Weltklimarat-BerichtKlimazustand der Erde verschlechtert sich – so kann die Wende gelingen
Neue Daten zeigen, dass die Treibhausgas-Emissionen vor 2025 sinken müssen. Kapital zum schnellen Handeln sei genügend vorhanden. Das sind die wichtigsten zehn Punkte.
Es ist fünf Jahre her, dass der Weltklimarat IPCC der Welt erklärt hat, warum eine Erwärmung der Erde um 1,5 Grad Celsius manche Ökosysteme unwiderruflich schädigen kann und extreme Hochwasser, Dürren und Stürme noch häufiger werden. Nun zeigt der IPCC in einem neuen Bericht auf, dass Politik, Wirtschaft und Gesellschaft noch nicht entsprechend reagiert haben. Noch verbreitet IPCC-Chef Hoesung Lee Hoffnung: «Wenn wir nun wirklich handeln, ist eine nachhaltige Zukunft für alle immer noch möglich.» Wie es steht um den Zustand des Planeten, die Folgen des Klimawandels – und wie viel Zeit uns noch bleibt:
Wie stark hat sich die Erde bisher erwärmt?
Die Erdoberfläche ist im globalen Durchschnitt im Vergleich zur vorindustriellen Zeit von 1850 bis 1900 um etwa gut 1,1 Grad wärmer. Dabei hat sich das Land fast zweimal stärker erwärmt als der Ozean. So beträgt zum Beispiel die durchschnittliche Jahrestemperatur in der Schweiz mehr als 2 Grad. Bemerkenswert ist: Der grösste Anteil der Erwärmung ist für den Zeitraum der vergangenen 20 Jahre zu beobachten. Die Erdoberfläche habe sich seit 1970 in keiner vergleichbaren Zeitperiode der vergangenen 2000 Jahre so schnell erwärmt, schreibt der IPCC.
Ist nur das Treibhausgas CO₂ verantwortlich für die Erwärmung?
Die durchschnittlichen Emissionen der Treibhausgase waren von 2010 bis 2019 so hoch wie nie zuvor. Das jährliche Wachstum ist hingegen seit 2010 im Vergleich der früheren Dekade gesunken. Kohlendioxid (CO₂) ist für die Erwärmung von etwa 0,8 Grad verantwortlich. Methan praktisch für den Rest, weil Stickstoffoxide und fluorierte Gase nur einen marginalen Einfluss haben. Der IPCC-Bericht bezieht sich dabei auf Emissionsdaten von 2010 bis 2019.
«2020 sanken die CO₂-Emissionen wegen Corona, und nun steigen sie wieder deutlich an. Zwar ist der jährliche Zuwachs geringer als zu Beginn des Jahrhunderts, aber es ist eine Zu- und nicht die erforderliche Abnahme», sagt Andreas Fischlin, ETH-Klimaforscher und Vizevorsteher beim IPCC: Mehr als 42 Prozent der CO₂-Emissionen, aufsummiert von 1850 bis 2019, stammen von 1990 bis 2019. Knapp 80 Prozent des CO₂ verursacht die Verbrennung fossiler Brenn- und Treibstoffe in der Energieversorgung, der Industrie und im Verkehr. Der Rest der CO₂-Emissionen wird in der Land- und Forstwirtschaft sowie durch Veränderungen in der Landnutzung (etwa Ackerbau statt Waldwirtschaft) ausgestossen. Landwirtschaft, Produktion und Vertrieb von fossilem Erdgas sind für den Methanausstoss verantwortlich.
Wie sind die Emissionen verteilt?
Jeder Erdbürger und jede Erdbürgerin produziert pro Jahr im Durchschnitt knapp 7 Tonnen Treibhausgase. Regional betrachtet gibt es aber beträchtliche Unterschiede: Etwa ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Ländern, die mehr als 9 Tonnen pro Jahr produzieren. Gut 41 Prozent der Menschen weltweit kommen auf Pro-Kopf-Emissionen von weniger als 3 Tonnen; die Ärmsten der Armen liegen bei unter einer Tonne, weil sie über keine moderne Energieversorgung verfügen. 10 Prozent der Haushalte, die am meisten Treibhausgase produzieren, verursachen 34 bis 45 Prozent der globalen Emissionen, die durch Konsum entstehen.
Sind die Folgen der Erderwärmung schlimmer geworden?
