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Studie zum Imagewandel
Wie aus dem bösen Wolf eine Wildnis-Ikone wurde

A wolf stands inside it’s enclosure at the Colorado Wolf and Wildlife Center (CWWC) in Divide, Colorado on March 28, 2023. CWWC’s 35 acre property is home to 18 wolves, and offers daily tours. In 2020, Colorado voters passed Proposition 114, which required Colorado Parks and Wildlife to reintroduce gray wolves to designated lands on the western side of the Continental Divide no later than December 31, 2023. Wolves that have wandered into Colorado from the neighboring state of Wyoming have put ranchers on edge that their livestock may become prey, as well as presented challenges to the outcome of the reintroduction program. (Photo by Jason Connolly / AFP)
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Einsam, vom Menschen unberührt und primitiv, so soll die Wildnis (»Wilderness«) sein, die nordamerikanische Umweltschützer seit den 1960er-Jahren als neues Ideal entdeckten. «Wilderness entwickelte sich damals zum positiven Kernbegriff», schreibt der Schweizer Historiker Jon Mathieu in seinem aktuellen Aufsatz «Warum gilt der Wolf als Verkörperung der Wildnis?» in der «Schweizerischen Zeitschrift für Geschichte». Die Wildnis definierte man ab diesem Zeitpunkt in den USA nicht mehr als Bedrohung, sondern als Verheissung. «Born to be Wild» sang die US-Band Steppenwolf im Film «Easy Rider» im Jahr 1969.

Diese positive Umdeutung der Wildnis schwappte wie so vieles Kulturelles in der Folge nach Europa über, und es kam zu einer «Amerikanisierung des Naturschutzes».» Vor allem das pathetische, religiöse Element war neu in Europa», sagt Mathieu. Wildnis sei im deutschsprachigen Raum lange einfach das Gegenstück zu bebautem Land gewesen und «in der Regel negativ besetzt». Die Umweltschutzbewegung habe ursprünglich eher den Begriff «Natur» verwendet, der aus der Wissenschaft stammt. Noch heute spricht man von Naturschutz.

Nach USA-Reise die Gruppe Wolf gegründet

In der Schweiz wurde der Begriff «Wilderness» in Verbindung mit dem Hochgebirge popularisiert. In den Neunzigerjahren entstand die Gruppe «Mountain Wilderness». Sie machte mit spektakulären Aktionen gegen das Heliskiing auf sich aufmerksam und half, die positive Botschaft zu verbreiten.

In den Neunzigerjahren gründete eine Gruppe von Aktivisten auch die «Gruppe Wolf Schweiz». Das taten sie, nachdem sie in die USA gereist waren und dort das Seminar eines Wolfsforschers besucht hatten, «save wolves, save wilderness» lautete das Motto.

Dabei sind die Voraussetzungen in Nordamerika grösstenteils anders als in den europäischen Ländern. Wilde Landschaften sind in den Great Plains, den Rocky Mountains oder erst recht im dünn besiedelten Kanada zahlreicher und viel weitläufiger als in Europa und der Schweiz. In den USA leben im Durchschnitt 34 Menschen auf einem Quadratkilometer, in Kanada 4, in der Schweiz 215.

Der Wolf galt in Europa als böse

Seit Mitte der 1980er-Jahre findet sich der Begriff Wilderness häufiger in Texten im deutschsprachigen Raum. Die Wildnis wird zum Sehnsuchtsort vor allem der städtischen Bevölkerung. Damit waren die Voraussetzungen geschaffen, um auch den Wolf vom Übeltäter in den Märchen zur neuen Wildnis-Ikone umzudeuten.

Geschützt wurde der Wolf als Teil der sogenannten Berner Konvention im Jahr 1979. Damals waren die Wölfe allerdings noch weit von den Schweizer Grenzen entfernt. Als die Wolfspopulation in Europa zu wachsen begann, kam bei manchen das uralte Unbehagen zurück. Auch weil der Wolf nicht einfach ein Bewohner der Wildnis ist, sondern in der Biologie heute als Kulturfolger bezeichnet wird.

Der Wolf galt in Europa lange als böse und wurde «von den historischen Agrargesellschaften erbittert bekämpft und bis ins 19. Jahrhundert in grossen Teilen Westeuropas ausgerottet», wie Mathieu schreibt. Die Angst vor dem Wolf ist auch in Märchen und Sagen festgeschrieben, am berühmtesten ist der böse Wolf aus dem Rotkäppchen-Märchen der Gebrüder Grimm. Die Frage ist, ob in diesen Märchen – wie nicht selten – auch ein Kern Wahrheit steckt.

Historische Studie zu Todesfällen in Frankreich

Ob Wölfe tatsächlich Menschen angreifen, haben Forschende in den letzten zwanzig Jahren untersucht. In einer der neuesten Studien fasst der Biologe John Linnell vom Norwegischen Institut für Naturforschung (Nina) die Wolfsangriffe der Jahre 2002 bis 2020 zusammen. Angriffe seien nicht auszuschliessen, die »Einschätzung der frühen Wildbiologen zur Gefahr der Wölfe zu optimistisch», schrieb er.

Und in einem Interview mit der Zeitschrift «Spiegel» zum Bären, der im Frühjahr in Norditalien einen Jogger tötete, sagte der Biologe: «Es gibt in Europa keine Wildnis mehr, die gross genug wäre, dass sie sich als Lebensraum für Wildtiere eignen würde. Wenn wir Wildtiere nur in der Wildnis haben wollen, dann haben wir keine wilden Tiere mehr auf diesem Kontinent.»

Eine enge Nachbarschaft zwischen Mensch und Wolf führte in den vergangenen Jahrhunderten immer wieder zu Konflikten. Für Frankreich hat dies Jean-Marc Moriceau, ein Experte für frühneuzeitliche Agrargeschichte, in einer detaillierten historischen Studie im Buch «Vivre avec le loup? Trois mille ans de conflit» erarbeitet.

Moriceau dokumentierte die Angriffe vom 16. bis ins 19. Jahrhundert in Frankreich und stiess auf «Tausende von Todesfällen» vor allem bei Kindern und Jugendlichen. Besonders viele Attacken habe es zwischen 1691 und 1695 gegeben. Frankreich war damals eines der dichtbesiedeltsten Länder Europas. Kurz darauf entstand die erste französische Fassung des Märchens vom Rotkäppchen und dem bösen Wolf.

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