Analyse zum britisch-französischen Streit Allerliebste Gegner – warum Macron und Johnson einander brauchen
Der britische Premier und der französische Präsident haben kein grosses Interesse daran, auf den anderen zuzugehen, weil die Konfrontation ihnen innenpolitisch nützt. Deshalb stellen sie diese demonstrativ zur Schau.
In Beziehungen braucht es bisweilen Zeit, um herauszufinden, warum man einander nicht mehr über den Weg traut. Im Verhältnis zwischen Frankreich und Grossbritannien ist das nicht nötig. Der Auslöser für die französisch-britische Entfremdung ist ziemlich klar: der Brexit.
Auch wenn beide Seiten seit dem Referendum zum britischen EU-Austritt oft beteuerten, Freunde bleiben zu wollen, konnten sie in den Brexit-Verhandlungen nur Gegner sein. Nun, fünf Jahre nach der Volksabstimmung, hat sich daran nicht viel verändert. Es gibt zwar ein Handelsabkommen zwischen der EU und Grossbritannien, aber Boris Johnson muss noch immer beweisen, dass der Brexit ein Erfolg ist. Emmanuel Macron obliegt es wiederum, das Gegenteil zu tun.
Es geht nur um ein paar Dutzend Lizenzen
Es stehen sich also ein britischer Premier und ein französischer Präsident gegenüber, die kein grosses Interesse daran haben, auf den jeweils anderen zuzugehen. Weil beiden die Rivalität vor allem innenpolitisch nützt, stellen sie diese demonstrativ zur Schau. Und so wird dann eben ein Streit über Fischereirechte zum Kampf um nationale Identität erkoren. Dass es dabei nur um ein paar Dutzend Lizenzen geht, die wirtschaftlich kaum Bedeutung haben, spielt keine Rolle.
Für Johnson und Macron ist vor allem eines wichtig: Sie können diesen aussenpolitischen Konflikt für ihre Zwecke instrumentalisieren. In der konservativen Partei des britischen Premierministers ist der Brexit nach wie vor der Garant für den Zusammenhalt. Anders als bei Klimazielen oder Corona-Massnahmen kann Johnson seine Tories hinter sich vereinen, wenn er in den Brexit-Kampf gegen «die Franzosen» zieht. Und auch Macron nutzt die Ressentiments seiner Landsleute, wenn er «den Engländern» im Fischereistreit den Bruch des Brexit-Vertrags vorwirft. Der Präsident muss dabei das Argument der französischen Rechtsextremen entkräften, die behaupten, dass die Briten die «Brexit-Schlacht» gewonnen hätten, und so tun, als ob Frankreichs Zukunft ohnehin am besten ausserhalb der EU liege. Wie es aussieht, dürfte der Brexit vor der französischen Präsidentenwahl im Frühjahr noch eine wichtige Rolle spielen.
Doch bei allem Misstrauen, das sich zwischen Johnson und Macron in den vergangenen Jahren aufgebaut hat, müssen die beiden aufpassen, dass sie es nicht übertreiben. Einfach ist das nicht, schliesslich sind beide Männer sehr von sich überzeugt. Man kann sich also darauf gefasst machen, dass es weiter zu vollkommen unnötigen Provokationen kommen dürfte.
Unvergessen ist etwa in London, dass Macron den Corona-Impfstoff des britisch-schwedischen Herstellers AstraZeneca in der Hochphase der Impfstoffdebatte öffentlich diskreditierte. Und in Paris rümpft man noch immer die Nase über Johnson, der den Groll Macrons über das Aukus genannte Militärbündnis zwischen Australien, Grossbritannien und den USA mit den Worten abtat: «Donnez-moi un break» – gönnt mir eine Pause.
Nun, Boris Johnson und Emmanuel Macron werden sich ganz sicher nicht in Ruhe lassen. Das können sie auch gar nicht, schliesslich sind sie Nachbarn. Und als solche dürfen sie bei aller historisch gewachsenen Rivalität ihrer Nationen eines nicht vergessen: Die Stabilität des Westens hängt nicht zuletzt davon ab, dass London und Paris an einem Strang ziehen. Hoffentlich auch mal wieder in die gleiche Richtung.
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