Späte Mütter«Die meisten Frauen haben ab 42 keine guten Eizellen mehr»
Frauen sind heute länger fruchtbar als früher. Wer sich darauf verlässt, könnte dennoch eine Enttäuschung erleben.
Wer junge Frauen ermahnt, mit dem Kinderbekommen vorwärtszumachen, muss auf einen Shitstorm gefasst sein. Viele gut gebildete Frauen möchten verständlicherweise zuerst einmal im Beruf Fuss fassen, ihre anderweitigen Interessen pflegen und den passenden Partner finden, bevor sie Mutter werden. Dabei ständig die Altersguillotine im Nacken zu spüren, ist unangenehm – insbesondere, da Männer diesbezüglich weit weniger unter Druck stehen.
Dennoch: Die heutigen Lebensentwürfe können biologische Realitäten nicht einfach vom Tisch wischen. «Viele Frauen versuchen zu spät, ein Kind zu bekommen», sagt Michael von Wolff, Chefarzt der Abteilung Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin am Berner Inselspital. Ihre Wahrnehmung werde häufig verzerrt durch Berichte in den Medien über prominente Frauen, die in fortgeschrittenem Alter noch Mutter wurden – etwa Gianna Nannini, die mit 54 ihr erstes Kind bekommen hat.
«Das war mit Sicherheit eine Eizellspende», stellt von Wolff klar. Diese Praxis ist in der Schweiz verboten. Viele Paare lassen sich jedoch in Ländern mit weniger strengen Gesetzen behandeln, zum Beispiel in Spanien, Griechenland oder Belgien.
Menstruieren heisst nicht automatisch fruchtbar sein
Zwar müsse eine kinderlose Frau Mitte 30 heutzutage noch nicht in Panik ausbrechen, relativiert der Fertilitätsmediziner und Forscher. Und dass Frauen ab 35 generell als Spätgebärende gelten und von Risikoschwangerschaften gesprochen wird, findet auch er überholt. Heutzutage seien Frauen tatsächlich im Durchschnitt etwas länger fruchtbar als früher.
Dies habe sicherlich mit der besseren medizinischen Vorsorge zu tun – etwa, dass Myome in der Gebärmutter meist entdeckt und entfernt würden. Zudem seien Ernährung und Lebensstil generell gesünder geworden.
Kein Grund zu mehr Gelassenheit ist jedoch, dass Frauen heutzutage über eine längere Zeit hinweg die Periode haben. Lag die Zeitspanne zwischen der ersten und letzten Monatsblutung Anfang 60er-Jahre noch bei 35 Jahren, so ist sie unterdessen um mehr als zwei Jahre angestiegen: Mädchen bekommen heute ihre Menstruation früher – und Frauen kommen später in die Wechseljahre.
Die Menopause – also die allerletzte Blutung – tritt heute in westlichen Ländern zwischen 50 und 52 Jahren auf. Dies heisse aber noch lange nicht, dass sich damit auch die Zeit der Fruchtbarkeit gegen oben ausgedehnt habe, erklärt von Wolff, der gleichzeitig auch Präsident der Schweizer Gesellschaft für Reproduktionsmedizin ist: «Die meisten Frauen haben ab 42 keine guten Eizellen mehr. Die Fertilität endet weit vor der Menopause.» Die Chancen einer Schwangerschaft seien um die 50 nur noch äusserst gering.
Mehr behinderte Kinder, mehr Komplikationen
Die Fruchtbarkeit nimmt Mitte 30 zwar nicht sprunghaft ab, sondern graduell und immer schneller. Betragen die Chancen, auf natürlichem Weg schwanger zu werden, mit Anfang 30 noch etwa 30 Prozent pro Zyklus, ist die Chance mit 40 Jahren nur noch halb so gross – selbstverständlich stets bei Geschlechtsverkehr zum richtigen Zeitpunkt. Zudem steigt das Risiko für Fehlgeburten. Mit 35 Jahren verliert etwa jede fünfte Frau ihr Kind während der Schwangerschaft, bei den 40-Jährigen bereits jede dritte.
