Folgen des KlimawandelsZwei Milliarden Menschen droht lebensfeindliche Hitze
Am Ende des Jahrhunderts könnte ein Viertel der Weltbevölkerung im Jahresdurchschnitt mehr als 29 Grad Celsius ausgesetzt sein. Das hätte Folgen für Landwirtschaft, Viezhucht – und Sterberate.
Ein Grossteil der Menschheit hat sich seit Jahrtausenden in einem überraschend schmalen Band um den Globus herum eingerichtet. Sie haben dort bevorzugt gelebt, ihr Getreide angepflanzt, ihr Vieh weiden lassen und alle möglichen Waren produziert. In dieser Kernverbreitungszone herrschen Durchschnittstemperaturen von rund 13 Grad Celsius. Auf eine Weltkarte übertragen, zieht sich dieser Streifen über den Grenzbereich von Mexiko und den USA, schlängelt sich weiter über West- und Südeuropa, den Nahen Osten und Ostchina bis nach Japan. Im Prinzip ist das die warmgemässigte bis mediterrane Zone.
Es gibt noch eine zweite Zone, die der Mensch ebenfalls in seiner Geschichte favorisiert hat: Dort herrschen Monsunklima und im Schnitt 27 Grad Celsius, vor allem in Südostasien. Doch mit dem Klimawandel rücken auch diese Zonen polwärts. Das habe bereits mehr als 600 Millionen Menschen ungünstigere Klimabedingungen eingebrockt, schreibt ein internationales Forscherteam um den Klimaforscher Timothy Lenton von der Universität Exeter im Fachjournal «Nature Sustainability».
Die Bewohner des Mittelmeerraums etwa. Italien erlebe immer häufiger tropisches Wetter wie in Teilen Afrikas, erklärte unlängst der Minister für Zivilschutz Nello Musumeci. Also lang anhaltende Dürrephasen, unterbrochen von heftigen Regenfällen, die der knochentrockene Boden allerdings nicht aufnehmen könne. «Dieser Trend wird sich den Projektionen zufolge verschlimmern in den nächsten Jahrzehnten», sagt Jens-Christian Svenning, Direktor des nationalen dänischen Forschungszentrums für ökologische Dynamiken in einer neuen Biosphäre an der Aarhus-Universität, der an der Studie beteiligt war.
Am meisten Menschen müssten dann in Indien und Nigeria unter diesen Bedingungen leben. Auch Indonesien, Pakistan und Thailand seien besonders betroffen.
Zum Ende des Jahrhunderts könnte ein Drittel der Weltbevölkerung ausserhalb der Klima-Nische des Menschen leben und damit in Gebieten, in denen Landwirtschaft und Viehzucht erschwert und die Sterberate höher ist. Besonders gefährlich wird das Leben in Regionen, wo Temperaturen von 29 Grad Celsius oder mehr herrschen. Diese bedecken heute weniger als ein Prozent der Erdoberfläche, überwiegend in der Sahara. Rund 60 Millionen Menschen sind der Nature-Sustainability-Studie zufolge derzeit dieser lebensfeindlichen Hitze ausgesetzt. Gegen Ende des Jahrhunderts könnte das allerdings rund zwei Milliarden Menschen betreffen, sollte sich die Welt gemäss der aktuellen Klimapolitik um insgesamt 2,7 Grad Celsius erwärmt haben. Laut Bevölkerungsprognosen wäre das dann fast ein Viertel der Weltbevölkerung.
Am meisten Menschen müssten dann in Indien und Nigeria unter diesen Bedingungen leben. Auch Indonesien, Pakistan und Thailand seien besonders betroffen. Darunter besonders Länder mit hoher Luftfeuchtigkeit. Gepaart mit dieser, genügen bereits geringere Temperaturanstiege als in trockenen Regionen, um den menschlichen Körper an seine Belastungsgrenze zu bringen.
Viele Menschen werden versuchen, in den kühleren Norden abzuwandern
Würde es die Weltgemeinschaft schaffen, die Erderwärmung auf 1,5 Grad Celsius zu beschränken, wären «nur» noch fünf Prozent der Weltbevölkerung jenen lebensfeindlichen Bedingungen ausgesetzt. «Das würde ein Sechstel der Menschheit vor gefährlicher Hitze bewahren», sagt Svenning. Anders ausgedrückt: Mit jedem Zehntelgrad an Erwärmung über den heutigen Durchschnitt wären 140 Millionen Menschen mehr gefährlicher Hitze ausgesetzt. Svenning: «Unsere Ergebnisse verdeutlichen also, wie gross das Potenzial einer entschlossenen Klimapolitik ist, um die menschlichen Kosten und Ungleichheiten des Klimawandels zu begrenzen.»
Zumal die Alternativen nicht besonders vielversprechend erscheinen. Eine Anpassung an den Klimawandel erscheint wenig realistisch, da besonders arme Länder von den zunehmend ungünstigen Klimabedingungen betroffen sein werden – und es sich kaum leisten könnten, sich dagegen zu wappnen. Viele Menschen dürften versuchen, abzuwandern in den kühleren, reicheren Norden. «Eine zukunftsweisende Politik würde jetzt schon damit anfangen, legale Migrationswege zu schaffen und sich auf eine anwachsende Migration zum Beispiel nach Europa vorzubereiten», sagt der Klimaforscher Christian Franzke von der Nationaluniversität Pusan in Südkorea.
Klima-Nische zeigt die Auswirkungen des Klimawandels
Der Ansatz, die Auswirkungen des Klimawandels mittels der Klima-Nische des Menschen darzustellen, ist neu. Bislang werden die Klimafolgen meist über die finanziellen Einbussen bewertet. Das richtet den Fokus aber auf die reicheren Menschen, die am meisten besitzen. Sowie auf die Menschen, die heute leben. «Vom Gerechtigkeitsstandpunkt aus ist das unethisch», schreiben die Autorinnen und Autoren um Lenton in ihrem Aufsatz. «Wenn das Leben oder die Gesundheit auf dem Spiel stehen, sollten alle Menschen gleich behandelt werden, egal ob reich oder arm, am Leben oder noch nicht geboren.»
Als «innovativen Ansatz» bezeichnet auch Richard Klein vom Umweltinstitut Stockholm die Idee der Klima-Nische. Allerdings kritisiert er, wie diese definiert wurde. Dürre und Wüstenbildung etwa könnten schliesslich auch innerhalb der Klima-Nische des Menschen auftreten – und die Landwirtschaft unmöglich machen. Ähnliches gelte für Gebiete, die infolge von Überschwemmungen und Meeresspiegelanstieg praktisch unbewohnbar würden. Auch könnte es neben dem Klima noch ganz andere Gründe geben, warum es sich die Menschen bevorzugt in den 13- und 27-Grad-Celsius-Zonen gemütlich gemacht haben; so befänden sich dort zahlreiche grosse Flussdeltas mit fruchtbarem Boden. «Was diese Studie jedoch sehr gut zeigt, ist das direkte menschliche Leid, das der Klimawandel verursachen könnte», sagt Klein. «Leiden aufgrund eines unerträglich heissen und möglicherweise feuchten Klimas.»
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