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Krise bei 23 and Me
US-Gentestanbieter droht Pleite – sind DNA-Daten aus der Schweiz in Gefahr?

A reporter examines a 23andMe Inc. DNA genetic testing kit in Oakland, California, U.S., on Friday, June 8, 2018. The direct-to-consumer genetic-testing industry has grown from some $15 million in sales in 2010 to more than $99 million in 2017, and is projected to reach $310 million by 2022, according to one industry estimate. Photographer: Cayce Clifford/Bloomberg via Getty Images
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In Kürze:
  • 23 and Me steckt in finanziellen Schwierigkeiten.
  • In der Schweiz sind DNA-Daten grundsätzlich gut geschützt.
  • Wer einer Verwendung seiner Daten zugestimmt hat, kann diese von Pharmafirmen fast nicht zurückverlangen.
  • Laut eigenen Richtlinien darf 23 and Me im Fall einer Übernahme die genetischen Daten der Kunden verkaufen.

Möchten Sie mehr über Ihre Herkunft erfahren?

Oder möchten Sie wissen, ob Sie genetisch bedingt ein höheres Risiko haben, an Brustkrebs oder an Alzheimer zu erkranken? Oder einfach nur, wieso Sie Koriander nicht ausstehen können?

Auf solche und ähnliche Fragen liefern Online-DNA-Tests für weniger als hundert Franken Antworten. Sie versprechen eine genetische Herkunftsanalyse, die Namen von Menschen mit gemeinsamer DNA herauszufinden und einen dazu über Veranlagungen zu Krankheiten, Übergewicht, schlechtem Schlaf oder Laktoseintoleranz aufzuklären. 

«Direct-to-consumer»-Gentests haben in den letzten Jahren weltweit einen Hype ausgelöst. Mittlerweile gibt es mehr als zwei Dutzend Anbieter auf dem Markt. Sie versprechen nicht weniger, als mit persönlichen Genanalysen das Gesundheitswesen zu revolutionieren – und dabei häufen sie Berge an sensiblen Daten an. Allein die grössten drei, 23 and Me, Ancestry DNA und My Heritage horten Genmaterial von fast 50 Millionen Menschen, darunter von Tausenden aus der Schweiz.

23 and Me bald pleite?

Doch nun steht laut Marktbeobachtern 23 and Me am Rand der Pleite. Dabei war das Biotechunternehmen aus dem Silicon Valley noch vor fünf Jahren eines der angesagtesten Start-ups der Welt. Nach dem Börsengang wurde es 2021 mit sechs Milliarden Dollar bewertet, und Firmenchefin Anne Wojcicki, der 49 Prozent des Unternehmens gehören, wurde vom Magazin «Forbes» zur «neuesten Selfmademilliardärin» gekürt.

Doch mittlerweile haben sich die Milliarden in Luft aufgelöst. 23 and Me hat 98 Prozent seines Werts eingebüsst, und seine Aktien werden derzeit zu so wenig Geld gehandelt, dass der Rauswurf an der Nasdaq-Börse letzte Woche nur knapp abgewendet werden konnte. Sinkende Umsätze aus dem Geschäft mit den DNA-Tests und ein unrentabler Abstecher in die Arzneimittelforschung haben die Mittel fast komplett aufgezehrt.

Besonders das letzte Jahr setzte 23 and Me hart zu. Zunächst musste sich das Unternehmen unangenehme Fragen zur Datensicherheit gefallen lassen, als Hacker nach einem Cyberangriff sensible Daten von Millionen von Kunden und deren Verwandten im Darknet zum Verkauf anboten. Danach folgte eine Sammelklage, die nur mit einer Schadenersatzzahlung von 30 Millionen Dollar beigelegt werden konnte.

Zuletzt trat der gesamte Vorstand zurück – aus Protest gegenüber Geschäftsführerin Anne Wojcickis Führung. Diese wollte zuerst Übernahmeangebote von Dritten prüfen. Dann aber änderte sie ihre Meinung und sagte, sie wolle die Firma lieber von der Börse nehmen.

Angesichts der unsicheren Zukunft stellt sich für die gut 15 Millionen Kundinnen und Kunden die Frage: Was passiert mit ihren DNA-Profilen und anderen heiklen Personendaten, falls 23 and Me in Konkurs geht oder verkauft wird? Für mögliche Interessenten wie Versicherungen könnte sich der Informationsschatz als äusserst wertvoll erweisen.

«Profil löschen allein reicht nicht aus»

Die US-Bürgerrechtsorganisation Electronic Frontier Foundation erteilte deshalb 23-and-Me-Kunden unlängst den Rat, ihre Profile zu löschen. Für Rechtsprofessorin Claudia Seitz, die an der Universität Basel und in Liechtenstein lehrt, reicht das allein aber nicht aus. «Fragen zur Speicherung von Back-up-Kopien oder zu einer vollständigen Löschung der Daten bei den kommerziellen Anbietern sind damit noch nicht geklärt.»

Seitz wies schon vor Jahren auf die Risiken von Gentests hin, bei denen Personen kommerziellen Anbietern DNA zur Verfügung stellen. Sie sagt: «Genetische Daten sind die sensibelsten Daten, die wir überhaupt besitzen.» Im Fall einer vollständigen Genomsequenzierung könnten sie das gesamte Erbgut eines Menschen erfassen. Betroffen seien zudem oft auch enge biologische Verwandte, die gar nie ihre Zustimmung zu einem Test gegeben hätten.

