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Schweiz und Kolonialismus
Wie raffgierig und rassistisch war die Schweiz wirklich?

Goldküste - Accra / Kakao-Trockenplatz".
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Das Thema sei «sensibel», sagt Denise Tonella, Direktorin des Schweizerischen Nationalmuseums, und «politisch aufgeladen» obendrein. Was sicher ist – das Thema trendet. In diesen Wochen stellen gleich mehrere Ausstellungshäuser die Frage nach der Komplizenschaft der Schweiz in Bezug auf imperialistische Ausbeutung und rassistische Tyrannei in ehemaligen Kolonialgebieten.

Unter dem Titel «Kolonial – Globale Verflechtungen der Schweiz» beleuchtet die Ausstellung im Zürcher Landesmuseum, wie Schweizerinnen und Schweizer im transatlantischen Handel mitmischten und damit ein Vermögen verdienten; wie helvetische Söldner in Übersee indigene Menschen niedermetzelten; und wie der Kolonialismus als Ideologie auch das Weltbild der Schweizerinnen und Schweizer für Generationen rassistisch konditionierte. So zumindest die These der Ausstellungsmacherinnen und -macher. Postkoloniale Perspektiven – wegen des offenen Antisemitismus einiger ihrer Vertreterinnen und Vertreter in jüngster Zeit ziemlich umstritten – sind nun ganz offensichtlich auch in der offiziellen Erinnerungskammer der Eidgenossenschaft angekommen.

Schweizer Familien wurden reich durch Baumwolle

Zu sehen sind Sklavenpeitschen und Handschellen, auch «weisses Gold», also Baumwolle, das Schweizer Familien, etwa die Volkarts aus Winterthur, reich machte. Und zu sehen sind auch bekannte Afrikabilder des Schweizer Luftfahrtpioniers, Reisefotografen und Nationalhelden Walter Mittelholzer (1894–1937) – in den Augen der Ausstellungsverantwortlichen Fallbeispiele stereotypischer und rassistischer Darstellung von Schwarzen.

Fritz und Paul Sarasin forschen in Ende 19. Jh. in Britisch-Ceylon und Celebes, damals Teil der niederländischen Kolonien. Sie gehen aber auch auf Grosswildjagd. Das Jungtier dieses erlegten Elefanten wird dem Basler Zoo überbracht. Sarasins in Sri Lanka, 1883–1907

Spannend und unbestritten lohnend ist die Kolonial-Schau jedoch dann, wenn nicht moralisiert wird, sondern Einzelschicksale von dieser ersten Globalisierungswelle der Neuzeit erzählen. Etwa die Geschichte des Neuenburgers Charles-Daniel de Meuron (1738–1806), der als Kommandant eines zeitweilig über 1000 Mann starken Schweizer Söldnerregiments für die Niederländer und Briten in Indien Schlachten schlug und indigene Kämpfer niedermetzelte.

Eine unrühmliche koloniale Karriere machte auch der Bündner Hans Christoffel (1865–1962), ein Schweizer Offizier in der niederländischen Kolonialarmee, der als Anführer der «Tigerkolonne» im Aceh-Krieg in Indonesien durch seine gnadenlosen Taktiken – darunter Enthauptungen – zur Unterdrückung von Aufständen berüchtigt wurde. De Meuron und Christoffel sind beide plastische Beispiele für die Beteiligung von Schweizern an kolonialen Kämpfen und Kriegsverbrechen.

Karl Krüsi (1855–1925) arbeitet in Niederländisch-Indien auf Schweizer Plantagen. 1881 ersteht er eine eigene und benennt sie nach seiner Frau Mary. 1893 verkauft er. Nun vermögend baut er in Zürich die Villa Sumatra an der heutigen Sumatrastrasse. Manager House in Deli, Karl Krüsi, Sumatra, 1885

Umgekehrt beleuchtet die Schau auch den Lebensweg von Frauen und Männern, der von Asien oder Afrika in die Schweiz führte. Pauline Buisson etwa, eine aus Saint-Domingue verschleppte versklavte Frau, kam 1776 durch den Schweizer Geschäftsmann David-Philippe de Treytorrens nach Neuenburg. Dort arbeitete sie nicht nur in dessen Haushalt, sondern auch als angesehene Hebamme. Oder das Schicksal der Ghanaerinnen Amanou Rebecca und Ankrah Kpapo, die als «afrikanisches Geschwisterpaar» um das Jahr 1900 in der Schweiz an Völkerschauen auftraten.