Hitzewellen, Starkniederschläge, Dürren und tropische Wirbelstürme haben sich in den letzten Jahren weiter verstärkt. Der Meeresspiegel ist zwischen 1901 und 2018 um 20 Zentimeter gestiegen. Die jährliche Anstiegsrate ist stark angewachsen. Auch der Einfluss des Menschen sei noch deutlicher geworden, so der IPCC. Dabei sind Wetterextreme nicht nur zahlreicher geworden. «Es gibt immer mehr Wetterextreme, die Rekorde brechen», sagt Erich Fischer, Klimaforscher an der ETH Zürich und IPCC-Autor. Beispiele sind: die Neujahrswärmephase 2023 in ganz Europa, die Gletscherschmelze im Sommer 2022, die Sommertrockenheit 2022 in Europa und China, der kanadische Hitzerekord 2021, die sibirische Hitze 2020, der Starkregenrekord in Rossiglione 2021 (Europarekord). Und aktuell die Rekordhitze in China und Argentinien diese und vergangene Woche. «Die Generation meiner Kinder, die in den 2010er-Jahren geboren sind, wird in ihrem Leben durchschnittlich deutlich mehr Wetter- und Klimaextreme erleben als meine Generation», sagt Erich Fischer.
Welche Menschen sind besonders betroffen?
Etwa 3,3 bis 3,6 Milliarden Menschen leben in Regionen, die besonders stark betroffen sind durch den Klimawandel. Millionen Menschen müssen damit rechnen, dass sie sich nicht mehr ernähren können, weil Wetter- und Klimaereignisse sich verstärkt haben. Die Produktivität in der Landwirtschaft sei zwar gewachsen, der Klimawandel habe jedoch das generelle Wachstum weltweit in den vergangenen 50 Jahren verlangsamt. Betroffen sind vor allem die Ärmsten in Afrika, Asien, Zentral- und Südamerika und auf den Pazifischen Inseln. Die Mortalität durch Überflutungen, Dürren und Stürme, so schreibt der IPCC, ist dort zwischen 2010 und 2020 um den Faktor 15 angestiegen. «Die Schäden durch häufigere Extremereignisse wie Hitzewellen oder Hochwasser schwächen diese Länder so stark, dass früher oder später die wirtschaftliche Entwicklung verunmöglicht wird», sagt Fischlin.
Was passiert ohne drastische Massnahmen?
Das Pariser Klimaabkommen verlangt, dass die Erderwärmung weit unter 2 Grad bleiben muss und die Vertragsstaaten alles unternehmen müssen, damit es im weltweiten Durchschnitt nicht wärmer als 1,5 Grad wird. Die IPCC-Studie von 2018 zeigte, dass bereits bei 1,5 Grad verschiedene Ökosysteme (zum Beispiel Korallen) zerstört werden können. «Eine starke, schnelle und nachhaltige Reduktion der Treibhausgase würde zu einer messbaren Verlangsamung der Erderwärmung innerhalb von etwa 20 Jahren führen», schreibt der IPCC. Davon ist die Welt jedoch weit entfernt. Die Emissionen steigen nach wie vor. Mit den aktuell umgesetzten Klimaplänen der einzelnen Staaten rechnen die Klimaforschenden mit einer Erwärmung zwischen 2,2 und 3,5 Grad. Die 1,5-Grad-Schwelle würde bereits vor 2035 übertroffen.
Nahezu alle Klimamodelle zeigen, dass es selbst bei sehr tiefen Emissionen bis 2040 wenig wahrscheinlich ist, eine Erwärmung um mehr als 1,5 Grad zu verhindern. «Jedes Zehntelgrad zählt», sagt Sonia Seneviratne, ETH-Klimaforscherin und IPCC-Autorin. So werden mit jeder zusätzlichen Erwärmung die Wetterextreme noch stärker. Hinzu kommt, dass die Vegetation auf dem Land und die Meere mit zunehmenden Emissionen immer weniger CO₂ aufnehmen können. Die Erwärmung würde also noch zusätzlich verstärkt. Auch der Meeresspiegel wird weiter ansteigen und das Meerwasser noch mehr versauern. Die Fachleute warnen zudem davor, dass mit dem erhöhten Risiko für Wetterextreme auch die Gefahr steigt, dass verschiedene andere Krisen wie eine Pandemie oder Krieg gleichzeitig die Gesellschaft treffen.
Kann der Klimawandel unwiderrufliche Schäden anrichten?
