Gastkommentar zur AussenpolitikAtomwaffen verbieten – jetzt!
Der Bundesrat zögert die Unterzeichnung des Atomwaffenverbots hinaus. Das ist unverständlich und der Schweiz nicht würdig.
Der 22. Januar hätte eigentlich ein grosser Tag für die Schweizer Diplomatie sein können: Der Vertrag über das Verbot von Atomwaffen (TPNW) trat in Kraft – aber ohne die Schweiz.
Dabei hat die Schweiz den Vertrag angestossen. 2010 sagte die damalige Aussenministerin Micheline Calmy-Rey vor der UNO-Generalversammlung, dass Atomwaffen illegal sind, weil sie zwischen zivil und militärisch nicht unterscheiden und damit gegen das humanitäre Völkerrecht verstossen. «Man muss sie delegitimieren», sagte Calmy-Rey, «und mit einer neuen Konvention ausserhalb des Rechtsrahmens stellen.»
Calmy-Reys Rede lancierte den Prozess in der UNO, der 2017 zum Abschluss des Atomwaffenverbots führte. Aber auf Antrag von Aussenminister Ignazio Cassis hat der Bundesrat seine Unterschrift verweigert.
Cassis stützte sich dabei auf einen argumentativ fragwürdigen Bericht seines Departements. Den Bundesrat konnte er überzeugen, das Parlament aber nicht: Beide Kammern stimmten meiner Motion zu, die den Bundesrat zur sofortigen Unterzeichnung des Vertrags auffordert. Doch der Bundesrat braucht offenbar Zeit zum Nachdenken.
Cyberattacken und der Einsatz von künstlicher Intelligenz erhöhen das Risiko eines unkontrollierten Einsatzes von Atomwaffen.
Dabei verschlechtert sich das strategische Umfeld laufend, gleichzeitig werden die nuklearen Risiken grösser. Die USA 2 sind 2018 aus dem Atomabkommen mit dem Iran ausgestiegen. 2019 lief das Abkommen über Mittelstreckenraketen aus. 2020 zeichnete sich das mögliche Ende des «New START»-Abkommens ab, das die Zahl der strategischen Nuklearwaffen beschränkt.
Mit der Indienststellung der sogenannten Mini-Nukes haben die Militärs begonnen, Szenarien für den «limitierten» Einsatz von Nuklearwaffen zu entwerfen. Cyberattacken und der Einsatz von künstlicher Intelligenz erhöhen das Risiko eines unkontrollierten Einsatzes von Atomwaffen. Und Staatschefs aus Atomstaaten drohen vermehrt mit dem Einsatz dieser Waffen.
Aber Aussenminister Ignazio Cassis hat entschieden, zuerst das Ergebnis des nächsten Treffens der Vertragsstaaten des Atomsperrvertrags (NPT) in diesem Jahr abzuwarten, bevor er sich an die Umsetzung meiner Motion machen will. Das Ergebnis dieser Konferenz wird allerdings an den Forderungen der Motion nichts ändern.
Cassis will zudem externe Experten beiziehen. Dabei hat das Parlament in dieser Sache bereits seine politische Position festgelegt. Es ist auch wahrscheinlich, dass Herr Cassis seinen Entscheid, bis Ende 2021 eine neue Abrüstungsstrategie vorzulegen, dazu benutzen wird, eine Entscheidung zum TPNW aufzuschieben. Im Jahre 2022 schliesslich ist zu befürchten, dass Herr Cassis dannzumal sagen wird, für die Unterzeichnung des Atomwaffenverbotsvertrags sei im Hinblick auf die mögliche Mitgliedschaft der Schweiz im UNO-Sicherheitsrat nicht der richtige Zeitpunkt.
Zögert der Bundesrat weiterhin, befindet sich die Schweiz bald unweigerlich im Lager der Atomwaffenbefürworter.
Wie sind wir in diese Situation geraten? Ganz einfach, weil es dem Bundesrat heute an der Vision, der Überzeugung und dem politischen Mut von 2010 fehlt. Damals basierte die Abrüstungspolitik auf einer kohärenten Logik durch unseren Status als Depositarstaat der Genfer Konventionen und Verteidiger des humanitären Völkerrechts. Diese Haltung wurde von den Grossmächten verstanden und respektiert.
Die heutige zögerliche Haltung unterminiert hingegen die Glaubwürdigkeit der Schweiz. Man will den Grossmächten gefallen durch Verzicht auf unsere Werte und Identität, wird dafür aber nicht belohnt. So haben die USA letzten Dezember nicht gezögert, die Schweiz als Währungsmanipulatorin anzuprangern. Zudem schwächt die fortgesetzte Weigerung, den Willen des Parlaments zu beachten, unsere Institutionen.
Diese absurde Sage hat viel zu lange gedauert. Es ist Zeit, den Vertrag über das Verbot von Atomwaffen zu unterzeichnen. Nur das wird dem Credo von Ignazio Cassis wirklich gerecht: «Aussenpolitik ist Innenpolitik» umzusetzen.
Zögert der Bundesrat weiterhin, befindet sich die Schweiz bald unweigerlich im Lager der Atomwaffenbefürworter. Dabei waren es unser Land und unsere Bundesrätinnen, die den Anstoss zum Verbot dieser Waffen lanciert haben.
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