Kommt hinzu, dass die Daten unauslöschlich mit einer Person verknüpft sind,  selbst wenn diese anonymisiert werden. «Es handelt sich immer um den genetischen Fingerabdruck einer Person – und dieser ist nun einmal einzigartig», sagt Claudia Seitz. 

Datenschutz ist schwer durchsetzbar

In der Schweiz sind genetische Daten grundsätzlich gut geschützt; das neue Datenschutzgesetz von 2023 verlangt explizit die Zustimmung für deren Bearbeitung, Speicherung und Weitergabe. Das Problem ist, dass das Erbgut in den meisten Fällen in Ländern analysiert und gespeichert wird, die einen geringeren Datenschutz haben. Dazu zählen auch die USA, wo 23 and Me seinen Firmensitz hat.

Zwar dürften auch dort im Fall eines Konkurses oder Verkaufs des Unternehmens genetische Daten nicht ungefragt mitverkauft werden, sagt Expertin Seitz. Bloss: Um überprüfen zu können, ob Daten nicht doch genutzt würden, müsse man erst einmal wissen, wo diese überhaupt gelandet seien. Und das lasse sich im Ausland oft nur schwer verifizieren.

Hinzu kommt: Seit der Verabschiedung des Patriot Act nach den Terroranschlägen von 2001 dürfen US-Behörden ohne richterliche Anordnung auf die genetischen Daten zurückgreifen, welche auf Servern in den USA gespeichert sind – ein Recht, von dem sie auch Gebrauch machen. So arbeiteten etwa die Strafverfolgungsbehörden immer stärker mit privaten Firmen und deren genetischen Datenbanken zusammen, weiss Seitz. «Die Daten werden etwa dazu verwendet, um DNA-Spuren, die an einem Tatort nachgewiesen wurden, mit den gespeicherten genetischen Daten der privaten Datenbanken abzugleichen.»

In den Datenschutzrichtlinien schreibt 23 and Me, von sich aus keine genetischen Daten mit den Strafverfolgungsbehörden zu teilen. Gräbt man aber etwas tiefer, dann steht da auch: Im Fall eines Konkurses oder einer Übernahme «können Ihre persönlichen Daten als Teil dieser Transaktion abgerufen, verkauft oder übertragen werden».

Was die Nutzung der Daten zu Forschungszwecken anbelangt, so haben laut Aussage des Unternehmens mehr als 80 Prozent der Kunden der Nutzung ihrer Daten zugestimmt. Das erlaubt es 23 and Me schon jetzt, mit der Vermarktung der DNA-Daten Geld zu verdienen. Vor einigen Jahren sicherte sich beispielsweise das britische Pharmaunternehmen GSK für 300 Millionen Dollar den Zugriff auf die Datenbank.

Der vielversprechende Anfang von 23 and Me

Doch selbst der Verkauf der Daten an Dritte konnte 23 and Me nicht vor der finanziellen Notlage bewahren. Dabei gab es eine Zeit, da hatte das Start-up alles, um zu einer der ganz grossen Erfolgsstorys des Silicon Valley zu werden.

Die an der Gründung beteiligten Namen lesen sich wie das Who’s who der kalifornischen Tech-Elite: Als jüngste der drei im Valley hervorragend vernetzten Wojcicki-Schwestern lernte Anne Ende der 1990er-Jahre ihren späteren Ehemann Sergey Brin kennen. Gemeinsam mit Larry Page richtete Brin in der Garage von Annes ältester Schwester, der im August verstorbenen früheren Youtube-Chefin Susan Wojcicki, das erste Büro von Google ein.

Nachdem der Biochemiker Craig Venter mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2000 in dem Forschungsbereich Goldgräberstimmung ausgelöst hatte, versorgte Sergey Brin das Gentest-Start-up 23 and Me mit dem nötigen Startkapital. Und zwei Wochen nach seiner Hochzeit mit Anne Wojcicki im Jahr 2007 beteiligte sich auch Google finanziell am Unternehmen. 

«Spuckpartys» mit Harvey Weinstein

Danach ging alles schnell: 2008 kürte das «Time Magazine» den Test von 23 and Me zur Innovation des Jahres – und die begnadete Werberin Wojcicki setzte alles daran, die Marke weltweit bekannt zu machen. Dazu organisierte sie aufsehenerregende «Spuckpartys», bei denen Gäste ihre DNA abgaben. Am Weltwirtschaftsforum in Davos und an der New York Fashion Week sammelte die 23-and-Me-Chefin im selben Jahr den Speichel von zahlreichen Prominenten ein und liess Gäste wie den Medienmogul Rupert Murdoch, Designerin Diane von Fürstenberg oder Harvey Weinstein dabei medienwirksam in die Kamera lächeln.

Von links: Rupert Murdoch, Barry Diller, Anne Wojcicki, Diane von Fürstenberg, Google-Mitgründer Sergey Brin, Wendi Murdoch, Linda Avey und Harvey Weinstein bei einer 23-and-Me-Spuckparty 2008 in New York.

Einer Mitgründerin zufolge machte Wojcicki an Anlässen immer wieder Witze darüber, dass 23 and Me dereinst viel grösser sein werde als Google. 

Davon ist das Unternehmen nun weiter weg als je zuvor.