Abhängigkeit von ChinaEnergiewende in Gefahr: Bund soll Schweizer Solarindustrie retten
China dominiert den weltweiten Solarmarkt. Das sei ein strategisches Risiko, sagen die Grünen. Die Schweiz soll deshalb helfen, die europäische Industrie zu stärken.
Die Schweizer Solarbranche blickt optimistischer in die Zukunft als noch vor wenigen Jahren. 2022 ist 40 Prozent mehr Solarstrom als im Vorjahr geflossen. Auch heuer rechnet die Branche mit einem weiteren Wachstum von 20 Prozent. Der Anteil am Schweizer Strombedarf beträgt inzwischen gut 7 Prozent.
Das ist allerdings erst der Anfang. Damit die Energiewende gelingt, muss der Zubau an Solaranlagen massiv beschleunigt werden – das ist politischer Konsens. Die Grünen sehen die ambitionierten Ziele des Bundesrats und des Parlaments jedoch in Gefahr.
Der Grund: die enorme Abhängigkeit vom chinesischen Solarmarkt. China subventioniert seine Solarindustrie seit über fünfzehn Jahren stark. Mehr als 80 Prozent der neu installierten Solarmodule weltweit stammen aus China, wie ein Bericht der Internationalen Energieagentur zeigt. Das gilt für alle Fertigungsstufen von Solarmodulen.
Und der Anteil soll in den nächsten Jahren weiter steigen. Die Schweiz importiert etwa 90 Prozent der Solarmodule aus dem asiatischen Raum. «Solange Solarpanels fast ausschliesslich aus chinesischer Produktion stammen, geht die Schweiz ein grosses strategisches Risiko ein», sagt Grünen-Nationalrätin Franziska Ryser.
Bund soll runden Tisch einberufen
Was eine hohe Abhängigkeit bedeuten kann, hat die Energiekrise und Europas fieberhafte Suche nach Ersatz für russisches Gas im Zug des Ukraine-Kriegs gezeigt. Ähnliches ist auch bei der Fotovoltaik denkbar. Eine Eskalation des Taiwan-Konflikts, eine Pandemie oder eine Sperrung von Handelsrouten: Solche Krisen könnten nach Einschätzung der Grünen die Schweizer Energiewende gefährden. «Wir müssen deshalb die Abhängigkeit von China stark reduzieren», sagt Ryser.
Die Grünen schlagen einen «Green Deal» für die Schweizer Solarindustrie vor. Der Bundesrat, fordern sie, soll die Versorgung der Schweiz mit Solarstrom und den dafür notwendigen Solarmodulen als kritisch für die Versorgungssicherheit anerkennen. Zudem soll er einen runden Tisch einberufen: Bund, Kantone und Gemeinden sollen mit Vertretern der Branche und Fachleuten einen Massnahmenplan ausarbeiten. Ziel ist es nicht nur, die Schweizer Solarproduktion zu erhalten, sondern schrittweise auszubauen. Ryser hat letzte Woche im Parlament einen Vorstoss eingereicht.
Als ersten Schritt schlagen die Grünen eine Abnahmegarantie vor. Bei Aufträgen der öffentlichen Hand sollen in Zukunft mindestens 40 Prozent der Solarmodule aus Schweizer oder europäischer Produktion verbaut werden. Welche Massnahmen es darüber hinaus braucht, etwa eine verstärkte Zusammenarbeit mit der EU oder Bundessubventionen: Dieser Debatte will Ryser nicht vorgreifen.
«Eine Industriepolitik ist Voraussetzung für den Aufbau der Solarindustrie.»
Für Noah Heynen, Chef des Schweizer Solarunternehmens Helion, ist jedoch klar: «Eine Industriepolitik ist in jedem Fall Voraussetzung für den Aufbau der Solarindustrie in Europa, aber auch in der Schweiz.» Helion ist das grösste Unternehmen in der Schweiz für Planung und Installation von Fotovoltaikanlagen.
Tatsächlich arbeiten die europäische Solarindustrie sowie verschiedene europäische Sozialverbände mit der EU-Kommission seit Monaten daran, die Rahmenbedingungen für die Fotovoltaikproduktion in Europa zu verbessern. Dazu gehören: finanzielle Unterstützung bei Investitionen, Energiepreisdeckel, Abnahmevereinbarungen für Fotovoltaik oder die Berücksichtigung des CO₂-Fussabdrucks bei Importen.
Meyer Burger baut eine Fabrik in den USA
In der Schweiz dagegen gibt es keine Pläne wie in der EU. Heynen hält es für wenig realistisch, kurzfristig in der Schweiz eine Solarindustrie aufzubauen. Vielmehr sei es wichtig, dass es in Europa vorwärtsgehe – und die Schweiz dabei beteiligt sei.
