14 Jahre vor nationaler EinführungHier durften Schweizer Frauen schon vor dem Stimmrecht an die Urne
In Unterbäch VS durften 1957 nicht nur Männer abstimmen: Ein «Skandal», über den sogar «New York Times» berichtete. Der ehemalige Gemeindepräsident erinnert sich.
Roman Weissen war noch Primarschüler, als sich in seinem Oberwalliser Dorf Skandalöses ereignete. Unterbäch widersetzte sich dem Kanton, dem Bundesrat und der ganzen offiziellen Schweiz: Der Gemeinderat liess auch Frauen über eine nationale Vorlage abstimmen. Katharina Zenhäusern warf als erste Frau in der Schweiz einen Stimmzettel in eine Urne; 32 weitere Unterbächerinnen taten es ihr gleich.
Das war am 3. März 1957. Die Schweiz entschied über einen obligatorischen Zivildienst – überall sonst ohne Mitsprache der Frauen. Sie erhielten erst 14 Jahre später auf eidgenössischer Ebene das Stimmrecht: 1971.
Der damalige Primarschüler Roman Weissen erinnert sich noch heute gut an die Aufregung im 400-Seelen-Dorf. Überall Journalisten und Fotografen, die «New York Times» berichtete, Schweizer Zeitungen schrieben vom «Fanal von Unterbäch». «Uns Schülern kam es ganz gelegen, dass unser Lehrer in diesen Wochen ab und zu nicht im Klassenzimmer war», sagt Weissen. Der Lehrer, Paul Zenhäusern, war der Gemeindepräsident. Er hatte den rebellischen Akt angezettelt.
Zenhäusern war motiviert von seiner dynamischen Frau Katharina und von seinem Grossratskollegen Peter von Roten. Der Politiker aus bester, katholisch-konservativer Familie war der Ehemann der legendären Schweizer Feministin Iris von Roten, Autorin von «Frauen im Laufgitter».
Als Grossrat hatte Peter von Roten schon 1945 die Einführung des Frauenstimmrechts im Wallis angestossen. Erfolglos. Als dann die Abstimmung über den Frauenzivilschutz anstand, handelte Zenhäusern auf eigene Faust: Er beantragte dem Gemeinderat, die Frauen für diese Abstimmung zuzulassen.
«Der Anstand und der gute Ton verlangen es», schrieb der Rat in der Begründung für seinen Beschluss, «dass wir Männer uns nicht als allmächtige Vormünder benehmen, sondern Rechte und Pflichten unserer Frauen in Einklang bringen.»
Der damalige Primarschüler Roman Weissen wurde später Journalist beim Lokalblatt «Walliser Volksfreund», leitete eine Versicherungsagentur und arbeitete in der Bundesverwaltung als Kommunikationsfachmann. Heute führt er seine eigene Kommunikationsagentur. Und: Von 1980 bis 1992 war er Gemeindepräsident seiner Heimatgemeinde.
«Der illegale Akt war ein staatspolitischer Schlüsselmoment für die Schweiz und ihre Demokratie», sagt Weissen. Die Erinnerung daran wollte er wachhalten – als Präsident einer Tourismusgemeinde durchaus auch mit Blick auf die Werbewirkung. Weissen prägte den Slogan «Unterbäch – Rütli der Schweizer Frauen» und liess eine Broschüre mit diesem Titel drucken.
1984 wurde Elisabeth Kopp als erste Frau in den Bundesrat gewählt. Da sah Weissen den Moment gekommen, daran zu erinnern, dass Unterbäch als erste Gemeinde mit der politischen Gleichberechtigung der Frauen Ernst gemacht hatte. Der Gemeinderat ernannte Kopp zur Ehrenbürgerin. Sie nahm dankend an und kam noch in ihrem ersten Bundesratsjahr am 1. August zur Feier nach Unterbäch. Iris von Roten hielt die Ansprache.
Jetzt, zu Beginn des Jubiläumsjahres «50 Jahre Frauenstimmrecht», sieht Roman Weissen den Moment gekommen, nochmals in Erinnerung zu rufen, dass die Feriendestination Unterbäch im konservativen Wallis der Zeit weit voraus war: «Die damaligen Ratsherren brachten nicht mit Worten, sondern mit Taten die Gleichberechtigung voran.»
Und, fügt er an, er hoffe, dass die Frauen das «Laufgitter der Unfreiheit» unwiderruflich verlassen hätten und «endlich die uneingeschränkte Gleichstellung der Geschlechter Wirklichkeit wird».
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