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Umstrittenes Ökolabel
In der EU gelten AKW als «grün» – Schweizer Atombranche will nachziehen

TA 24.09.2002. AKW Leibstadt.
Bildtext: Kernkraftwerk Leibstadt
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Die Schweizer Kernkraftwerke sollen so lange weiterlaufen, wie sie sicher sind. Sie «unnötig früh» abzustellen, weil Betreiber teure Nachrüstungen in die Sicherheit nicht mehr finanzieren wollen oder können – dieses Szenario möchte SVP-Energieminister Albert Rösti verhindern.

Hintergrund seiner Aussage vom vergangenen Herbst ist die Sorge um die sichere Stromversorgung. Noch produziert die Schweiz viel zu wenig Strom aus erneuerbaren Energien, um den in Zukunft wachsenden Bedarf zu decken. Alternativen wie Gaskraftwerke sind klimaschädlich. Der Neubau von Kernkraftwerken ist verboten. Und: Sich zu stark auf Importe zu verlassen, kann riskant sein, wie die Energiekrise im vergangenen Winter gezeigt hat.

Dasselbe Ziel wie Rösti hat das Nuklearforum Schweiz. Der Verein setzt sich für die friedliche Nutzung der Kernenergie ein und wird von Röstis Parteikollege Hans-Ulrich Bigler präsidiert.

Der Plan des Vereins: Die Schweizer Kernkraftwerke sollen in Zukunft unter das sogenannte Taxonomie-Regelwerk der EU für nachhaltige Investitionen fallen – gleich wie heute schon die Atomanlagen in den EU-Mitgliedstaaten. «Dieser Schritt», sagt Geschäftsführer Lukas Aebi, «würde die mögliche Finanzierungspalette bei Nachrüstungsprojekten erweitern und den Kreis potenzieller Investoren vergrössern.» 

Umstrittener Beschluss

Die EU-Taxonomie definiert nachhaltige Wirtschaftstätigkeiten. Für Investoren wird so ersichtlich, ob ein Unternehmen klimafreundlich wirtschaftet. Die Taxonomie soll also mehr Geld in entsprechende Technologien und Unternehmen lenken und der EU auf diese Weise helfen, bis 2050 klimaneutral zu werden.

Seit vergangenem Jahr stuft die EU auch die CO2-arme Kernkraft und Erdgas als nachhaltig ein. Der Entscheid für die Aufnahme in die Taxonomie war umstritten. Umweltorganisationen sprachen von «Greenwashing», da bei der Nutzung der Atomenergie radioaktiver Abfall entstehe und beim Verbrennen von Erdgas CO2. Im vergangenen Frühling reichten sie deshalb beim Gericht der Europäischen Union in Luxemburg Klage dagegen ein. Der Fall ist hängig.

Die Nuklearbranche dagegen frohlockt. Ihr ist es nun möglich, sogenannt grüne Anleihen auszugeben. Sie hofft, so den Betrieb ihrer Reaktoren oder Neubauten leichter finanzieren zu können. Im Dezember hat mit der finnischen TVO das erste europäische Atomunternehmen grüne Anleihen in der Höhe von 280 Millionen Euro platziert. Inwieweit Geldgeber auf den Kapitalmärkten tatsächlich in solche Unternehmen investieren werden, muss sich erst noch zeigen. 

Der Bund wird die Nuklearbranche kaum unterstützen

Das Nuklearforum ist inzwischen bei der EU vorstellig geworden. Es hat sich kurz vor dem Jahreswechsel gegenüber Brüssel dafür ausgesprochen, dass auch Kernkraftwerke in der Schweiz das grüne Label erhalten sollen. Die EU-Kommission hat noch nicht reagiert.

Womöglich würde es helfen, wenn sich der Bund einschalten würde. Doch Unterstützung kann die Nuklearbranche kaum erwarten. Röstis Departement erklärt, die Taxonomie solle Grundlage für Investitionen in Energieinfrastrukturen innerhalb der EU sein. Die Schweiz als Nicht-EU-Mitgliedstaat betreffe sie daher kaum. Die Frage, ob sich Rösti bei der EU für eine Gleichstellung der Schweizer Kernkraftwerke einsetzen wird, lässt das Departement unbeantwortet.

Auch zum Energiecharta-Vertrag äussern sich Röstis Leute nicht. Das Nuklearforum begründet mit diesem Abkommen die Notwendigkeit einer Gleichbehandlung von Atomanlagen in der EU und der Schweiz mit dem Energiecharta-Vertrag. Das völkerrechtlich verbindliche Abkommen, das 1998 in Kraft trat, verpflichtet zu einem freien Zugang zu Kapital im Energiesektor. Mehr als fünfzig Staaten haben es unterzeichnet, darunter die Schweiz. Und auch die EU.

Als der Bundesrat vor gut einem Jahr den modernisierten Vertrag genehmigte, schrieb er, internationale Regeln für Energieinvestitionen seien im Interesse der Schweiz, da unser Land «zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit auf die internationale Zusammenarbeit angewiesen ist». 

FDP-Chef hat Bedenken

Schweizer Stromkonzerne, die Kernkraftwerke betreiben, begrüssen den Vorstoss des Nuklearforums. Die Axpo hält fest, der gegenwärtige Ausschluss Schweizer Kernkraftwerke stelle einen Nachteil auf den internationalen Kapitalmärkten dar und diskriminiere diese bei der Refinanzierung gegenüber den Anlagen in den EU-Mitgliedstaaten. Alpiq spricht von möglichen positiven Effekten, welche die Taxonomie in der Zukunft für bestehende Kernkraftwerke haben könnte.

Im Kreis der Atombefürworter bestehen aber auch Vorbehalte. FDP-Präsident Thierry Burkart sagt, Schweizer Unternehmen könnten bereits heute Berichte erstellen, die die EU-Richtlinien zur Nachhaltigkeitsberichterstattung erfüllten, und sich so Investoren als klimafreundlich empfehlen. Die EU-Taxonomie dagegen sieht Burkart kritisch: Wegen der Kernenergie, deren Weiterbetrieb er in Ergänzung zu den erneuerbaren Energien fordert, müsse sich die Schweiz dort nicht anschliessen. «Sie ist ein bürokratisches Monster.»