Klimagipfel in Glasgow«Die Industriestaaten haben das Problem verursacht, sie müssen es nun lösen»
Lia Nicholson, Verhandlungsleiterin der kleinen Inselstaaten, erklärt die Auswirkungen des Klimawandels auf ihre karibische Heimat. Von den Industrieländern verlangt sie mehr Geld.
Frau Nicholson, was steht für die Allianz der Inselstaaten am Klimagipfel in Glasgow auf dem Spiel?
Durch die Auswirkungen des Klimawandels haben wir zunehmend Probleme, uns sozial oder wirtschaftlich weiterzuentwickeln. Ein Beispiel aus meiner Heimat: Antigua und Barbuda hat ohnehin ein eher trockenes Klima, aber jetzt kommt es immer häufiger zu Dürren. Zu unserem Haus führt keine Wasserleitung, wir kamen bis vor kurzem immer mit dem Regenwasser zurecht. Zuletzt aber mussten wir es immer stärker rationieren, einmal mussten wir sogar Wasser kaufen. Ein durchschnittlicher Haushalt muss in der Trockenperiode etwa 200 US-Dollar pro Monat für Wasser ausgeben. Das ist inzwischen ein echter Kostenfaktor.
Der Klimawandel geht bereits an den Geldbeutel?
Wir müssen investieren, um uns zu schützen. Bei uns zu Hause reichte es zum Beispiel immer aus, Türen und Fenster zu öffnen, selbst im Sommer. In diesem Jahr haben wir erstmals eine Klimaanlage eingebaut, es ist jetzt einfach zu heiss.
Die Karibik ist berüchtigt für ihre Hurrikane, die durch den Klimawandel zu einer grösseren Bedrohung werden. Wie stark sind die Menschen in Ihrer Heimat davon betroffen?
Vor der Hurrikansaison muss jeder Haushalt inzwischen 2000 US-Dollar aufbringen, um sein Zuhause zu schützen. Man muss einen Vorrat an Lebensmitteln kaufen, ebenso Diesel für den Stromgenerator, Fotovoltaikanlagen müssen vom Dach genommen werden. Wird eine Insel von einem Sturm getroffen, benötigt man Sperrholz, um die Fenster abzudecken, und Seile, um das Dach zu sichern. Wir bringen unsere Boote in Sicherheit. Kommt viel Regen dazu, müssen wir die Wasserkanäle reinigen. Für all das müssten sich die Leute drei Tage freinehmen von ihrer Arbeit. Das können aber nicht alle leisten.
Wie verändert sich die Lage durch die Erderwärmung?
Die Wissenschaft sagt uns: Hurrikane kommen häufiger, sie sind intensiver. Und das spüren wir auch. Hurrikan Maria 2017 verschärfte sich binnen 24 Stunden von Kategorie eins auf die höchste Kategorie fünf, das hat es so noch nie gegeben. Die Insel Dominica wurde verwüstet, der Schaden entsprach 200 Prozent des jährlichen Bruttosozialprodukts. Das wirft eine Insel um ein Jahrzehnt zurück. Viele Einwohner sind nach dem Sturm auf andere karibische Inseln geflüchtet, die meisten nach Antigua, wo sie nun etwa 15 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Auch meine Familie hat Flüchtlinge im Haus aufgenommen.
Welche Auswirkungen hat der um einige Zentimeter gestiegene Meeresspiegel?
Das betrifft vor allem die flachen Atollinseln im Pazifik wie Mikronesien. In der Karibik sind die Inseln aus Vulkanen entstanden und deshalb steiler. Allerdings ist unser Hauptwirtschaftszweig der Tourismus, erodierende Strände sind also auch bei uns ein Thema. Hotels sollen deshalb eigentlich nicht mehr direkt am Strand gebaut werden, sondern etwas höher landeinwärts. Dagegen wehren sich die Betreiber aber, weil es das Geschäft beeinträchtigt.
Hilft Ihnen die internationale Gemeinschaft bei all diesen Problemen?
