriert das Steuer übernehmen kann – auch das haben die Experten in Experimenten ermittelt. Im Notfall muss das natürlich viel schneller gehen – droht ein Crash, werden die Insassen über die Sitzeinstellungen fix in eine sichere Position gebracht. Vollautomatisierte Autos werden dazu deutlich leistungsfähigere Stellmotoren nutzen als heutige Autos – weil sie dank E-Antrieb eh über ein Hochspannungs-Bordnetz verfügen, ist der technische Aufwand sogar überschaubar.
Pendelnde Sitze gegen Reiseübelkeit
Ein weiteres Problemfeld ist die Reiseübelkeit, die vor allem beim Lesen, Filmeschauen und bei der Bildschirmarbeit auftreten kann. Sie resultiert aus widersprüchlichen Wahrnehmungen des Körpers, die dieser als Vergiftung interpretiert. Während das Gleichgewichtsorgan Bewegung registriert, nimmt das Auge eine statische Umgebung wahr – Resultat sind Unwohlsein, Kopfschmerz oder sogar Erbrechen. «Wir konnten die Reiseübelkeit bereits durch ein angepasstes Fahrverhalten minimieren», erläutert Bosch-Entwickler Schulz. Beschleunigt der Computer am Steuer langsam und bremst er das Fahrzeug sanft ab, fällt der Sinneskonflikt bei den Insassen bereits deutlich schwächer aus.
Weitere Erleichterungen könnten laut Schulz Entwicklungen wie ein leicht pendelnder Sitz bringen, der die Beschleunigung der Passagierkörper noch stärker dämpft, oder eine Hinterradlenkung mit extra grossem Radwinkel. Das Auto «driftet» so nahezu in Kurven, was an Reiseübelkeit leidende Insassen als weniger unangenehm wahrnehmen. «Es hilft teilweise aber auch schon, die Passagiere durch akustische oder optische Signale auf das kommende Fahrmanöver vorzubereiten», sagt Schulz. Die Insassen werden dann von einem Bremsvorgang oder einer Kurvenfahrt nicht mehr so stark überrascht und können sich besser darauf einstellen. Allerdings hat das Konzept Grenzen, denn ein solcher Hinweis würde etwa von der Bildschirmarbeit ablenken.
Werden LKW führerlos?
Während das autonome Fahren im Privatauto zunächst wohl auf Luxus- und Nischenmodelle beschränkt bleibt, könnte es sich im LKW schnell durchsetzen. Denn das Ersetzen des Fahrers durch eine Maschine bringt zumindest theoretisch einen erheblichen Kostenvorteil. Von der Idee, auf die LKW-Kabine komplett zu verzichten, ist man laut Schulz aktuell aber abgekommen. «Ohne Fahrerhaus fehlt ein Platz für die Akkus. Ausserdem wäre es aerodynamisch ungünstig, den Auflieger direkt im Wind stehen zu haben», erklärt der Ingenieur. Anstatt also aufwendige Luftleitwerke und Batteriegehäuse zu bauen, wird man daher wohl das klassische Fahrerhaus weiter nutzen – allerdings in neuer Form und mit neuer Funktion. So gibt es im Rahmen des Rumba-Projekts etwa Versuche, die Kabine zum Personentransport zu nutzen. Entweder für die eigenen Angestellten, die von Logistik-Hub zu Logistik-Hub fahren, oder sogar als öffentliches Verkehrsmittel, eine Art «Flix-LKW».
Welche Ideen und Entwicklungen sich am Ende durchsetzen, werden die kommenden Jahre zeigen. Bosch etwa sieht vor allem bei der Regelung des Fahrverhaltens künftiger teil- bis vollautomatisierter Fahrzeuge konkretes Potenzial für eine kurzfristige Serienentwicklung. Darüber hinaus dient das Projekt aber auch dazu, die beteiligten Unternehmen schon vor dem Durchbruch der Technik zu vernetzen – etwa, um gemeinsame Standards zu entwickeln und Problemfelder zu erkennen. Klar ist daher schon, dass es ein Folgeprojekt zu Rumba geben wird. Dann unter dem nicht weniger feurigen Namen Salsa.
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