Social Media in Brasilien Richter Robocop droht Elon Musk – folgt gar die X-Sperre?
Der Chef des sozialen Netzwerks weigert sich, Fake-News-Konten zu entfernen. Richter Alexandre de Moraes reagiert scharf – ein Streit unter Alphatieren.
Es sind zwei schillernde Persönlichkeiten, die aneinandergeraten sind. Auf der einen Seite Multimilliardär Elon Musk, Chef des sozialen Netzwerkes X und selbst ernannter Hüter der Meinungsfreiheit. Auf der anderen Seite der selbstbewusste brasilianische Richter Alexandre de Moraes, der juristisch gegen Desinformation vorgeht und dabei auch vor Verhaftungen und Sperrungen einflussreicher Social-Media-Accounts nicht zurückschreckt.
Am Wochenende eskalierte der Streit. Elon Musk verkündete, er würde sich weigern, Konten auf seiner Plattform X sperren zu lassen, nachdem dies de Moraes angeordnet hatte. Der Richter am obersten brasilianischen Gerichtshof kündigte daraufhin an, die Behörden würden auch gegen Musk ermitteln. Dieser erlaube auf seiner Plattform Accounts, die die brasilianische Demokratie gefährdeten und die Arbeit der Justiz behinderten. «Soziale Netzwerke sind kein rechtsfreier Raum!», schrieb de Moraes in seiner richterlichen Anordnung – in Grossbuchstaben und mit Ausrufezeichen am Schluss.
Brasiliens Demokratie am Limit
Mit seiner Weigerung, Konten zu sperren, ist Elon Musk Akteur in einem Streit geworden, der Brasiliens Demokratie an die äusserste Grenze gebracht hat. Im Wahlkampf um die Präsidentschaft 2022 behauptete der damalige Präsident Jair Bolsonaro, das elektronische Wahlsystem sei manipuliert. Würde er, Bolsonoro, die Wahl verlieren, dann nur weil die Justiz zugunsten seines Rivalen Lula tricksen würde.
Vor Lulas Wahlsieg teilte Bolsonaros Anhängerschaft auf X tausendfach manipulierte Videos von angeblich nicht funktionierenden Wahlmaschinen und andere Fake-News-Filmchen. Brasiliens Wahlsystem ist international anerkannt. Es gab nie auch nur ein Indiz dafür, dass bei Lulas Wahlsieg betrogen wurde. Trotzdem sind viele Bolsonaristen heute noch überzeugt, dass die Wahlen in Brasilien von finsteren Mächten manipuliert worden waren.
Das zeigte sich im Januar des vergangenen Jahres, als fanatische Bolsonaro-Anhänger ihre eigene Version des Sturmes auf das US-Capitol durchführten: Sie verwüsteten in der Hauptstadt Brasilia das Parlament, den Präsidentenpalast und das höchste Gericht (lesen Sie hier die Analyse zum Sturm auf Brasiliens Demokratie). De Moraes reagierte damals auf den Angriff auf Brasiliens Demokratie mit voller Härte. Er liess nicht nur 1500 Möchtegern-Putschisten festnehmen. Er startete auch grossangelegte Ermittlungen gegen die Verbreiter von Fake News, die Brasiliens Demokratie angriffen.
Dabei liess er auch Social-Media-Accounts sperren. Unter anderem ging de Moraes gegen den einflussreichen Journalisten und Youtuber Allan Dos Santos vor, den die «Columbia Journalism Review» einst in einem Porträt als «Fake-News-König» betitelte. De Moraes beschuldigt Dos Santos, für seine Verschwörungsvideos Gelder von der Bolsonaro-Regierung erhalten zu haben.
Ein Richter, der gegen Fake News auf sozialen Netzwerken vorgeht – für Elon Musk muss das ein Gräuel sein. Nachdem er die Plattform X 2022 gekauft hatte, strich er die Zahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zusammen, die gegen die Verbreitung von Falschinformationen zu Wahlen vorgehen sollten. Der Ton auf seinem Netzwerk ist noch rauer geworden. Trolle, pornografische Accounts und Verschwörungstheoretiker haben seit Musks Übernahme massiv an Reichweite gewonnen (lesen Sie hier die Analyse zu X unter Elon Musk).
In mehreren Posts bezeichnete Musk de Moraes als «Diktator» und «Brasiliens Darth Vader». In Brasilien wird de Moraes allerdings Robocop genannt, abgeleitet vom Science-Fiction-Film, in dem ein Roboter-Mensch-Hybrid Jagd auf Verbrecher macht. Den Namen trägt der konservative Katholik nicht nur wegen seiner Glatze, sondern auch, weil er seine Ermittlungen mit roboterhafter Systematik vorantreibt (lesen Sie hier ein Porträt über de Moraes).
Musk befürchtet Schliessung von X in Brasilien
Wie der Streit der beiden Alphamänner ausgeht, ist unklar. Im vergangenen April zeigte de Moraes, dass er vor drastischen Massnahmen nicht zurückschreckt. Er liess den Kurznachrichtendienst Telegram sperren, weil das Unternehmen nicht gegen Fake News vorging. Dieses knickte rasch ein, weshalb die Sperrung nur einige Tage andauerte.
Einen solch drastischen Schritt scheint Elon Musk zumindest nicht auszuschliessen. Er hat den Nutzern in Brasilien empfohlen, einen VPN-Client zu installieren. Dieses Programm verschleiert die Herkunft eines Users und kann so länderspezifische Sperrungen umgehen. Weiter bot er de Moraes an, die Differenzen öffentlich zu diskutieren. Es ist nicht davon auszugehen, dass Robocop Alexandre de Moraes sich von diesem Angebot besänftigen lässt.
Fehler gefunden?Jetzt melden.