Bekanntlich steigt auch die Wahrscheinlichkeit einer Behinderung. Beim Downsyndrom sind die Zahlen besonders deutlich: Mit 35 trägt eine von 500 Frauen einen Fötus mit Downsyndrom in sich. Bei den 40-Jährigen ist es bereits jede 100. und bei den 45-Jährigen jede 27. Frau. Je älter eine Frau ist, desto mehr Probleme treten zudem in der Schwangerschaft auf.
Auch Spermienqualität nimmt ab
Auch Männer sollten nicht zu lange warten mit dem Zeugen von Nachwuchs. Bei einem 60-Jährigen stehen die Chancen nur noch halb so gut wie bei einem 30-Jährigen. Dies hat mit der Menge und der Qualität der Spermien zu tun: Beides sinkt mit zunehmendem Alter.
Überdies zeigen Studien weltweit, dass Beweglichkeit und Menge der Spermien auch innerhalb der gleichen Altersgruppe abgenommen hat. Untersuchungen bei Schweizer Rekruten haben zum Beispiel ergeben, dass die Spermienkonzentration in den letzten 50 Jahren um mehr als die Hälfte zurückgegangen ist. Wie stark dies die Zeugungsfähigkeit beeinträchtigt, ist bisher aber noch unklar.
Behandlung rechtzeitig angehen
Wenn es mit der Elternschaft nicht klappt, suchen Paare häufig in einer Kinderwunschklinik Hilfe. Die Ärzte untersuchen dann zuerst einmal die Eileiter sowie die Konzentration und die Beweglichkeit der Spermien und versuchen, den Zeitpunkt des Geschlechtsverkehrs zu optimieren. Als nächster Schritt werden die Eierstöcke und die Eizellen angeschaut, um zu beurteilen, ob eine künstliche Befruchtung (In-vitro-Fertilisation) Erfolg verspricht.
«Bei einer guten Reserve an Eizellen kann es auch mit 42 noch funktionieren», sagt Michael von Wolff. «Ist das nicht der Fall, kann ich auch mit meinen Hormonspritzen kaum etwas ausrichten.»
Auch in der Kinderwunschmedizin gelte jedoch: je älter, desto geringer die Chance. Ist die Therapie erfolgreich, möchten Eltern zudem vielleicht noch ein zweites Kind – ein weiterer Grund, sich frühzeitig in ärztliche Beratung zu begeben.
Reserve im Gefrierschrank
Frauen, welche die Mutterschaft hinausschieben möchten, haben die Möglichkeit, ihre Eizellen einzufrieren. Wer dies bis spätestens 35 angehe, habe eine 80-prozentige Chance, später ein Kind zu bekommen, sagt von Wolff.
Das sogenannte Social Freezing ist jedoch teuer und ethisch umstritten – vor allem, nachdem Konzerne wie Apple und Facebook ihren Mitarbeiterinnen angeboten haben, die Therapie zu finanzieren, damit sie die Mutterschaft zugunsten der Karriere aufschieben. Ursprünglich war die Methode für krebskranke Frauen gedacht, weil Chemotherapie die Eizellen schädigen kann.
«Wenn alle bereits Mitte 20 Kinder kriegen würden, könnten wir unser Kinderwunschzentrum schliessen.»
Soll aus den eingefrorenen Zellen später ein Kind entstehen, braucht es zudem immer noch einen Mann. Nur in einigen deutschen Kliniken ist eine Kinderwunschtherapie für Singles möglich. Auch ist eine künstliche Befruchtung mit verschiedenen Unannehmlichkeiten verbunden.
Michael von Wolff, der selber bereits während des Studiums Vater geworden ist, sähe es deshalb lieber, wenn die gesellschaftlichen Bedingungen für junge Eltern verbessert würden – etwa durch eine günstigere Kinderbetreuung. «Wenn alle bereits Mitte 20 Kinder kriegen würden, könnten wir unser Kinderwunschzentrum möglicherweise schliessen.»
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