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Interview zu Rauchverbot
«Wir sind ein Entwicklungsland hinsichtlich Tabakregulierung»

Vergleichsweise tiefe Zigarettenpreise und ein Flickwerk an Regeln: Die Schweiz hat im europäischen Vergleich eine sehr hohe Raucherquote.
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Neuseeland hat entschieden: Vom 1. Januar 2023 an dürfen Menschen ab Jahrgang 2009 und jünger keinen Tabak kaufen. Nie, ihr ganzes Leben lang nicht. Bis Ende 2023 sollen 90 Prozent aller Tabakverkaufsorte ihre Lizenz verlieren; auch müssen die Nikotinlevel in den Tabak- und Vapingprodukten signifikant reduziert werden. Zuwiderhandlungen können mit bis zu 90’000 Schweizer Franken bestraft werden. Bereits 2025 soll das Rauchen im Land dann praktisch komplett eliminiert sein.

Grund für diese drakonischen Massnahmen sind die hohen Kosten, die das Rauchen für die Gesellschaft verursacht. Kritik am Gesetz gibt es in Neuseeland kaum. 2020 hatten über 53 Prozent der Bevölkerung einen Vorschlag zur (teilweisen) Legalisierung von Cannabis an der Urne bachab geschickt; nicht mal die medizinische Nutzung ist erlaubt. Dabei hätte Regierungschefin Jacinda Ardern die Legalisierung gern gesehen.

«Die hohen Nikotindosen, die Kindern und Jugendlichen da quasi untergeschoben werden, machen extrem süchtig.»

Philip Bruggmann

Die Schweiz dagegen setzte lange auf die Selbstregulierung der Tabakbranche. Im Februar 2022 nahm die Mehrheit von Volk und Ständen schliesslich die Volksinitiative «Kinder und Jugendliche ohne Tabakwerbung» an; sie verlangt ein Verbot jeglicher Tabakwerbung, die Heranwachsende erreichen kann. Die Forderung wurde noch nicht in ein Gesetz gegossen. In etlichen anderen Staaten gelten umfassende Werbeverbote, wie es die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt.

Laut einer aktuellen Statistik lag der Anteil täglicher Raucher und Raucherinnen ab 15 Jahre in der Schweiz 2020 mit 19 Prozent über dem Durchschnitt der OECD-Länder (16,5 Prozent). Um ein paar Beispiele zu nennen: Niederlande und Dänemark 14 Prozent, Schweden 9,5 Prozent, Norwegen 8 Prozent.

Wir sprachen über die hiesige Lage mit Philip Bruggmann, Co-Chefarzt Innere Medizin von Arud, dem Zürcher Zentrum für Suchtmedizin.

Herr Bruggmann, was halten Sie von den neuen Gesetzen in Neuseeland?

Grundsätzlich zeigt die Geschichte, dass die Kriminalisierung von psychoaktiven Substanzen nichts bringt und den Substanzkonsum nicht eindämmen kann. Bekannte Beispiele des Scheiterns sind etwa der amerikanische «war on drugs» oder die Alkohol-Prohibition in den USA in den 1920ern. In England wurde die Sperrstunde abgeschafft; und auch in Skandinavien trinkt jeder, der trinken will. Verbote führen zum Schwarzmarkt, zur – potenziell noch gefährlicheren – Eigenproduktion. Der Zugang zur medizinischen Versorgung und Beratung wird durch die Kriminalisierung erschwert, die Konsumierenden werden stigmatisiert und kriminalisiert. Man verliert die Kontrolle über die Lage. Diese Argumente sind aber keineswegs ein Freibrief für ein entspanntes Laissez-Faire.

Wie meinen Sie das?

Gerade wenn man nicht mit Verboten arbeitet, muss man sehr differenziert und zielgenau mit Regulierungen operieren. Eine unregulierte Freigabe dieser Substanzen ist keine Option. Es stört mich sehr, dass die Tabaklobby hierzulande alles versucht, um strengere Gesetze bezüglich der Werbung zu verhindern. Wir sind tatsächlich ein Entwicklungsland hinsichtlich Tabakregulierung, hinken stark hinterher.

Was bräuchte die Schweiz?

Erstens mal eine einheitliche Regelung. Es ist absurd, dass es in manchen Kantonen nicht einmal ein Mindestalter für den Verkauf gibt. Unsere Regeln sind ein Flickenteppich. Zweitens wäre eine hohe Besteuerung der Glimmstängel und – in angepasstem Masse – auch der E-Zigaretten angebracht. Diese Art von Regulierung sollte sich – evidenzbasiert – nach dem Schädigungspotenzial richten. So wird der für die Gesundheit positive Umstieg von Zigaretten auf E-Zigaretten auch finanziell attraktiv, und gleichzeitig wirken die hohen Preise auf Jugendliche abschreckend für einen Neueinstieg.

Hilft eine hohe Besteuerung?

Das ist nachgewiesen. Dass die Raucher- und Raucherinnenquote in der Schweiz deutlich höher liegt als in den meisten europäischen Ländern, hat mit der laxen Besteuerung zu tun; mit den im Verhältnis niedrigen Preisen. Und mit der Möglichkeit, die Produkte zu bewerben.

Heisst das, konsequent weitergedacht, dass Sie gar keine Substanz verbieten würden?

Verbote samt harten Strafen bringen wenig, eine spezifische Regulierung für jeden einzelnen Stoff dagegen viel. Zugegeben, nicht immer ist eine Grenzziehung zwischen legal und illegal einfach. Bei potenziell hochgefährlichen und extrem schnell abhängig machenden Stoffen wie Crack kann man schon an ein Verbot denken. Prinzipiell gilt jedoch, dass Menschen, die kriminalisiert werden, sich häufig nicht beraten, nicht medizinisch helfen lassen, weil sie Angst haben. Die Substanzen auf dem Schwarzmarkt unterliegen keiner Kontrolle, mit entsprechenden gesundheitlichen Risiken für die Konsumierenden. Umgekehrt brennt bei uns aber eher die Frage auf den Nägeln, wieso bei volksgesundheitlich so schwer schädigenden Stoffen wie Tabak und Alkohol nicht deutlich stärkere Regulierungen greifen. Die Bevölkerung würde es mehrheitlich befürworten, wie Umfragen zeigen.

Wie schätzen Sie das Vapen ein, also den Konsum elektronischer Zigaretten?

Für bereits Tabakabhängige ist es eine gute Alternative. E-Zigaretten sind deutlich weniger schädlich als Zigaretten und gesundheitlich auch weniger bedenklich als Tabakerhitzer. Aber Jugendliche sollten weder mit Werbung dafür konfrontiert werden dürfen noch einen einfachen Zugang dazu haben. Hier steht der Staat in der Verantwortung; die hohen Nikotindosen, die Kindern und Jugendlichen da quasi untergeschoben werden, machen extrem süchtig.