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Interview über Wohngemeinschaften
Was tun, wenn der Mitbewohner nicht putzt?

Dreckige Küche in einer Wohngemeinschaft mit schmutzigem Geschirr, leeren Flaschen und einem Hinweisschild zu Küchenregeln.
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Manche können sich gar kein anderes Leben als das in einer Wohngemeinschaft (WG) vorstellen. Andere entscheiden sich für ein WG-Zimmer, um die Miete bezahlen zu können. So oder so: Die Wohnungsknappheit dürfte für eine anhaltende Beliebtheit von Wohngemeinschaften sorgen. Erhebungen des Bundesamts für Statistik untermauern das: Die Zahl der Menschen in Nichtfamilienhaushalten stieg von rund 150’000 im Jahr 2013 auf 210’000 im Jahr 2023.

Das Zusammenleben mit – zunächst – fremden Leuten birgt allerdings einigen Zündstoff. Johannes Ullrich leitet die Fachrichtung Sozialpsychologie des Psychologischen Instituts der Universität Zürich. Er verrät, wie das Miteinander in der WG funktioniert.

Johannes Ullrich, wie finde ich die perfekte Mitbewohnerin oder den perfekten Mitbewohner für die WG?

Das muss sich jede WG selbst überlegen. Allerdings sollte eine Reihe von klaren Kriterien existieren. Dabei geht es typischerweise um Dinge, bei denen sich die Mitbewohnenden gegenseitig beeinflussen. Etwa, wie Beruf und Freizeit getrennt werden. Will einer tagelang in seinem Zimmer arbeiten und wollen die anderen ihre Freizeit lautstark im Wohnzimmer verbringen, passt das nicht zusammen. Solche täglichen Gewohnheiten, Interessen oder auch Werte kann man ganz einfach bei einem Gespräch abfragen. Am Ende geht es immer darum, dass alle auf ihre Art glücklich werden, ohne die anderen zu beeinträchtigen. Das ist dann auch weniger eine Frage, ob jemand eher der Künstlertyp ist und die anderen nicht. Muss einer schlafen, weil er Schichtarbeit leistet, und die anderen machen Party, funktioniert das nicht.

Gibt es Typen, die besser miteinander zusammenwohnen als andere? Oder gilt: Gleich und gleich gesellt sich gern?

Letzteres. Die Auffassung, dass es verschiedene Menschentypen gibt, ist zwar verbreitet. Aber in der Psychologie teilen wir diese Ansicht eher nicht. Wir sagen: Es gibt sehr viele graduelle Unterschiede zwischen den Menschen. Bestimmte Eigenschaften wie etwa Verträglichkeit machen das Zusammenleben sicher einfacher. Aber es gibt keinen Schnelltest für Menschentypen. Sicherlich sind Menschen, die eine gewisse Ähnlichkeit untereinander empfinden – nicht zu stark, es muss ja auch interessant sein –, besser dafür geeignet, zusammenzuleben.

Porträt eines Mannes in Anzug und Krawatte vor unscharfem Hintergrund.

Wie unterscheidet sich eine WG von einer Familie?

Der Druck, Kompromisse zu finden, ist grösser in einer Familie. In einer WG hat man die Freiheit, die Gruppe, in die man freiwillig eingetreten ist, wieder zu verlassen. Und wenn eine zunehmende Unähnlichkeit festgestellt wird, das Gefühl aufkommt, wir passen nicht zusammen, dann ist es auch normal, sich wieder zu trennen. WG und Familie teilen aber Gemeinsamkeiten: Eine WG ist aus sozialpsychologischer Sicht eine Kleingruppe, genau wie eine Familie. Das heisst, eine Ansammlung von Menschen, die sich zusammengehörig fühlen, gemeinsame Regeln und Normen und meist unterschiedliche Rollen haben. Aus dieser Erkenntnis lässt sich viel ableiten, etwa bezüglich der Gruppendynamik.

Zum Beispiel?

