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Klimagipfel in Glasgow
«Wir schaufeln unser eigenes Grab»

Es sei «eine Minute vor Mitternacht – jetzt muss gehandelt werden», sagte der britische Premier Boris Johnson in Glasgow. 
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Hunderte von Delegierten, Wissenschaftlern und Aktivisten, die zu Wochenbeginn in London den Zug zum grossen Weltklimagipfel in Glasgow nehmen wollten, erwartete im Bahnhof Euston eine Überraschung. Plakate in der Bahnhofshalle dankten ihnen dafür, dass sie «ökofreundlich mit dem Zug reisen» würden, statt in Schottland einzufliegen.

«No Time for Delay», keine Zeit mehr für Verzug, war auf einer riesigen Leuchttafel, hoch über den Köpfen der Eingetroffenen, mit Blick auf die bevorstehenden Klimaverhandlungen zu lesen. Nur: Auf der Tafel gleich daneben, die die Abfahrtszeiten der Züge nach Glasgow zeigen sollte, gab es einen «Delay» nach dem anderen, wurden Verbindungen reihenweise abgesagt.

Wilde Stürme, teils in Tornadostärke, hatten das Zugsystem lahmgelegt. Umgestürzte Bäume und eingebrochene Leitungen versperrten Konferenzteilnehmern wie Demonstranten den Weg zu COP26, dem Klimagipfel. «Wie bezeichnend» diese Situation sei, könne «ja niemandem verborgen bleiben», seufzte die Mitbegründerin der Umweltgruppe 350.org Ellen Gibson.

Überflutete Strassen, entwurzelte Bäume

In Glasgow selbst begann man sich derweil gerade erst von den Überschwemmungen zu erholen, die Mitte voriger Woche weite Strassenzüge unter Wasser gesetzt hatten. Diejenigen, die es rechtzeitig und trockenen Fusses in die Stadt schafften, sprachen hernach von der Hoffnung, per COP26 einiges mehr zu verhindern als nur ein paar überflutete Strassen, entwurzelte Bäume und kriselnde Verkehrssysteme im Vereinigten Königreich.

Verglichen mit dem, was auf die südliche Hälfte der Erde zukomme, meinten einzelne Forscher, seien die aktuellen Reisebehinderungen in England und Schottland nämlich «wirklich nichts», die reinste Bagatelle. Das war auch die Überzeugung der angereisten Vertreter der ärmsten und der vom Klimawandel am meisten bedrohten Länder der Erde, die von den Ergebnissen des vorangegangenen G-20-Gipfels in Rom durchweg enttäuscht waren und sich äusserst besorgt zeigten über die Aussichten von COP26.

Aktivisten der Hilfsorganisation Oxfam, als Staatenlenker in schottischer Tracht verkleidet, machen Lärm für mehr Klimaschutz in Glasgow. 

Gaston Browne etwa, der Premierminister von Antigua und Barbuda, der das Bündnis der kleinen Inselstaaten anführt, erklärte zum Auftakt des Treffens, er gehe davon aus, dass die Welt den nun in Aussicht genommenen Zielwert eines Temperaturanstiegs um höchstens 1,5 Grad Celsius unweigerlich überschreiten werde. «Das aber», meinte er, «ist eine Frage des Überlebens für uns.»

Düstere Szenarien für die Zukunft der Erde hatten auch die Klimaexperten der Vereinten Nationen vor der Konferenz gezeichnet. Gegenwärtig habe man schon einen Anstieg um 1,1 Grad Celsius erreicht. Aber wenn nichts geschehe, sei man schnell bei 2,7 Grad angelangt.

Beim Klimawandel, sagt Boris Johnson, gehe es nicht um einen Film, sondern um bittere Realität.

Und was das bedeute, sei inzwischen hinlänglich bekannt – bedrohlich wachsende Wasserstände, versinkende Inseln und Küstenstriche, ausgetrocknete Ländereien, Hitzewellen und Feuersbrünste, Menschen ohne Nahrung und ohne Obdach, Migrationsströme beispielloser Art.

Grossbritanniens Premier Boris Johnson, der die auf zwei Wochen angelegte Konferenz als Gastgeber gestern mit einem zweitägigen Gipfel der Staats- und Regierungschefs eröffnete, schlug einen ähnlichen Ton an, dem es an Dringlichkeit nicht fehlte. Es sei «eine Minute vor Mitternacht – jetzt muss gehandelt werden», warnte er. Wer je einen James-Bond-Film gesehen habe, kenne dieses «Doomsday»-Gefühl, diese Weltuntergangsängste, bei dem man die Uhr gnadenlos ticken höre. Beim Klimawandel aber gehe es eben nicht um einen Film, sondern um bittere Realität.

Vom ewigen Reden müsse man jetzt zu konkreter, weltweit koordinierter Aktion betreffs Kohle, Autos, Geld und Bäumen übergehen, appellierte der Brite an die versammelten 120 Staats- und Regierungschefs und die Repräsentanten weiterer 80 Staaten. Wenn man das jetzt nicht erreiche, sei es «zu spät für unsere Kinder, das morgen noch zu tun».

US-Präsident Joe Biden wird in Glasgow vom britischen Premier Boris Johnson begrüsst. 

Kaum irgendwo hat sich wohl je eine so illustre Runde eingefunden, um unter Druck zu Resultaten zu kommen, wie bei diesem Gipfel. Aus Washington war via Rom US-Präsident Joe Biden, aus New York UNO-Generalsekretär António Guterres angereist. Guterres nahm in Glasgow kein Blatt vor den Mund. Er erklärte, wer im Gefühl lebe, es gehe zügig voran im Kampf gegen Klimawandel, sitze schlicht einer Illusion auf. «Wir schaufeln unser eigenes Grab.» Zum sichtlichen Unbehagen vieler COP26-Teilnehmer schlug er vor, dass Bestandsaufnahmen der Lage nicht mehr alle fünf Jahre stattfinden sollten, wie in Paris vereinbart, sondern jedes Jahr.

Xi und Putin sind nicht dabei

Nicht in Person vertreten waren in Glasgow die Präsidenten Chinas und Russlands, Xi Jinping und Wladimir Putin, die unter Verweis auf Covid abgesagt hatten. Weil sie nicht selbst zum Gipfel kamen, mussten sich Xi und Putin mit der Übermittlung von Positionsdokumenten aus Peking und Moskau bescheiden. Nicht einmal persönliche Erklärungen per Zoom abzugeben, war ihnen erlaubt. Das blieb den vor Ort Anwesenden vorbehalten – ob sie nun brav maskiert im Saal sassen oder nicht.