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Zahlen auch 2023 tief
Babyflaute in Zürich hält an

A midwife measures the head circumference of a newborn infant named Julia at the maternity unit of the Triemli Hospital in Zurich, Switzerland, on September 27, 2016. Julia was delivered by cesarean section because she was facing the wrong way for a vaginal delivery. (KEYSTONE/Gaetan Bally)
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Es ist eine eindrückliche Trendwende. In der Stadt Zürich sind die Geburten zwischen 2001 und 2014 beinahe kontinuierlich gestiegen, von jährlich 3472 auf 5145. Bis 2021 stagnierten die Geburtenzahlen auf hohem Niveau – dann kam 2022.

Die Geburtenzahlen brachen plötzlich ein, auf 4538. Das ist ein Minus von 14 Prozent und entspricht dem tiefsten Wert seit 2009. Jetzt zeigen die aktuellen, provisorischen Halbjahreszahlen von Statistik Stadt Zürich, das Jahr 2022 wird kaum eine Ausnahme bleiben.

Zwischen Januar und Juni 2023 sind 2199 Stadtzürcher Babys zur Welt gekommen, das sind im Vergleich zum Vorjahr fast gleich viele und im Vergleich zum langjährigen Vor-Corona-Schnitt (2015 bis 2019) 14 Prozent weniger.

Auch in Winterthur deuten die Halbjahreszahlen auf weniger Geburten hin, wobei die Stadt keinen so ausgeprägten 2022er-Knick kannte. Die aktuellen Halbjahreszahlen zeigen, dass sie 11 Prozent tiefer liegen als noch vor der Pandemie.

Die Spurensuche

Es gibt verschiedene Thesen, was zum Geburtenrückgang geführt hat. Statistik Stadt Zürich hat den Einbruch von 2022 genauer untersucht und die Resultate unlängst in einem längeren Webartikel veröffentlicht.

Die ernüchternde Erkenntnis: Eine abschliessende Antwort haben die Statistikerinnen und Statistiker nicht.

So kann der Einbruch zum Beispiel nicht durch eine Stadtflucht erklärt werden. Der Babyboom seit der Jahrtausendwende in Zürich ist unter anderem darauf zurückzuführen, dass mehr Frauen im geburtsfähigen Alter in der Stadt lebten und diese auch mehr Kinder hatten.

Derzeit ist die Zahl der 15- bis 49-jährigen Frauen um rund 3000 Personen höher als noch Ende 2019. Es ist also so, dass die Frauen, die hier sind, weniger Kinder haben, die sogenannte Fertilitätsrate also sinkt.

Auch wirtschaftliche Gründe oder einen Ukraine-Effekt (viele Ukrainerinnen sind zugezogen, haben aber kaum Kinder zur Welt gebracht) schliesst Statistik Stadt Zürich aus. Was aber feststeht: Der Rückgang ist kein statistisches Rauschen. Und: Was für 2022 gegolten hat, gilt derzeit noch immer.

Bundesamt für Statistik: «Historischer Tiefstwert»

Zürich ist dabei keine Ausnahme. Geburtenknicks wurden in verschiedenen Ländern, so auch in der Schweiz und in fast allen Kantonen, festgestellt. So kommentierte das Bundesamt für Statistik, dass die Geburtenrate 2022 auf einem «historischen Tiefstwert» lag.

Während die Zürcher Statistik-Profis keine abschliessende Antwort haben, meinen andere Expertinnen und Experten Antworten für die Trendumkehr gefunden zu haben. So sagte Jeannine Hess, die an der ZHAW zu Familienthemen forscht, unlängst der «SonntagsZeitung», es finde ein Kulturwandel statt, Kinderlosigkeit werde weniger stigmatisiert, sei zu einem akzeptierten Lebensmodell geworden.

Bettina Isengard vom soziologischen Institut der Universität Zürich führt zudem an: Viele Männer und Frauen würden aufgrund ihrer Ausbildung und beruflichen Situation erst später Kinder haben. «Das führt dazu, dass es auch rein biologisch oft schwieriger wird, Kinder zu bekommen, weshalb auch die Fertilität zunehmend rückläufig ist.» Dieser Trend ist deutlich. In der Stadt haben Frauen derzeit ihr erstes Kind vier Jahre später als noch um die Jahrtausendwende. So stieg das Durchschnittsalter der Mütter bei der Geburt ihres ersten Kindes von 30,4 Jahren auf 34,4 an.

Angefragte Spitäler mutmassen ebenfalls, dass es wohl das Resultat verschiedener Ursachen sein könnte. So heisst es beim Spital Zollikerberg und beim Stadtspital Triemli, dass ein anhaltender «Post-Corona-Effekt» mitverantwortlich sein könnte, also die allgemeine Verunsicherung aufgrund der aktuellen Weltlage. Pandemie, Inflation, Krieg in Europa.

Reduzierte Fruchtbarkeit wegen Covid-Erkrankung

Was für diese These spricht, sind Zahlen der Zürcher Statistikerinnen und Statistiker. Der Rückgang bei den Erstgeburten ist höher als bei den Zweitgeburten, es wurden also weniger Familien neu gegründet.

Die Fachpersonen des Stadtspitals Triemli sehen zudem einen möglichen Zusammenhang zwischen Covid-Erkrankungen und dem Geburteneinbruch. So reduziere eine Covid-Erkrankung die Fruchtbarkeit von Männern, es gebe eine verminderte Spermienproduktion, Testosteronmangel und Erektionsstörungen während mindestens 60 Tagen. Dies beeinträchtige die Wahrscheinlichkeit einer Schwangerschaft. Das Spital Zollikerberg verweist zudem noch einmal explizit darauf, dass es keine wissenschaftlichen Hinweise gebe, dass die Corona-Impfungen die weibliche oder die männliche Fertilität schädigen würden.

Insgesamt gehen die beiden Spitäler davon aus, dass die Geburtenzahlen in diesem Jahr stagnieren oder leicht höher sein werden als noch im Vorjahr.

Die tiefere Geburtenzahl beschäftigt auch die Schulraumplanung der Stadt Zürich. Im aktuellen Bericht schreibt die Stadt, dass das erwartete langfristige Schülerwachstum zum Teil deutlich tiefer sei als noch vor einem Jahr. Die Stadt wird die Entwicklung entsprechend genau beobachten. Zurzeit geht das Schulamt davon aus, dass sich die Geburtenzahlen mittelfristig wieder erholen.