«Ich sehe die Schweizer Missionare nicht als Kolonisatoren»

Die Ausstellung im Landesmuseum führt die Besucherinnen und Besucher in ein metaphorisches «Herz der Finsternis», wie es Joseph Conrad in seinem gleichnamigen Kolonialroman beschrieb. Doch dass Kolonialismus, so verurteilenswert er auch ist, als Globalisierungsphänomen nicht nur Ausbeutung, Krieg und Unrecht hervorbrachte, sondern auch Austausch, Handel, Wachstum und Fortschritt bedeuten konnte: Diese «globalen Verstrickungen» werden kaum thematisiert. Nur der indische Künstler Sandeep TK, der als Kind in Indien eine Schule der Basler Mission besuchte, greift diesen Aspekt in einer Fotoserie auf; er kommentierte diese unlängst gegenüber der «bz Basel» folgendermassen: «Ich sehe die Schweizer Missionare nicht als Kolonisatoren. Ich bin froh, dass sie nach Indien gekommen sind.»

Was nicht zur postkolonialen Sichtweise passt, scheint unter den Tisch zu fallen. Zu Recht wird der indigene Widerstand gegen die Kolonisatoren aufgezeigt, die Kollaboration lokaler Eliten mit den Kolonialmächten bleibt jedoch weitgehend ausgeklammert. Dabei gehört gerade in vielen afrikanischen Ländern die Aufarbeitung dieser komplexen Herrschaftsbeziehungen mittlerweile zu einem vollständigen Verständnis der kolonialen Geschichte. So viel Differenziertheit wäre ebenso einem Schweizer Publikum zuzutrauen.

Schliesslich führt die Ausstellung die Besucherinnen und Besucher an die Gegenwart heran und mischt sich in die aktuellen Kolonialismusdebatten ein, fragt also, ob es angebracht sei, Statuen von Sklavenhändlern abzureissen und Strassennamen umzubenennen.

Museumschefin Denise Tonella sagt, ihr Haus wolle keine Denkmäler stürzen oder historischen Rassismus aus der Geschichte tilgen. «Unsere Aufgabe ist es, zu bewahren, zu zeigen und zu erklären – dazu gehört aber, koloniale und rassistische Quellen zu kommentieren und einzuordnen.» Bei der Edition des Ausstellungskatalogs konnte sich dieser wissenschaftlich korrekte Zugang offenbar nicht durchsetzen, hier sind Wörter wie «Indianer» oder «Mohr», selbst dann, wenn sie aus Quellen zitiert werden, abgedeckt, zensuriert.

Bundesrat Cassis: «Die Schweiz als Land hat keine koloniale Vergangenheit»

Die Schweiz hatte selbst keine Kolonien, ihre Rolle in der Geschichte des Kolonialismus gehört jedoch zweifellos kritisch untersucht und als aktuelles Thema in ein Nationalmuseum. Es stellt sich jedoch für die Museen ähnlich die Frage wie für die Geschichtswissenschaft: Wird hier Geschichte wissenschaftlich und differenziert aufgearbeitet? Oder inszeniert man sich aktivistisch und als politischer Akteur?

Zur Erinnerung: Die offizielle Schweiz vertritt eine ziemlich andere Position, als sie das Landesmuseum mit der Kolonialausstellung nun präsentiert. 2021 bekräftigte Bundesrat Ignazio Cassis im Schweizer Radio eine einige Jahre zuvor von der damaligen Bundesrätin Doris Leuthard gemachte Aussage: Weder die Schweiz als Land noch die «Organe des Landes» seien in die Sklaverei involviert gewesen, und die Schweiz als Land habe «keine koloniale Vergangenheit».

Womöglich sollte Denise Tonella diese divergierenden Einschätzungen bald einmal mit ihren Chefinnen und Chefs im Bundesrat diskutieren.

Die Ausstellung «Kolonial – Globale Verflechtungen der Schweiz» dauert vom 13. September 2024 bis am 19. Januar 2025.