Pro und Kontra WolfsjagdIst es richtig, ganze Wolfsfamilien abzuschiessen?
Umweltminister Albert Rösti gibt auf Drängen der Landwirtschaft einen grossen Teil der Schweizer Wölfe zum Abschuss frei. Hat er vernünftig entschieden?
Ja. Das Raubtier muss seine Scheu vor den Menschen bewahren.
Es klingt schockierend: Über die Hälfte aller 300 Schweizer Wölfe werden zum Abschuss freigegeben.
Es wirkt empörend: Albert Rösti, ein bauernnaher SVP-Bundesrat, scheint am Volk vorbei zu entscheiden; vorbei an jener Mehrheit, die das revidierte Jagdgesetz abgelehnt hatte und somit das Abschiessen von Wölfen nicht erleichtern wollte. In dieser schon immer emotional aufgeladenen Debatte ist der Weg zur Gefühlswallung gerade wieder einmal besonders kurz.
Nüchtern betrachtet: Schock und Empörung sind unangebracht. Der Entscheid ist kein Sololauf eines bauernnahen Bundesrats. Es ist schlicht einer des Gesamtbundesrats. Nur ein Jahr nach seinem Antritt hat dieser den Auftrag des Parlaments konkretisiert. Eine Mehrheit dort wollte eine Revision der Jagdverordnung.
Zurück auf die Populationsgrösse von 2021
Zum zweiten Vorwurf: Eine stärkere Regulation ist nicht schockierend. Mit der neuen Zielgrösse geht die Schweiz einfach auf die Populationsgrösse des Jahres 2021 zurück. Zwölf Rudel in der Schweiz sind als Minimum angegeben. Die Zahl ist laut Rösti ein Kompromiss zwischen Bauernvertretern (5!) und Experten der Alpenkonvention (20). Die Umweltverbände wollen keinen Schwellenwert.
Über Zahlen kann man ewig streiten. Es hilft den Berglerinnen und Berglern nicht weiter. Entscheidend für sie ist der Umgang mit dem Raubtier: Nun darf es präventiv geschossen werden. Das bedeutet, dass man aktiver und zielgerichteter regulieren kann. Das ist ein nötiger Paradigmenwechsel. Die Bedingungen haben sich geändert.
Vor elf Jahren entstand im Bündnerland das erste Wolfsrudel, heute sind es 32. In den letzten drei Jahren hat sich die Population des Raubtiers verdreifacht. Allein im Kanton Graubünden wurden in diesem Jahr 46 Welpen gesichtet.
Im dicht besiedelten Alpenraum sind weitere Konflikte programmiert. Es ist darum zentral, dass das schlaue Raubtier seine Scheu vor den Menschen bewahrt. Mit gezielten Abschüssen von problematischen Wölfen in Siedlungsnähe kann dies gesichert werden.
Der Wolf ist nicht vom Aussterben bedroht. Dennoch bleibt er gemäss der Berner Konvention eine geschützte Tierart. Das ist richtig. Er spielt im Ökosystem eine wichtige Rolle. Abschüsse müssen begründet und wie bisher vom Bund genehmigt werden.
Das Thema Wolf ist voller Zielkonflikte
Der «Blick» schrieb von einem «Wolfsmassaker». Die Gegenseite hat ebenfalls gezündelt und das Tier als gefährliches Monster karikiert. Beides passt zur emotional aufgeladenen Gesprächskultur, die seit Jahren kaum Lösungen gebracht hat. Es ist vertrackt.
Das Thema Wolf ist voller Zielkonflikte. Umweltschützer streben ein intaktes Ökosystems an, in dem der Wolf eine wichtige Rolle innehat. Bauern und Bergbewohner hingegen sehen ihren Lebensraum durch einen Rückkehrer bedroht, der sich an keine Regeln hält.
Der Bundesrat hat versucht, diese beiden Pole in einem Entscheid zusammenzubringen. Es wird interessant werden, wie die Kantone diese komplexe Grossaktion umsetzen werden. Und welche Auswirkungen diese Regulation auf Wald und Tier hat, ist ebenso unklar. Diese Massnahme wird nicht alle Probleme sofort lösen. Aber sie bringt Bewegung in ein Dossier, das lange blockiert war.
Nüchtern betrachtet.
Nein. Die ganze Wolfsdebatte ist unehrlich.
Gewiss, die Städterin hat gut reden. Durch ihre Gasse schleichen nachts keine Wölfe. Wer fände es nicht unheimlich, einem zu begegnen? Angriffe auf Menschen sind freilich äusserst selten. Seit der Wolf 1995 wieder in die Schweiz eingewandert ist, gab es (glücklicherweise) keinen einzigen, auch wenn manchmal Jungwölfe – dreiste, wie die frühere CVP-Bundesrätin Doris Leuthard zu sagen pflegte – durch Dörfer spazieren. Das Hauptargument ist denn auch: das Schaf.
Gewiss, es ist traurig, wenn ein Schaf vom Wolf gerissen wird. Keine Wolfsdebatte im Parlament, die sich nicht dem Anblick von Eingeweiden widmete. Wer hätte da nicht Mitleid? Bloss: Gerissen werden verhältnismässig wenige Tiere. Die allermeisten sterben auf andere Weise. Sie stürzen über Felswände. Sie werden geschlachtet. Wobei der Mensch am liebsten Lämmer isst – Tiere, die noch das ganze Leben vor sich gehabt hätten. Die Empathie für Schafe: sehr selektiv.
Gewiss, es gibt auch eine finanzielle Komponente. Diese taugt aber erst recht nicht als Argument, denn das Schaf ist – wie Kenner sagen – ein Subventions-Perpetuum-mobile: Gelder fliessen für die Sömmerung, für den Steilhang, für die Käseproduktion, für die Wollverarbeitung – und auch für den Herdenschutz. Wird das Schaf am Ende trotzdem vom Wolf gerissen, gibt es dafür eine Entschädigung, damit ein neues Schaf gesömmert werden kann. Mit Herdenschutz passiert das allerdings selten: Die Massnahmen funktionieren – wenn sie denn ergriffen werden.
Quotenrudel machen es nicht besser
Es ist noch nicht lange her, dass eine Lockerung des Wolfsschutzes an der Urne scheiterte. Damals wurde heftig darüber debattiert, ob Wölfe vorsorglich getötet werden dürfen, wenn von ihnen Schaden ausgehen könnte. (Welcher Wolf wäre für das Schaf keine potenzielle Gefahr?) Das Stimmvolk sagte Nein. Bei der neuen Version verzichteten die Naturschutzorganisationen darauf, das Referendum zu ergreifen: Die damalige Umweltministerin Simonetta Sommaruga (SP) stellte ihnen eine Umsetzung in Aussicht, die den Volksentscheid berücksichtigen würde.
Dem nun zuständigen SVP-Bundesrat Albert Rösti scheint der Volkswille nicht so wichtig zu sein, zumindest in diesem Fall. Er will den Wolfsbestand drastisch reduzieren. Ganze Rudel sollen ausgelöscht werden – auch wenn es in ihrem Revier kaum Schäden gab oder keinen konsequenten Herdenschutz.
Gewiss, ein paar Quotenrudel werden übrig bleiben. Das macht es aber nicht besser. Warum nicht die Schutzkonventionen kündigen und den Wolf gleich ganz ausrotten? Warum nicht jedes Tier, das sich erdreistet, die Grenze zu überqueren, töten, bevor es sich fortpflanzt? Das wäre zwar bedenklich, aber humaner, als ganze Rudel abzuschiessen – und wenigstens ehrlich.
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