Neue Seco-Daten zur BeschäftigungAm Arbeitsmarkt geht es aufwärts
Die Arbeitslosenquote hat sich stabilisiert. Für eine Entlassungswelle im Herbst oder Winter fehlen jegliche Anzeichen. Ausgestanden ist die Krise aber noch nicht.
Die am Mittwochmorgen veröffentlichten Zahlen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) zum Schweizer Arbeitsmarkt machen deutlich, dass der im Frühjahr befürchtete Kahlschlag nicht eingetroffen ist – und auch kaum eintreffen wird. Die Arbeitslosenquote ist im August nur um 0,1 Prozent auf 3,3 Prozent angestiegen. Bereinigt um saisonale Effekte ist sie sogar bei 3,4 Prozent stabil geblieben. Im Januar lag die (unbereinigte) Quote noch bei 2,6 Prozent.
Auch für die Zukunft gibt es bisher keine Anzeichen für eine breite Entlassungswelle, wie Boris Zürcher, Leiter der Direktion für Arbeit, erklärt. Diese Befürchtung wurde vor allem von der Sorge getrieben, dass krisenbedingt ein grosser Teil der Unternehmen Konkurs anmelden müsse. Eine solche Entwicklung würde sich in den Insolvenzentschädigungen niederschlagen. Doch hier zeigt sich nichts. «Im Vergleich zum Vorjahr sehen wir in diesen Daten keine auffällige Veränderung», sagt Zürcher.
Sichtbar ist allerdings eine Zunahme der Anmeldungen für Massenentlassungen. Laut Obligationenrecht müssen Unternehmen solche Pläne anmelden. Bisher sind davon 8000 Beschäftigte insgesamt betroffen, 2500 kamen im August dazu. Laut Zürcher sind es vor allem grössere Unternehmen mit Restrukturierungsplänen, die einen entsprechenden Abbau planen.
Tiefere erwartete Arbeitslosenquote
Doch die Zahl der tatsächlichen Entlassungen dürfte deutlich tiefer ausfallen. Erfahrungsgemäss sei das nur ein Bruchteil dessen, was die Unternehmen anfänglich anmeldeten, sagt der oberste Arbeitsmarktverantwortliche der Schweiz. Zudem würde bei grossen Unternehmen auch die gewöhnliche Fluktuation den Druck zum Personalabbau mindern. Ohne die letztendlich ausgesprochenen Kündigungen beschönigen zu wollen, gebe es schlicht keine Hinweise auf einen starken Anstieg der Arbeitslosigkeit im Herbst oder Winter, ergänzt Boris Zürcher.
Bisher erwartet man beim Seco noch eine Arbeitslosigkeit von 3,8 Prozent für das gesamte Jahr 2020. Das würde angesichts der bisherigen Erhebungen aber einen deutlichen Anstieg bis Ende Jahr bedingen. Am Donnerstag wird das Seco eine neue Schätzung für das Jahr veröffentlichen, und Zürcher liess bereits durchblicken, dass die Zahlen nach unten korrigiert würden. Das gleiche Bild zeigen die Frühindikatoren des Arbeitsmarktökonomen George Sheldon. Die Trendwende am Schweizer Arbeitsmarkt, die sich bereits im Juni abgezeichnet habe, hätte sich im August nicht nur bestätigt, sondern sogar weiter beschleunigt.
Auf dem Höhepunkt der Krise im April wäre die Arbeitslosenquote
ohne Kurzarbeit vermutlich auf über 20 Prozent gestiegen.»
Dass die Arbeitslosigkeit bisher nicht stärker angestiegen ist, lag an der Kurzarbeitsentschädigung, die auch diesen Zweck verfolgt. Gemäss einer groben Schätzung beim Seco hätte die Arbeitslosenquote im März statt bei 2,9 Prozent bei mehr als 10 Prozent gelegen, hätte es die Kurzarbeit nicht gegeben. Auf dem Höhepunkt der Krise im April wäre die Quote vermutlich sogar auf über 20 Prozent gestiegen, tatsächlich lag sie bei 3,3 Prozent. Danach wäre jedoch die Arbeitslosigkeit wieder deutlich gesunken, auf etwas mehr als 8 Prozent im Juni.
Das liegt aber auch daran, dass die Beanspruchung der Kurzarbeit seit dem April drastisch zurückging. Insgesamt lagen Bewilligungen für Kurzarbeit von 1,9 Millionen Beschäftigten vor. Beansprucht wurde sie von den Unternehmen aber für deutlich weniger: Auf dem Höhepunkt im April für rund 1,3 Millionen Beschäftigte, im Mai noch für 1 Million, und im Juni sank die Zahl bereits auf eine halbe Million. Weil sich die Unternehmen für die Abrechnung der zuvor bewilligten Kurzarbeit drei Monate Zeit lassen können, dürften die Zahlen für den Juni und den Juli noch etwas ansteigen.
Gestärkte Finanzlage der Haushalte
Seither sind die Anträge und Bewilligungen für Kurzarbeit für den Oktober und den September ebenfalls deutlich zurückgegangen: Für den September wurden Bewilligungen für 422’000 Beschäftigte und damit 8 Prozent aller Beschäftigten erteilt und für den Oktober 340’000 Bewilligungen, was noch 6,6 Prozent aller Beschäftigten entspricht. Zum Vergleich: Im April lagen solche Bewilligungen für mehr als 36 Prozent aller Beschäftigten vor, 25 Prozent aller Arbeitskräfte haben damals davon Gebrauch gemacht.
Kurzarbeit hatte noch eine weitere für die ganze Volkswirtschaft und den weiteren Konjunkturverlauf entscheidende Funktion: Sie hat die Einkommen der Beschäftigten stabilisiert. So zeigen die Daten, dass die durch die Kurzarbeit gestützten Einkommen deutlich weniger stark zurückgingen als die Konsumausgaben. Das bedeutet, dass die finanzielle Lage der Haushalte sich verbessert hat und deren Ersparnisse angestiegen sind. Das wiederum ist eine gute Voraussetzung für eine wirtschaftliche Erholung.
Die Kurzarbeit hat allerdings auch hohe Kosten zur Folge. Die bisherigen Ausgaben durch die Krise belaufen sich auf 6,7 Milliarden Franken. Wie Boris Zürcher aber versichert, führen diese Kosten und die zu erwartenden nicht dazu, dass der Arbeitslosenfonds auf das nächste Jahr hin an seine Ausgabengrenze stösst und Massnahmen wie höhere Beiträge nötig wären. Das liegt vor allem an bereits beschlossenen und noch im Parlament hängigen Zuschüssen aus der Bundeskasse von insgesamt rund 20 Milliarden Franken, die allerdings kaum vollumfänglich beansprucht werden dürften. Mit den Zuschüssen soll verhindert werden, dass durch höhere Beiträge für die Arbeitslosenversicherung die Arbeitskosten steigen, was Gift für die wirtschaftliche Erholung wäre.
Sämtliche am Mittwoch präsentierten Zahlen bestätigen das Bild, dass es mit der Wirtschaft nach dem schlimmen zweiten Quartal wieder deutlich aufwärtsgeht. Das gilt in erster Linie für die Binnenwirtschaft. Für Jubelstimmung ist es aber dennoch zu früh. Das liegt zum einen an den verbleibenden Unsicherheiten zum weiteren Verlauf der Virusansteckungen und nötigen Gegenmassnahmen. Zudem spielt für die besonders offene Schweizer Volkswirtschaft die Entwicklung im Ausland eine grosse Rolle.
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