Gastbeitrag zur AltersvorsorgeDie zweite Säule braucht eine Systemreform
Die Renten sinken, es droht Altersarmut. Die Politik muss die Pensionskassen zu einer anderen Anlagestrategie verpflichten. Ein Gastbeitrag von Hans Kissling.
Jetzt, da sich der Pulverdampf der Abstimmung vom 22. September verzogen hat, bietet sich Raum für zwei grundsätzlichere Überlegungen zur Altersvorsorge. Die eine betrifft die sinkenden Renten bei der zweiten Säule infolge von sinkendem Umwandlungssatz und tieferer Verzinsung des Vorsorgekapitals. Bis in die frühen Zweitausenderjahre betrug der Mindestzinssatz rund 4 Prozent. Seit der Finanzkrise von 2008 ist er kontinuierlich bis auf heute rund 1 Prozent gesunken. Die tiefe Verzinsung des Vorsorgekapitals, die längerfristig kaum zu verhindernde Senkung des Umwandlungssatzes bei der obligatorischen Altersversicherung auf 6 Prozent und der zum Teil noch viel tiefere Umwandlungssatz beim Überobligatorium reduzieren die künftigen Renten im Vergleich mit den Renten vor zwanzig Jahren auf die Hälfte oder weniger. Zwar ist damit zu rechnen, dass bei andauernd tiefen Zinsen auch die Teuerung relativ tief ausfällt, sodass die realen Rentenverluste kleiner sind. Steigende Mieten und Krankenkassenprämien können aber dazu führen, dass es zu Altersarmut kommt. Die 13. AHV-Rente wird nur einen Teil davon kompensieren.
Die Politik wird nicht darum herumkommen, das Problem der drohenden Altersarmut anzugehen. Etwa durch ein anderes Anlagesystem bei der zweiten Säule, welches zu höheren Renten führen kann. Gegenwärtig wird das BVG-Kapital zumeist aktiv angelegt. Dabei werden durch die Finanzindustrie ständig neue Anlagestrategien entwickelt und Aktien sowie Immobilien gekauft und verkauft, was zu hohen sogenannten Transaktionskosten führt. Der Finanzexperte und Autor Danny Schlumpf schätzt das Total von Gebühren und versteckten Transaktionskosten auf 20 Milliarden Franken, was fast zwei Dritteln der Summe der ausbezahlten Jahresrenten aller Versicherten entspricht.
Kosten für die Verwaltung reduzieren
Die Pensionskassen sollten deshalb verpflichtet werden, ihr Vermögen in passiv bewirtschafteten Indexfonds zu investieren, was die Kosten für die Verwaltung stark reduzieren würde. Der norwegische Staatsfonds, welcher eine vergleichbare Grösse wie der Schweizer Pensionstopf hat, funktioniert nach diesem Prinzip und erzielt eine doppelt so hohe Rendite wie die Schweizer Pensionskassen. Das würde zu erheblich höheren Renten führen.
Das andere, bisher kaum beachtete Problem der Altersversorgung betrifft die stark unterschiedliche Rentenbezugsdauer verschiedener Bevölkerungsgruppen. Studien aus verschiedenen Ländern belegen, dass Gutverdienende länger leben als Personen mit tiefem Einkommen. Der Unterschied beträgt bei den Frauen acht und bei den Männern zehn Jahre. Das bedeutet, dass Menschen mit hohen Einkommen oder mit höherer Bildung einen viel höheren «return on investment» erhalten. Mit anderen Worten: Es findet eine Umverteilung von Personen mit tiefen Einkommen zu Personen mit hohen Einkommen statt.
Gleiche Effekte gibt es auch zwischen Berufsgruppen. So haben Personen mit schwerer körperlicher Arbeit eine tiefere Lebenserwartung als Personen mit geistigen Berufen. Immerhin gibt es für Bauarbeiter die Möglichkeit einer finanziell gut gesicherten Frühpensionierung ab 60 Jahren. Einige weitere Berufsgruppen mit schwerer körperlicher Belastung kommen ebenfalls in den Genuss von gewissen Erleichterungen in der AHV. Diese kompensieren aber den Effekt der tieferen Lebenserwartung keinesfalls.
Hans Kissling ist Ökonom und ehemaliger Chef des Statistischen Amtes des Kantons Zürich.
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