Hierzulande gibt es im Wesentlichen drei Solarunternehmen, das grösste ist Meyer Burger, das Solarmodule in der Schweiz entwickelt, sie jedoch im Ausland produziert, bisher in Deutschland. Dieser Standort erhält nun aber neue Konkurrenz – und zwar im Westen.
In den USA hat Präsident Joe Biden mit dem «Inflation Reduction Act» ein Gesetz erlassen, das Milliarden von Dollars in Form von Steuerkrediten für die Förderung der Fotovoltaik vorsieht. Davon will auch Meyer Burger profitieren. Die Firma baut in Colorado eine grosse Fabrik für Solarzellen, unterstützt durch staatliche Hilfe im Wert von über einer Milliarde Dollar. Und Meyer Burger ist nicht allein. Über neunzig neue Projekte sind in der Pipeline, das Investitionsvolumen: 90 Milliarden Dollar.
6 Milliarden Euro pro Jahr investieren?
Die Konkurrenz wird also noch grösser, zumal die Energiepreise in Europa viel höher sind als in China und den USA. Die europäische Allianz der Fotovoltaikindustrie rechnet vor: Damit Europa mit China konkurrieren kann, muss die EU über einen Zeitraum von acht bis zehn Jahren jährlich bis zu 6 Milliarden Euro investieren. Nur so lasse sich das Ziel der EU erreichen, dass mindestens 40 Prozent der neu verbauten Solartechnik bis zum Jahr 2030 aus europäischer Produktion stammen.
Für Nationalrätin Ryser ist klar: «Ohne Reaktion der Schweiz könnten aufgrund der unfairen Wettbewerbsbedingungen auch die letzten verbliebenen Schweizer Produzenten verschwinden.»
Eine solche Industriepolitik wie in der EU ist in der Schweiz, einem der wirtschaftlich liberalsten Länder der Welt, allerdings verpönt. Umso bemerkenswerter mutet daher der Entscheid an, den das Parlament in der Herbstsession gefällt hat: Die Schweiz soll die heimische Metallbranche unterstützen, damit sie gegen die europäische Konkurrenz, die im grossen Stil von EU-Subventionen profitiert, nicht untergeht.
«Eine solche Industriepolitik ist abzulehnen.»
Möglich wurde der Beschluss, weil Politiker aus SVP, FDP und Mitte die Massnahme mittragen. Helfen sie nun auch der Schweizer Solarbranche? Nationalrat Christian Wasserfallen ist einer dieser Politiker. Und seine Antwort ist klar: nein.
Der FDP-Politiker hält die beiden Fälle nicht für vergleichbar. Bei der Stahlindustrie gehe es darum, die absolut notwendige Produktion in der Schweiz zu erhalten. Bei der Solarbranche dagegen wolle man nun eine Marktabschottung installieren, um lokale Produzenten überhaupt erst entstehen zu lassen, dies in der Absicht, eine einzelne Branche dauerhaft zu bevorzugen. «Eine solche Industriepolitik ist abzulehnen.»
Eine Quote bei öffentlichen Aufträgen widerspreche zudem dem Bundesgesetz zu den öffentlichen Ausschreibungen und verstosse damit gegen WTO-Bestimmungen, so Wasserfallen.
Auch Diana Gutjahr hatte sich im Rat für gleich lange Spiesse für die Metallbranche starkgemacht. Für Rysers Vorstoss zeigt sich die SVP-Nationalrätin offen. Es gehe um den Auftrag an den Bundesrat, Massnahmen gegen die Marktverzerrung zu erarbeiten – nicht um die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen eine Industriepolitik.
«Diese Massnahmen können vielseitig sein», sagt Gutjahr. Sie denkt dabei etwa an eine Korrektur der Energiestrategie des Bundes. Während in der Schweiz die Energiekosten durch Zuschläge immer weiter ansteigen würden, seien diese in der EU gedeckelt, auch stünden in der EU subventionierte Energiekosten weiter zur Diskussion. Das, so Gutjahr, sei ein wichtiger Treiber der Wettbewerbsverzerrung.
Der Bundesrat wartet ab
Die politische Debatte nimmt also Fahrt auf. Der Bundesrat seinerseits sieht aktuell keinen Handlungsbedarf. Er will zuerst die Auswirkungen der verschiedenen laufenden industriepolitischen Förderprogramme auf den Wirtschaftsstandort Schweiz analysieren; der Bericht soll nächstes Jahr vorliegen.
Die Solarbranche hofft jedenfalls auf Bundeshilfe. Der Fachverband Swissolar schreibt: «Eine grundlegende Absage an industriepolitische Interventionen wäre eine vertane Chance im Bereich Versorgungssicherheit.»
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