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Justiz gegen Brasiliens Ex-Präsident
Die Schlinge um Bolsonaro zieht sich zu

(FILES) Brazilian former President, Jair Bolsonaro, speaks to the press at the Juscelino Kubitschek International Airport in Brasilia on June 30, 2023. Brazil's former president Jair Bolsonaro will surrender his passport to authorities, his lawyer said on February 8, 2024, as police carried out a series of raids targeting suspects accused of a "coup" attempt. (Photo by Sergio Lima / AFP)
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Will man Jair Bolsonaros derzeitige Situation zusammenfassen, lässt sich sagen: Der Pass ist weg, kassiert vergangene Woche von brasilianischen Behörden wegen Fluchtgefahr. Dafür aber hat der rechtsextreme Ex-Präsident wohl immer noch eine grosse Anhängerschaft, und sie ruft er nun zusammen, zu einer Grossdemonstration am kommenden Sonntag in São Paulo.

Busse aus dem ganzen Land werden erwartet, zehn-, vielleicht hunderttausend Menschen. Es ist eine Machtdemonstration, keine Frage, aber auch ein Akt der Verzweiflung, denn mittlerweile glauben selbst Mitarbeiter aus Bolsonaros eigenen Reihen, dass es nur noch eine Frage der Zeit ist, bis der 68-Jährige verhaftet werden könnte.

Von Gerichtes wegen «unwählbar»

Jair Bolsonaro werden eine ganze Reihe von Vergehen vorgeworfen, von der Fälschung von Covid-Impfzertifikaten über die Veruntreuung von Staatsgeschenken bis hin zur Verbreitung von Falschnachrichten. Vergangenes Jahr wurde der Ex-Präsident von einem Gericht schon für «unwählbar» erklärt, unter anderem wegen Amtsmissbrauchs. Für acht Jahre darf er nun nicht für ein öffentliches Amt kandidieren, was auch die Präsidentenwahl 2026 einschliesst.

All das ist aber nichts im Vergleich zu der juristischen Auseinandersetzung, die sich nun zusammenbraut. Es geht um Putschpläne, gut organisiert und teilweise bis ins kleinste Detail ausgearbeitet. Bolsonaro soll von all dem nicht nur gewusst haben: So wie es derzeit aussieht, war er einer der massgeblichen Strippenzieher.

Alles begann wohl vor rund eineinhalb Jahren: Damals, ein paar Monate vor den Präsidentschaftswahlen im Oktober 2022, war Bolsonaro noch regulärer Staatschef von Brasilien. Und weil er es offenbar unbedingt auch bleiben wollte, begann er wohl mit einigen engen Vertrauten zu überlegen, wie man sich im Falle einer Niederlage weiter an der Macht halten könnte.

Im Juli 2022 rief Bolsonaro Teile seines Kabinetts und hochrangige Militärangehörige zu einem Treffen zusammen. Die Chancen auf einen Sieg an den Urnen stünden nicht gut, erklärte Bolsonaro, dazu warnte er vor Wahlbetrug: Linke Richter und Politiker hätten sich verschworen, um einen Sieg der brasilianischen Rechten zu verhindern. Man müsse nun reagieren – dazu gehöre unter anderem, das Vertrauen der Menschen in das Wahlsystem zu untergraben.

Man weiss das alles heute deshalb so genau, weil – warum auch immer – von dieser eigentlich geheimen Kabinettssitzung eine Videoaufnahme angefertigt wurde. Der Mitschnitt gelangte über einen ehemaligen engen Mitarbeiter Bolsonaros, der mittlerweile als Kronzeuge gegen ihn dient, in die Hände der brasilianischen Justiz; vergangene Woche hat das oberste Gericht das Video auch noch öffentlich zugänglich gemacht.

A strong security presence is set up at the Esplanade of Ministries, as seen through a window that was damaged when supporters of former President Jair Bolsonaro stormed the area on Sunday, at the Planalto Palace, in Brasilia, Brazil, Wednesday, Jan. 11, 2023, ahead of new expected protests called by Bolsonaro supporters. (AP Photo/Eraldo Peres)

Vor etwas mehr als einem Jahr, am 8. Januar 2023, hatten radikale Anhänger von Jair Bolsonaro das Regierungsviertel in der Hauptstadt Brasília gestürmt, sie waren in das Kongressgebäude eingedrungen und in den obersten Gerichtshof.

Bald war klar, dass der Angriff im Vorfeld gut geplant war, und wenig später fanden Behörden im Haus des früheren Justizministers Anderson Torres dann den Entwurf eines Dekrets, säuberlich ausgearbeitet von Juristen und gewissermassen das Drehbuch für einen Umsturz: Wegen Verdachts auf Betrug sollten zunächst die Präsidentschaftswahlen für ungültig erklärt werden. In einem zweiten Schritt hätte Jair Bolsonaro dann als noch amtierender Staatspräsident den Ausnahmezustand ausgerufen und so zusammen mit dem Militär die Kontrolle übernommen.

Die Schlinge zieht sich zu

Dass es am Ende nicht so weit kam, lag wohl vor allem am Zögern von Teilen der Streitkräfte, ebenso wie am Druck aus dem Ausland, allen voran den USA. Und dennoch: Pläne für einen Umsturz hatte es gegeben, und Jair Bolsonaro wusste nicht nur von dem Dekret, er soll es sogar persönlich überarbeitet haben. Nun also auch noch das Video, das ihn bei einem geheimen Treffen mit mutmasslichen Putschisten zeigt. Immer erdrückender wird die Beweislast – und immer enger zieht sich die Schlinge um den Ex-Präsidenten zu.

Dass bei Bolsonaro bisher nicht die Handschellen geklickt haben, hat vermutlich mehr strategische als strafrechtliche Gründe. Bei einem Prozess wegen versuchten Putsches würde dem ehemaligen Staatschef eine lange Haftstrafe drohen. Ein Gerichtsverfahren oder gar ein Urteil würde ihn in den Augen seiner Anhänger aber vermutlich auch zu einem Märtyrer machen: Für sie sind die Ermittlungen Teil einer grossen Verschwörung vom Verfassungsgericht und von der derzeitigen linken Regierung.

Mit der Grossdemonstration am Sonntag will Jair Bolsonaro nun zeigen, wie gross seine Anhängerschar immer noch ist – und damit auch seine Macht. Gleichzeitig ist es auch ein internes Kräftemessen, um zu sehen, wer innerhalb der brasilianischen Rechten immer noch zu ihm steht.

Bolsonaro hat seine Anhänger aufgerufen, in den brasilianischen Nationalfarben zu erscheinen und explizit ohne Transparente, auf denen einzelne Personen, Parteien oder Institutionen angegriffen werden. Es solle eine «friedliche Demonstration» werden, so der rechte Ex-Präsident, für «Gott, Heimat, Familie und die Freiheit».