Am ehesten können wir uns auf unsere Nachbarn verlassen. Als 2004 der Hurrikan Ivan die Insel Grenada zerstörte, schickte Trinidad sein Militär, um die Insel vor dem Chaos zu bewahren. Mit dem Rest der Welt haben wir Aosis-Staaten drei Klimaverträge geschlossen, haben mehr als 20 Jahre lang verhandelt, haben uns auf das Ziel geeinigt, die Erwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu stoppen. Doch schauen Sie, wo wir jetzt stehen. Die Welt hat sich bereits um fast 1,2 Grad erwärmt, und die CO₂-Emissionen steigen sogar noch. Die verantwortlichen Staaten müssen endlich handeln.
Was erwarten Sie von den Industriestaaten?
Sie müssen anerkennen, dass zwischen der angekündigten und der notwendigen Reduzierung von CO₂ eine Lücke klafft. Wir fordern die grossen Verschmutzer auf, schneller ihre Emissionen zu senken, um das Ziel 1,5 Grad noch schaffen zu können. Auf den Tisch gehören aber auch die Finanzen. Die Industriestaaten haben zugesagt, vom Jahr 2020 an 100 Milliarden Dollar jährlich aufzubringen, um den Entwicklungsländern zu helfen, selbst Treibhausgase einzusparen. Nun ist klar, dass dies wahrscheinlich erst 2023 erreicht wird. Das ist ein schwerer Schlag, der Vertrauensverlust darf nicht unterschätzt werden. Und der Betrag reicht ohnehin nicht.
«Viele Länder subventionieren immer noch fossile Energieträger, dorthin fliesst teilweise mehr Geld als in Massnahmen für den Klimaschutz.»
Wie wollen Sie erreichen, dass noch mehr Geld reinkommt?
Das ist eine Frage der Verantwortung. Die Industriestaaten haben das Problem verursacht, sie müssen es nun lösen. Das haben wir auch im Pariser Abkommen vereinbart. Zudem benötigen wir leichteren Zugang zu Geld. Bislang sind die Finanzhilfen extrem kompliziert zu beantragen, man benötigt für den Prozess vom Antrag bis zur Umsetzung etwa 50 speziell ausgebildete Mitarbeiter. Das ist für Entwicklungsländer kaum zu stemmen. Binnen vier Jahren haben wir in Antigua und Barbuda genau einen Antrag durchgebracht aus dem Green Climate Fund. Das ist zu wenig.
Was muss Ihrer Meinung nach jetzt geschehen?
Wir müssen uns jetzt auf die fossile Industrie fokussieren. Im Pariser Abkommen werden Landwirtschaft, Wald oder Ozeane erwähnt, aber Öl, Gas und Kohle kommen in dem Vertrag überhaupt nicht vor. Dabei ist ihre Nutzung für 86 Prozent der Treibhausgase verantwortlich. Wir Inselstaaten können das nicht mehr akzeptieren. Viele Länder subventionieren immer noch fossile Energieträger, dorthin fliesst teilweise mehr Geld als in Massnahmen für den Klimaschutz. Wie sollen wir so das Problem lösen? Ohne Kehrtwende landen wir auf jeden Fall bei drei Grad Erwärmung.
Russland will Gas verkaufen, die arabischen Staaten Öl, auch die USA und China sind gross im Geschäft. Wie kommt man hier zum Erfolg?
Es gibt ja einen Grund, warum die fossile Industrie nicht im Pariser Vertrag erwähnt wird. Sie übt grossen Einfluss aus. Auch unter uns Inselstaaten gibt es Produzenten von fossiler Energie oder Abnehmer davon. Auch wir sind noch von Öl und Gas abhängig. Trotzdem muss das Ziel das Ende dieser Subventionen sein: Wollen wir wirklich weiter Geld in eine Industrie stecken, die unsere Zukunft ruiniert? Viele erkennen an, dass dies der falsche Weg ist. Aber für uns geht es zu langsam. Ich hoffe, wir können hier neue Allianzen bilden in Glasgow.
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