US-Wahlen und die Wirtschaft«Wir sind mitten im Schlamassel»
Der bekannte Ökonom Klaus Wellershoff erklärt im Interview, was der offene Wahlausgang in den USA für die Weltwirtschaft und die Schweiz bedeutet und was er für die Zukunft erwartet.
Was haben Sie am Mittwochmorgen gedacht, als Sie die Neuigkeiten zur US-Wahl erfahren haben?
Jetzt haben wir den Salat. Der Ausgang ist noch nicht klar. Die Hoffnung war, dass es zumindest einen klaren Sieger gibt. Jetzt droht der amerikanischen Demokratie, dass sie sich weiter selbst zerfleischt.
Schon vor vier Jahren dachten wir, die Demokratin Hillary Clinton wird gewinnen. Jetzt ist zwar das Ergebnis noch ausstehend. Aber auf jeden Fall wird es viel knapper werden, als die meisten erwartet haben. Vor vier Jahren haben Sie darauf hingewiesen, dass wir in Europa unterschätzen, wie gespalten die US-Gesellschaft ist.
Das hat auch eine lange Tradition. Wenn man weiss, wie Amerika entstanden ist, wie viel Lug und Trug und falsche Gerichtsverfahren es damals auch schon gab, überrascht einen die Gegenwart nicht. Aus der Sicht einer gesetzten europäischen Demokratie sieht das aber natürlich äusserst unappetitlich aus.
Was sind die Folgen für die Wirtschaft? Der unklare Ausgang und ein Trump, der sich bereits zum Sieger erklärt, waren ja das Horrorszenario.
Es fehlt noch viel, um ein Urteil zu fällen. Auch das Rennen um den Senat ist noch nicht entschieden. Erst wenn auch dieses Ergebnis bekannt ist, kann man sagen, was wirtschaftspolitisch zu erwarten ist. Es macht jetzt auch noch keinen Sinn, auf die grossen Unterschiede einzugehen. Einer dieser Unterschiede ist die Verteilungsfrage. Ein demokratischer Senat und Präsident wollen zum Beispiel die Steuern für die Vermögenden und Unternehmungen erhöhen.
Beide Parteien wollen aber weiter viel Geld ausgeben.
Ja, wir sehen uns bei jedem Wahlsieg mit der Gefahr konfrontiert, dass die Amerikaner sich mit ihrer Staatsverschuldung an die Wand fahren. Das Budgetdefizit in den USA wird sich allein im laufenden Jahr auf rund 25 Prozent des Volkseinkommens belaufen. Das ist das Doppelte, was die Europäer haben werden, und auch da ist die Zahl sehr hoch. Da ist kein Ende abzusehen. Die Demokraten würden immerhin mit höheren Steuern wenigstens auf der Einnahmeseite etwas tun, aber bei den Ausgaben ebenfalls nicht zimperlich sein.
In den USA gibt es die Theorie, dass mit der Weltwährung Dollar die Verschuldung kein Problem sei. Die Amerikaner könnten sie ja einfach drucken. Es sieht grad so aus, als ob sich diese Ansicht durchsetzt.
Donald Trump ein Theorieverständnis zu unterstellen, ist zu grosszügig. Der macht vor allem das, was ihm selbst und seinen Freunden nützt. Ein Beispiel dafür sind Steuergeschenke an die Reichsten. Ansonsten ist seine Politik: Nach mir die Sintflut. Bei den Demokraten ist das anders. Da gibt es schon Anhänger einer solchen Theorie. Aber die US-Notenbank würde das nicht unterstützen, und ohne sie geht das nicht.
«Ich glaube nicht, dass man zu einem Präsidenten Trump eine andere Beziehung haben kann, als sich in die Position eines willfährigen Dienstboten zu begeben.»
Klar am Ergebnis der Wahl ist bisher, dass sich die Gespaltenheit der US-Gesellschaft deutlich bestätigt hat. Es kam nicht zu einer «blauen Welle» – einem überwältigenden Sieg der Demokraten. Was sind die wirtschaftlichen Folgen dieser Spaltung für die USA und die Weltwirtschaft?