Gruppen sind bestrebt, ihre Ziele zu erreichen. Das heisst, es gibt eine Dynamik, Abweichler zu identifizieren und zu sanktionieren, um im Interesse der Gruppe voranzukommen. Hält sich also jemand nicht an die Regeln, wird er in einer Kleingruppe typischerweise dafür kritisiert. Durch diese Art der Bestrafung wird die Norm der Gruppe aufrechterhalten, wie auch immer diese aussieht. Das kann eine Sauberkeitsnorm sein oder die Norm, viel Party zu machen. Ein Mitglied der Westberliner Kommune I der 68er-Bewegung wird etwa zitiert mit: «Jeden Tag Sex – ich fand es schrecklich.»

Die Abfallentsorgung führt in WGs oftmals zu hitzigen Diskussionen.

Stichwort Kritik: Die Mitbewohnerin putzt nicht, der Mitbewohner bringt den Abfall nie runter – wie wird in einer WG kritisiert, ohne dass das Gefühl «alle gegen einen» aufkommt?

Am besten sind sich alle von Anfang an klar darüber, was die Regeln sind. Eben weil sie sich alle gemeinsam für ein Zusammenleben entschieden haben und sich selbst diese Regeln gegeben haben. Das führt zu einem gewissen Commitment. Es reicht dann meist, einfach nur an die Regeln zu erinnern. Üblicherweise reagieren Menschen auf Kritik innerhalb der Kleingruppe. Das ist der Unterschied zum öffentlichen Raum, wo Menschen alle Freiheiten für sich beanspruchen. Der Mechanismus von sozialer Bestrafung und Belohnung greift auch im Zusammenleben in der WG. Leute, die für die Gruppe etwas tun, werden belohnt, die anderen bestraft. Das ermöglicht Kooperation auf hohem Niveau, wie die verhaltensökonomische Forschung nahelegt.

Was ist, wenn das Erinnern an die gemeinsamen Regeln nicht funktioniert?

Es reicht dann nicht, dass nur eine Person die andere erinnert. Da muss man als Gruppe rangehen und zusammensitzen. In den allermeisten Fällen funktioniert das sehr gut.

Es reicht also nicht, bloss hässige Whatsapp-Nachrichten zu schicken.

Analoge Kommunikation ist klar besser. Digital ist schwierig, weil man nicht zwischen den Zeilen lesen und die Ebenen der Kommunikation schlechter trennen kann. Man kann in einem Gespräch Kritik anbringen, aber das Gegenüber dabei freundlich anschauen. In einer Whatsapp-Nachricht ist das viel schwieriger, auch wenn man ein Smiley anfügt.

Wie sähe so eine Belohnung aus? Ein Sticker, auf dem «gut gemacht» steht?

Nein, es geht um Anerkennung. Wir brauchen das Bewusstsein, dass wir von anderen gesehen werden. Und dass gesehen wird, was wir für die Gruppe tun. Das Schlimmste ist, wenn die anderen gar nicht registrieren, was ich mache, oder das ausnutzen. Etwa, wenn jemand jede Woche das Bad putzt, während die anderen denken, es wird einfach nie dreckig. Problematisch kann es aber auch werden, wenn zu viel getan wird. Beispielsweise, wenn in der gleichen Woche zwei Leute das Bad putzen. Das liegt dann wahrscheinlich an der Kommunikation in der Gruppe.

Wenn jemand die Zauberformel fürs perfekte Zusammenleben kennt, dann ein Sozialpsychologe. Verraten Sie sie uns!

Es gibt leider keine. Eine wichtige Einsicht ist, dass man in einer Gruppe lebt. Wir hängen voneinander ab, das ist nicht nur in einer WG so. Dort unterschätzt man aber gern, dass man Teil einer Gruppe ist – auch wenn man sich vielleicht nur zweckmässig zum Zahlen der Miete zusammengefunden hat. Es ist kein rein individuelles Wohnen. Diese Einsicht hilft, das eine oder andere Ego einzudämmen.