Auch wenn die Erwärmung in naher Zukunft gestoppt werden kann, so ist damit noch nicht garantiert, dass es keine Veränderungen im Klimasystem gibt. Das trifft zum Beispiel für den Meeresspiegel zu: Der Anstieg wird über Jahrhunderte bis Jahrtausende weitergehen, abhängig von der Erwärmung des Tiefenwassers und der Abschmelzung des Eises in der Arktis und Antarktis. Wie stark der Anstieg sein wird, ist jedoch noch unsicher. Die Wissenschaft weiss heute, dass es in vielen Ökosystemen wie den Wäldern, den Korallenriffen oder in der arktischen Region sogenannte Tipping Points geben muss, die Ökosysteme unwiderruflich kippen lassen können. «Wir wissen aber noch zu wenig, wo diese Punkte sind», sagt ETH-Klimaforscher Andreas Fischlin.
Wie können wir die Reduktion der Treibhausgase beschleunigen?
Die Massnahmen sind bekannt: Der Ausstieg aus den fossilen Brenn- und Treibstoffen muss beschleunigt werden. Die Emissionen der Treibhausgase müssen spätestens ab 2025 sinken, um die Chance zu wahren, kostengünstig die Pariser Klimaziele zu erreichen. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen alle Staaten ihren Beitrag leisten – die Industriestaaten mehr als die Entwicklungsländer. Die Technologie dazu ist längst vorhanden: Die Kosten für Solar- und Windenergie sind zum Beispiel in den letzten Jahren massiv gesunken. Der IPCC schlägt eine lange Liste vor, wie man heute die Energieversorgung auf klimaneutrale Systeme umstellen oder den Verkehr dank immer besseren Batterien elektrifizieren kann. Auch die Landwirtschaft hat Optionen, die Treibhausgase, vor allem Methan, zu reduzieren. Das alles gelingt jedoch nur, wenn die politischen Massnahmen weiter verstärkt werden und die Staaten ihre Reduktionsziele weiter anheben. Und vor allem: Die weltweiten Investitionen in Klimaprojekte müssen vervielfacht werden. Es sei genügend Kapital weltweit vorhanden, meint der IPCC, aber es gebe Hürden, die Investitionen behinderten. Die Industrieländer haben zum Beispiel die versprochenen 100 Milliarden Dollar jährlich zugunsten von Entwicklungsstaaten bis heute noch nicht vollständig generiert.
Die Massnahmen, die weltweit in die Wege geleitet würden, seien grundsätzlich die Richtigen, sagt Anthony Patt vom ETH-Institut für Umweltentscheidungen und IPCC-Autor. Grosse Investitionen würden weltweit inzwischen bei der Energieversorgung und im Verkehr gemacht. «Nun müssen sie auch noch in viel mehr Staaten und weitere Sektoren wie die Industrie und Landwirtschaft fliessen», sagt Patt.
Sind wir genügend vor den Folgen des Klimawandels geschützt?
Auch hier gibt es eine lange Liste, wie man sich an die Folgen des Klimawandels anpassen kann. Sei es durch Dämme gegen Hochwasser oder Schutzbauten gegen Stürme. Doch stellt sich auch hier das Problem, dass es in den Entwicklungsländern meistens an Geld und Know-how fehlt, um sich vor extremen Wetterereignissen zu schützen. Der IPCC betont zudem, dass der Schutz dieser Anpassungsmassnahmen an Grenzen stossen wird, wenn die Erwärmung weiterhin zunimmt.
Was passiert, wenn die Erde sich um mehr als 1,5 Grad erwärmt?
Wenn das passiert, muss CO₂ aus der Atmosphäre entfernt werden. Das kann man durch Aufforstung erreichen. Zielführender ist, CO₂ technisch direkt aus der Atmosphäre zu filtern. Das ist heute schon möglich, aber es ist nicht abschätzbar, wie viele Tonnen entfernt werden können und zu welchem Preis. Der IPCC warnt zudem: In der Zeit, in der es mehr als 1,5 Grad wärmer ist, kann es zu unwiderruflichen Schäden in manchen Ökosystemen kommen: zunehmende Feuer, Absterben von Bäumen, Austrocknen von Feuchtgebieten, Auftauen von Permafrost. Diese Prozesse produzieren zusätzliche Treibhausgase. Eine Erwärmung zu reduzieren, wird damit noch schwieriger.
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