Wir sehen eine stark ideologische Spaltung. Es geht nicht mehr um irgendwelche Fakten, sondern um das Bedienen von Klischees. Bei Trump haben wir das gesehen, und bei den Demokraten ist es ebenfalls zu befürchten. Es ist wahnsinnig gefährlich, wenn die grösste Industrienation der Welt nicht mehr Politik vor dem Hintergrund von Fakten und Interessen betreibt.
Trumps Wahlspruch ist doch «Make America Great Again».
Das war nur ein Slogan. Die Politik der letzten Jahre hat den Abstieg der USA ja nur noch beschleunigt. Jetzt drohen bei jedem möglichen Wahlausgang die westlichen Industrienationen insgesamt weiter geschwächt zu werden, was dem Aufstieg Chinas weiteren Schub verleiht. Die Chinesen halten sich mit ideologischen Diskussionen nicht auf und sind extrem pragmatisch. Deshalb ist die politische Entwicklung in den USA für uns alle schlecht.
Das erwarten Sie also auch bei einem Sieg von Biden? Wo würde denn der Vorteil seiner Präsidentschaft aus Schweizer Sicht liegen?
Sollte er siegen, wird er mit den sehr unterschiedlichen Strömungen in seiner Partei konfrontiert sein. Der Vorteil aus unserer Sicht ist aber, dass er mehr als Trump auf Multilateralismus setzt. Wenn nur die Macht des Stärkeren sich durchsetzt, ist das für kleinere Volkswirtschaften und Demokratien wie die Schweiz extrem gefährlich. Da könnten wir nur verlieren.
Viele prognostizieren, dass die Amerikaner auch unter einem Präsidenten Joe Biden vom Multilateralismus abweichen werden – etwa im Bereich des offenen Handels mit den Regeln der Welthandelsorganisation (WTO). Diese Organisation haben die Amerikaner lahmgelegt.
Bei den Demokraten wäre ich wesentlich optimistischer. Selbst innerhalb von deren verschiedenen Flügeln ist die Meinung verbreitet, dass man die Zusammenarbeit mit den internationalen Alliierten wieder verbessern muss. Für uns wäre problematisch, wenn Trump Präsident bleibt. Die Schweiz ist das Land mit dem grössten Leistungsbilanzüberschuss der Industrienationen, und wir haben eine Zentralbank, die ständig versucht, die Währung zu schwächen. Die objektiven Kriterien für eine Währungsmanipulation sind erfüllt. In der Vergangenheit hat Trump ein solches Verhalten immer verurteilt. Verletzlich sind wir aber auch wegen der grossen Bedeutung unserer Pharmaexporte. Pharmapreise stehen auch in den USA ganz oben auf der politischen Agenda.
Wie wirkt sich denn hier die Wahl von Trump oder Biden aus?
Unsere Pharmafirmen haben sich sehr bemüht, mit Trump auf gutem Fuss zu stehen – auch mit gemeinsamen Auftritten vor dem Weissen Haus im Rahmen der Corona-Bekämpfung. Für Trump ist Roche zum Beispiel praktisch eine amerikanische Firma geworden. Mit Blick auf die Beschäftigung kann man das auch nachvollziehen, weil das Unternehmen dort sehr stark ist. Dieser Auftritt hat den Demokraten sicher nicht geschmeckt. Ich kann mir vorstellen, dass in Basel der eine oder andere vielleicht sogar entgegen seinen politischen Präferenzen auf einen Wahlsieg von Trump hofft.
Über die Handelsbeziehungen zwischen der Schweiz und den USA wird immer wieder gesagt, wir hätten noch nie einen so guten Zugang zu einer Regierung dort gehabt wie unter Donald Trump. Wie beurteilen Sie das?
