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Berichte aus Kabul
Viele Afghaninnen verstecken sich – eine TV-Moderatorin macht weiter

Die Moderatorin von ToloNews arbeitet weiter und interviewt sogar einen Taliban-Vertreter. Viele ihrer Berufskolleginnen verstecken sich aber aus Angst vor den Islamisten.
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Verschwunden die westliche Mode auf den Strassen, so gut wie verschwunden auch die Frauen. Stattdessen dominieren Männer in den traditionellen langen Hemden und unförmigen Hosen das Strassenbild von Kabul, im staatlichen Fernsehen laufen islamische Sendungen oder Verlautbarungen des Leiters des Taliban-Medienkanals «Stimme der Scharia».

Nach der Machtübernahme der Taliban am Sonntag versuchen sich die Menschen in der afghanischen Hauptstadt nun an einer neuen Normalität.

«Die Angst ist da»

Ladenbesitzer aus Kabul

Mit der Rückkehr der radikalislamischen Miliz hat sich in Kabul das Strassenbild über Nacht radikal gewandelt. Zwar geben sich die neuen Machthaber gemässigt, verkünden eine Generalamnestie für Beamte der bisherigen Regierung und versprechen Frauen mehr Rechte als zu den Zeiten ihrer früheren Herrschaft von 1996 bis 2001. Doch viele Einwohner glauben den Versprechungen nicht – und kehren deshalb schon aus Selbstschutz zu den Alltagsregeln der einstigen Taliban-Schreckensherrschaft zurück.

«Die Angst ist da», sagt ein Ladenbesitzer, der gerade sein kleines Lebensmittelgeschäft wieder geöffnet hat. Seinen Namen will er lieber nicht nennen. «Die Taliban patrouillieren in kleinen Konvois durch die Stadt. Sie belästigen niemanden, aber natürlich haben die Menschen Angst», erzählt ein weiterer Ladenbesitzer.

Ein Taliban-Kämpfer patrouilliert auf einem Markt in Kabul und spricht mit einem Einheimischen. (17. August 2021)

Bis zu ihrem Sturz im Jahr 2001 durch eine von den USA geführte internationale Militärkoalition hatten die Taliban mittels einer extrem rigiden Auslegung der Scharia, des islamischen Rechts, geherrscht. Musik, Tanz, Fernsehen und andere beliebte Freizeitaktivitäten wie das Steigenlassen von Drachen waren verboten. Mädchenschulen waren geschlossen, Frauen durften keiner Erwerbstätigkeit nachgehen. Sie mussten zudem die Ganzkörperbedeckung Burka tragen.

Die Einhaltung der Vorschriften wurde von einer Religionspolizei überwacht. Die Strafen bei Gesetzesverstössen waren oft grausam. Dieben wurde die Hand abgehackt, es gab öffentliche Auspeitschungen. Frauen, die des Ehebruchs bezichtigt wurden, wurden zu Tode gesteinigt.

Eine Frau trägt auf einem Markt in Kabul eine Burka. (21. Juli 2021)

An diesem Dienstag gibt es keine Anzeichen dafür, dass diese mittelalterlichen Methoden wieder eingeführt werden könnten. Die Taliban rufen die Beamten auf, «voller Vertrauen» an ihre Arbeit zurückzukehren. Einige scheinen sich den Rat zu Herzen zu nehmen: Zum ersten Mal seit Tagen sind wieder Verkehrspolizisten auf den Strassen zu sehen – auch wenn sie nicht viel zu tun haben.

Vor dem Eingang zur Grünen Zone, in der die meisten Botschaften und internationalen Organisationen untergebracht sind, demonstrieren ein paar Frauen für ihr Recht, dort wieder als Köchinnen oder Reinigungskräfte arbeiten zu dürfen. Ein Lastwagen mit Taliban-Kämpfern fährt vor, vergeblich versuchen diese, die Frauen zu verscheuchen – sie weichen erst auf Bitten von Zivilisten.

Afghanen hoffen vor der iranischen Botschaft in der Grünen Zone in Kabul darauf, ein Visum für die Einreise in den Iran zu bekommen. (17. August 2021)

Taliban-Sprecher Suhail Schahin hat am Montagabend versichert, dass Frauen in Zukunft nichts zu fürchten hätten. «Ihr Recht auf Bildung ist ebenfalls geschützt», beteuert er. Berichte aus den Provinzen, in denen die radikalislamischen Kämpfer schon länger die Kontrolle übernommen hatten, zeichnen allerdings ein anderes Bild.

Auch in Kabul laufen einige erste Zusammentreffen zwischen Taliban-Kämpfern und Einwohnern offenbar rauer ab als von deren Führung erwünscht. «Einige sind freundlich und machen überhaupt keinen Ärger», sagt ein Mann, während er versucht, an einem Kontrollpunkt der Taliban vorbei zu seinem Büro zu gelangen. «Aber andere sind brutal. Sie schubsen dich herum und schreien dich grundlos an.»

Taliban-Kämpfer sichern einen Kontrollpunkt nahe der US-amerikanischen Botschaft in Kabul. (17. August 2021)

TV-Moderatorin interviewt Taliban

Überrascht zeigten sich Bewohner der Stadt darüber, dass der populäre Fernsehsender ToloNews am Dienstag seine bekannte Moderatorin Beheshta Arghand durch das Programm führen liess, die auch einen Taliban-Vertreter interviewte. ToloNews schickte auch zwei Reporterinnen durch Kabul, um live über die Situation in der Stadt zu berichten.

Auch Ariana News hält an einer weiblichen Moderatorin fest. Andere Journalistinnen dürfen jedoch bereits nicht mehr senden oder haben sich aus Angst vor den Taliban selber zurückgezogen. Die Frauen zerstören mögliche Beweismittel, welche sie als Medienvertreterinnen entlarven könnten.

Ein Bewohner des Viertels Pul-e Sorch sagte, die Taliban würden über Lautsprecher-Autos die Menschen aufrufen, sie ohne Angst zu akzeptieren. Alles sei normal, sie alle seien Brüder und sie würden für Sicherheit in der Stadt sorgen.

Warnung an Taliban-Kämpfer

Allerdings gab es in den vergangenen Tagen Berichte über Sicherheitszwischenfälle in der Stadt. Taliban-Kämpfer sollen sich Zutritt zu Wohnhäusern verschafft und Autos mitgenommen haben. Gleichzeitig sagten mehrere Bewohner Kabuls auch, dass einfache Kriminelle die Ankunft der Taliban ausnutzten und wohl vorgäben, Taliban zu sein.

Am Dienstag gab es in einer Audiobotschaft eine Warnung an Taliban-Kämpfer, unter keinen Umständen Privathäuser zu betreten oder Fahrzeuge mitzunehmen. Sollte dies ein Beamter oder eine Einzelperson tun, sei das ein «Verrat am System» und man ziehe sie zur Rechenschaft. Die von ToloNews veröffentlichte Sprachnachricht wurde dem Taliban-Vizechef Mullah Jakub zugeschrieben.

Bereits am Montag hatte der Taliban-Sprecher Sabiullah Mudschahid auf Twitter erklärt, dass niemand die Häuser von ehemaligen Regierungsbeamten betreten und sie bedrohen oder ihre Autos mitnehmen dürfe. Vor allem Menschen, die für die Regierung oder Ausländer gearbeitet haben, sorgen sich, dass die Taliban zu ihnen nach Hause kommen und sich an ihnen rächen oder plündern könnten.

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AFP/aru