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Skitourenunglück im Wallis
Retter schafften es auf 3000 Meter Höhe – weiter kamen sie nicht

Die Rettungskräfte versuchten vergeblich, die Tourengänger lebendig zu retten.
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Sie kannten die Route im Gebirge bestens. Aber sie kannten sie nicht bei einem Wintersturm.

Am Samstagmorgen steigen sechs Tourenskigänger, fünf Walliser und ein Freiburger, von Zermatt auf in Richtung Arolla. Das Matterhorn befindet sich auf der linken, die Dent Blanche auf der rechten Seite. Es ist der erste Abschnitt des legendären Skitourenrennens Patrouille des Glaciers. Das Rennen findet alle zwei Jahre statt, das nächste Mal im April dieses Jahres.

Auf die nächste Patrouille will sich die Gruppe mutmasslich vorbereiten. Der erste Aufstieg ist kräftezehrend. Der Vorteil, den Athleten an der Patrouille des Glaciers haben: Die Route ist wie eine Skipiste präpariert. Das ist sie am Samstagmorgen nicht. Und die Situation wird immer komplizierter und gefährlicher. Auf dem zweiten Abschnitt der Patrouille des Glaciers kommt es zur Tragödie

Anjan Truffer, Profibergsteiger und Rettungschef von Zermatt, sagt: «Für Samstag wurde ein starker Sturm mit heftigen Niederschlägen angekündigt. Die meteorologischen Bedingungen mit Lawinenstufe 4 waren für eine solche Tour nicht geeignet.» Das bekommt die sechsköpfige Gruppe nun direkt zu spüren. Es fällt innerhalb von kurzer Zeit so viel Schnee, dass die Tourengänger kaum mehr vorankommen. 

From left to right, Beatrice Pilloud, general public Prosecutor of the canton of Valais, Christian Varone Commandant of the Valais Cantonal Police and Fredy-Michel Roten, director of the OCVS (Organisation cantonale valaisanne des secours), attend a press conference following the discovery of 5 ski tourers who had died near Tete Blanche in the Swiss alps mountains, in Sion, Switzerland, Monday, March 11, 2024. Five cross-country skiers who went missing during a ski tour in Switzerland were found dead, while a search was still on for the sixth skier. The skiers, five of them members of the same family, went missing around Tete Blanche mountain on Saturday on the Zermatt-Arolla path, near the Matterhorn mountain that straddles the border between Switzerland and Italy. (KEYSTONE/Valentin Flauraud)

Ein Familienmitglied wartet am Samstagnachmittag am Endziel in Arolla, um die Tourengänger da in Empfang zu nehmen. Doch auch in Arolla stürmt es. Vor allem aber kommen die Sportler nicht an. 

Notruf aus dem Gebirge

Um 16.03 Uhr alarmiert das Familienmitglied die Polizei und schlägt Alarm. Parallel versuchen die im Hochgebirge blockierten Sportler Alarm zu schlagen. Um 17.19 Uhr schafft es jemand, mit seinem Handy die Rettungskräfte zu erreichen. Spezialisten der Kantonspolizei gelingt es, den Anrufer zu orten. Er befindet sich auf rund 3500 Metern Höhe, unterhalb des Gipfels der Tête Blanche.

Gegen 18.20 Uhr steigt eine Rettungskolonne mit Bergführern und einem Arzt von Zermatt auf, der Gruppe nach. Die Bedingungen sind katastrophal. Und vor allem sind sie gefährlich. Es könnten jeden Moment Lawinen niedergehen. Die Rettungskolonne schafft es auf 3000 Meter Höhe. Weiter kommt sie nicht. Um 21 Uhr muss sie die Rettung an diesem Tag abbrechen. 

Die Retter warten die ganze Nacht von Samstag auf Sonntag auf ein Zeitfenster mit akzeptablen Wetterbedingungen, um wieder aufzusteigen. Vergebens. Die Unwetterfront zieht nicht vorbei.

Das Eingraben misslingt

Am nächsten Tag stösst auch der Zermatter Rettungschef Anjan Truffer zur Rettungskolonne. Truffer sagt: «Wenn man selbst als geübter Tourenskifahrer in eine solche Situation gelangt, weiss man rasch nicht mehr, wo vorne und hinten ist.» Um sich im Gelände nicht zu verlieren und sich vor dem Wind, den eisigen Temperaturen, Eisabbrüchen und Gletscherspalten zu schützen, muss man eine Schneehöhle graben, um sich einzunesten. 

Später an diesem Tag wird auch Truffer sehen: Die Tourenskigänger versuchten zwar noch, sich in Höhlen einzugraben und sich so über die Nacht in den nächsten Tag zu retten. Doch auf 3500 Metern Höhe dürfte das Thermometer in dieser Nacht auf minus 15 Grand Celsius gefallen sein. Die sechs Tourenskifahrer waren zwar trainierte Athleten, aber hatten schlicht keine geeignete Ausrüstung mit dabei, um die Nacht im Hochgebirge zu verbringen. Zudem blieb die Gruppe nach ersten Erkenntnissen nicht zusammen, sondern verlor oder verzettelte sich.

Die meteorologischen Bedingungen bleiben auch am Sonntag zunächst miserabel. Truffer und die weiteren Retter können nicht aufsteigen. Derweil haben Spezialisten der Kantonspolizei nun aber die Mobiltelefondaten der Sportler auswerten können. Sie haben ihren wahrscheinlichen Aufenthaltsort unter der Tête Blanche eruieren können.

Sechs Rettungshelikopter sind bereits im Einsatz. Die Armee schickt am Sonntag einen Super Puma. Um 18.30 Uhr kann endlich ein Rettungsteam mit zwei Rettern, einem Arzt und einem Gebirgsspezialisten der Polizei im Helikopter in die Nähe der Dent-Blanche-Hütte geflogen und abgesetzt werden. Die Retter, darunter Anjan Truffer, arbeiten sich rund vier Kilometer bis zur Tête Blanche vor. Sie finden fünf der sechs Tourengänger, alle tot. Die Körper werden am Sonntagabend ins Tal geflogen. Vom sechsten Sportler fehlt jede Spur. Erst um 1 Uhr morgens wird die Suche nach ihm eingestellt, jedoch am frühen Montagmorgen wieder begonnen.

Retter erhebt keine Vorwürfe

Während die Suche nach der sechsten Person läuft, informiert der Walliser Polizeikommandant Christian Varone an einer Medienkonferenz über die Tragödie. «Sie haben alles gemacht, um sich zu schützen», sagt Varone über die verstorbenen Tourengänger. Und auch die Polizei habe alles unternommen, um sie zu retten, versichert er. Über die Todesursache will er nicht spekulieren, auch weil die «offizielle Identifikation der Opfer nicht stattgefunden hat», wie er sagt. 

Die meteorologischen Bedingungen in Zermatt waren am Samstagmorgen noch «relativ gut», versichert der Polizeichef. Man könne von zu Hause auf dem bequemen Sofa den Fall schlecht beurteilen. «C’est la montagne qui décide!» (der Berg hat das Sagen!), betonte Varone.

In eine vergleichbare Situation sei er zwar noch nie geraten, sagt Truffer, aber als Bergführer führe er stets Material und Ausrüstung mit sich, um sich im Fall solcher Extrembedingungen schützen zu können. Wie geht es einem Retter und Profibergsteiger am Tag nach dem Drama? «Man steht auf und geht arbeiten», sagt Anjan Truffer. Er mache niemandem einen Vorwurf, aber man müsse sich stets bewusst sein, dass es im Hochgebirge rasch gefährlich werden könne.