US-Autorin Joy WilliamsAn sie kommt niemand heran
Es ist gleichermassen ein Glück und ein Skandal. Die US-Autorin Joy Williams zeigt in ihren Kurzgeschichten ein grosses Talent für das Groteske. Endlich wurde sie ins Deutsche übersetzt.
Irgendwo in Arizona lebt eine Frau mit zwei Schäferhunden und denkt sich die besten Kurzgeschichten aus. Joy Williams ist eine Meisterin des Morbiden und Komischen. Scharfkantig und hypnotisch erzählt die Amerikanerin davon, wie sich Menschen gegenseitig ruinieren. Oft ganz still, was sich erst bemerkbar macht, wenn sie etwas seltsam werden. Wie die Frau, die sich in eine Lampe verliebt – als wäre es das Normalste auf der Welt.
Das Joy-Williams-Universum ist eine besondere Melange aus Komik und verfehlter Liebe. Eigentlich suchen alle Figuren Erlösung – finden sie aber nicht. Die Autorin beherrscht die Klaviatur dessen, was Menschen imstande sind, sich gegenseitig anzutun. Davon erzählt sie in einer glasklaren Sprache und mit beeindruckendem Gespür für Dramaturgie. Eine andere Autorin oder einen anderen Autor, deren Begabung an jene von Joy Williams’ heranreicht, muss man lange suchen.
Morbid und prophetisch
In einer Geschichte schreibt sie, dass die Figuren «gegen das Leben selbst allergisch sind». Ob die Sonnenbrille der Autorin auch ein Schutz gegen Welt-Allergie ist? Wer weiss. Die Geschichte um das Markenzeichen der Autorin soll sich so zugetragen haben: Joy Williams habe ihre Brille vergessen, als sie zu einem Vortrag eingeladen gewesen sei. Kurzerhand setzte sie sich die geschliffene Sonnenbrille auf. Und setzte sie danach nie mehr ab.
Wenn Williams ins Fantastische springt, dann hat es einen Grund. Die besagte Frau verliebt sich nicht einfach so in eine Lampe. Nein, es ist die Geschichte eines Verlusts. Ihr Mann, der die Lampe gebaut hat, stürzt bei der Jagd, wird zum Pflegefall, und ein junger Mann kümmert sich ein bisschen zu aufopferungsvoll um ihn. Die Frau gerät ins Abseits und findet Trost bei der Lampe. Die liest gern «Moby Dick» (genau, und die Frau zieht ihr zuliebe in Hotelzimmern allen Lichtkörpern den Stecker, um sie nicht zu enttäuschen).
In «Die Mutterzelle» treffen sich verschiedene Frauen. Was sie verbindet? Sie sind alle Mütter von Mördern. In einer zunächst heiteren Runde tauschen sie sich über die Taten der Söhne aus. Wenn man bei solchen Szenen noch lachen muss, folgen sofort existenzielle Sätze, die vom Versuch erzählen, mit der Schuld umzugehen: «Wir können die Sünden unserer Kinder nicht wiedergutmachen. Wir haben das Desaster geboren und Geschichte gemacht. Ach, Frauen, meine Freundinnen, nichts haben wir geklärt, und die Erde ist nicht mehr schön.»
Wie konnte Joy Williams so lange übersehen werden?
Das deutschsprachige Feuilleton ist im Moment unisono schockiert und gleichzeitig begeistert. Begeistert, weil es ein Glück ist, liegen jetzt 13 Erzählungen der Meisterin des Grotesken auf Deutsch vor. Und schockiert, weil es ein Skandal ist, dass es so lange gedauert hat, und sich niemand erklären kann, warum diese Autorin übersehen wurde. Sie ist eine dieser Autorinnen, die andere literarische Stars verehren. Das macht sie natürlich für die Leserschaft umso sympathischer.
Ihre Fans sind keine Geringeren als Jonathan Franzen, Bret Easton Ellis, Don Delillo oder Raymond Carver. Franzen schrieb dem dtv-Verleger einen Brief, der dem Buch beigelegt wurde. «Die Storys sind alle hervorragend. Sie für dtv zu gewinnen, wäre, glaube ich, so was wie ein Coup. Schau sie Dir unbedingt an! J.» Gesagt, getan.
«Stories» – der Titel so schlicht, dass er schon wieder grossartig ist – versammelt 13 Kurzgeschichten, die Joy Williams selbst zusammengestellt hat. Sie erschienen zwischen 1972 und 2014. Das ist deshalb erwähnenswert, weil sie zeitlos sind. Ausser in einer Geschichte, in der Automarken genannt werden, stellt die Autorin keine einzige zeitgeistige Referenz her. Das hat ihr Erzählen nicht nötig.
Die Geschichte «Letzte Generation» kann vor dem Hintergrund der Debatte um die Klimakleber gar als prophetisch gelesen werden. Erschienen ist sie bereits 1990. Tommy, 9 Jahre alt, freundet sich mit einem älteren verrückten Mädchen an. Sie schenkt ihm ein Buch über Tiere, die gleich nach der Entdeckung ausgerottet wurden. Tommy weiss nicht, was ausgestorben heisst. Das Mädchen sagt: «Jetzt leben wir im Jahrhundert der Zerstörung… es dauert vielleicht nur noch fünfzig Jahre, um sie auszulöschen. Wir wollen nicht dabei sein, wenn die Erde ausgelöscht wird.»
Ein Auto mitten im Wohnzimmer
Eine andere Geschichte zeigt auf knapp 25 Seiten das gesamte Können von Joy Williams. Die Erzählung «Rost» ist angelegt wie ein Kammerspiel. Einem Mann und einer Frau kommen die Gefühle füreinander abhanden. Also kaufen sie sich ein Auto, das sie sich ins Wohnzimmer stellen und in das sie sich reinsetzen, um doch noch miteinander ins Gespräch zu kommen.
Die Frau denkt aber auch, sie sei die Autohupe, und ruft «Vorsicht!» aus dem Fenster. Ob sie auch die Bremse sei, fragt eine andere Figur, nein, nein, eine Bremse habe das Auto. Caroline, die die Autohupe mimt, spricht auch mit einem Teppich aus Yucatán. Um ein bisschen anzugeben. Caroline kann nämlich gar kein Spanisch.
Ja – das ist Joy Williams, bei der man sich einiges abschauen kann. Den Blick auf die Welt in Schräglage und den Witz für das manchmal lächerlich Kreatürliche von uns.
Oder: Antworten Sie, wenn Sie das nächste Mal gefragt werden, was auf einem Zettel steht, einfach mit: «Weiss ich nicht. Den habe ich aufgegessen.»
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