Das sehe ich ganz anders. Ich glaube nicht, dass man zu einem Präsidenten Trump eine andere Beziehung haben kann, als sich in die Position eines willfährigen Dienstboten zu begeben. Wir haben gesehen, wie er reihenweise selbst Mitarbeiter verschlissen hat, die über eine gute Reputation und Fähigkeiten verfügen. Man muss ihm sagen, was er hören will. Das ist keine Basis für eine stabile Politik. Da sollte sich in der Schweiz niemand etwas vormachen. Trump ist für die Schweiz nicht gut.
«Wir müssen damit rechnen, dass die nächste grosse Weltwährung jene Chinas sein wird und nicht mehr der US-Dollar.»
Wenn nun aber Trump wiedergewählt wird, kann er praktisch machen, was er will. Er muss sich keiner Wahl mehr stellen, und ein Impeachment würde nach dem gescheiterten letzten so gut wie unmöglich. Wo sehen Sie hier die Gefahren?
Trump hat schon bisher mehr oder weniger gemacht, was er will. Aber auch er muss sich mit dem Kongress auseinandersetzen. Und innerhalb des Kongresses würden die Leute darüber nachdenken, was in vier Jahren sein wird. Nach der aktuellen Verfassung kann er dann nicht mehr gewählt werden. Es wäre dann auch für die Republikaner nicht mehr das Schlauste, immer nur das zu tun, was Trump will. Ich denke deshalb, dass auch sie wieder an Statur gewinnen würden. Trump würde aber sicher die Regel ändern wollen, die eine Amtszeitbeschränkung für den Präsidenten vorsieht.
Was denken Sie über die gegenwärtigen Entwicklungen an den Kapitalmärkten?
Die Versuchung ist immer gross, die erratischen Schwankungen an den Aktienmärkten hinterher mit irgendwelchen Gründen zu erklären. Das halte ich nicht für sehr hilfreich. Diese Märkte werden zudem nicht nur durch die Wahlen beeinflusst.
Wie beurteilen Sie die Entwicklungen auf den Währungsmärkten, die für die Schweiz eine grosse Bedeutung haben? Der Franken hat jüngst wieder aufgewertet, das heisst, der Kurs des Euro in Franken hat nachgegeben. Kann eine anhaltende Unsicherheit über den Wahlausgang dem Franken weiteren Aufschub verleihen?
Wir können uns vorstellen, dass der US-Dollar in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit gerät, und der hat für die Schweiz auch eine grosse Rolle – auch weil der Dollar für den gesamten Welthandel die grösste Bedeutung hat. Die Amerikaner haben alles gemacht, um die eigene Währung zu schwächen: Die Geldpolitik ist unheimlich expansiv, indem die Amerikaner Geld wie verrückt drucken, und sie haben unter den Industrienationen wie erwähnt das mit Abstand grösste Budgetdefizit. Es ist nicht absehbar, dass sie das unter Kontrolle bringen. Und die Institutionen haben durch die Wahlen nicht an Glaubwürdigkeit gewonnen. Vieles spricht daher für einen schwächeren Dollar. Zudem ist er auch noch immer klar überbewertet. Zum Franken hat der Dollar bisher schon deutlich an Wert verloren, während der Euro stabil geblieben ist.
Wie beurteilen Sie die Spekulationen, dass der Dollar seine Rolle als Weltreservewährung verlieren könnte?
Es gibt Leute, die daran arbeiten. Das gilt vor allem für die Chinesen. In dem Masse, wie der Abstieg der Amerikaner sich im Vergleich zum Aufstieg Chinas fortsetzt, müssen wir damit rechnen, dass die nächste grosse Weltwährung jene Chinas sein wird und nicht mehr der US-Dollar.
Ihre Aussagen zu den USA auch noch vor dem Hintergrund einer schweren weltweiten Wirtschaftskrise können einem Angst machen.
Die Lage ist ernst. Wir sind immer noch in einer sehr tiefen Rezession. Die Auslastung der Weltwirtschaft beläuft sich auf 95 Prozent. Im Durchschnitt der letzten drei Rezessionen waren es 97,5 Prozent. Wir liegen also doppelt so tief wie in den letzten Rezessionen inklusive der Finanzkrise. Wir sind mitten im Schlamassel.
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