Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Angriff auf Brasiliens Demokratie
Der Albtraum der brasilianischen Putschisten

«Es hat keinen Sinn, mit den Angreifern zu diskutieren»: Alexandre de Moraes (54), Präsident des Wahlgerichts.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Sein Büro im Gebäude des obersten Gerichtshofes haben sie förmlich zerlegt. Die Videos im Internet, die Fotos der Zerstörung in den Zeitungen lassen den Hass erahnen, den Anhänger des rechtsextremen brasilianischen Ex-Präsidenten Jair Bolsonaro gegen Alexandre de Moraes empfinden. Am vergangenen Sonntag hat ein gewalttätiger Mob das Regierungsviertel der Hauptstadt Brasília gestürmt, um die Demokratie im grössten Land Lateinamerikas zu beenden.

De Moraes ist Präsident des Wahlgerichtshofes und Mitglied des obersten brasilianischen Gerichtes. In den Augen von Bolsonaro-Anhängern ist er schuld daran, dass ihr Idol am 30. Oktober 2022 die Präsidentschaftswahlen gegen den Linken Luiz Inácio Lula da Silva verloren hat. Denn wie hatte Bolsonaro stets gesagt? Wenn er verliere, dann nur, weil die Wahljustiz zugunsten seines Gegners trickse und betrüge.

Wegen seines kahlen Schädels verhöhnten sie ihn als «Robocop».

Dabei war der 54-jährige de Moraes früher Mitglied der sozialdemokratischen Partei, die in Brasilien deutlich rechts der Mitte steht. Er ist ein konservativer Katholik, der sich gegen Abtreibung ausspricht und während seiner Zeit als Sicherheitschef des Bundesstaates São Paulo nie gezögert hat, die Polizei gegen linke Demonstranten einzusetzen. Wegen seines kahlen Schädels verhöhnten Linke den Juristen damals als «Robocop», in Anspielung auf die menschenartige Maschine im gleichnamigen Science-Fiction-Film.

Von Mitte 2016 bis Februar 2017 war de Moraes Justizminister unter dem damaligen Präsidenten Michel Temer, den die Linken ablehnten. Aus der Sicht der heutigen Rechtsextremen ist der verheiratete Vater dreier Kinder deshalb etwas viel Abscheulicheres als ein Widersacher: Er ist ein Verräter. Für Bolsonaros heutige Gegner hingegen ist de Moraes ein Verteidiger des Rechtsstaates und der Demokratie.

«Keine zivilisierten Menschen»

Nach dem Umsturzversuch liess er 1500 Personen festnehmen, nannte sie öffentlich Terroristen und sagte, sie sollten sich nun bloss nicht beklagen, dass sie im Gefängnis sässen. Es habe keinen Sinn, mit den Angreifern zu diskutieren, weil das keine zivilisierten Menschen seien – ein Blick auf die im Präsidentenpalast, im Parlament und im Justizgebäude angerichteten Verwüstungen genüge.

Obwohl lokale Polizeieinheiten sowie die Militärpolizei den Mob lange gewähren liessen, obwohl einzelne Uniformierte auf der Seite der Demokratiegegner zu stehen schienen, sagt de Moraes: Alle Institutionen würden die Demokratie verteidigen, daran zweifle er keine Sekunde.

De Moraes beweist Standfestigkeit, seit Bolsonaro 2018 zum Präsidenten gewählt wurde. Mehrere von dessen Entscheidungen stürzte der Richter kraft seines Amtes um – etwa, als der Regierungschef keine Covid-Infektionszahlen mehr veröffentlichen wollte, um das Ausmass des von ihm verursachten Desasters zu verschleiern. Bolsonaro bezichtigte de Moraes, ein als Jurist verkleideter Aktivist zu sein. Er kündigte an, seine Urteile zu ignorieren, und versuchte einmal, ihn abzusetzen. 

Anzüglichkeiten gegenüber einer Minderjährigen

Während des Wahlkampfes liess Moraes mehr als 500 Videos und Nachrichten aus sozialen Medien entfernen, weil sie Lügen über den politischen Gegner verbreiteten. Die meisten stammten aus dem Bolsonaro-Lager, aber nicht alle. Einmal zirkulierte ein Video, in dem Bolsonaro der Pädophilie bezichtigt wurde, weil er in einem Interview anzügliche Sprüche über ein minderjähriges Flüchtlingsmädchen aus Venezuela gemacht hatte. Auch dieses Video liess Moraes löschen. Es sei aus dem Kontext gerissen.

Ein Einzelner, an dessen Integrität sich ein schwankendes Land aufzurichten versucht – die Konstellation ist alles andere als selten in Lateinamerika. Und oft flüchtig. Der Letzte, den in Brasilien ein ähnlicher Nimbus umgab, war der Richter Sergio Moro. Er hat seinen Heldenstatus wegen mangelnder Seriosität schnell verspielt. Aber für Alexandre de Moraes will das natürlich nichts heissen.