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G-20-Gipfel in Rom
Globale Probleme treffen auf nationale Egos

Italien richtet ein richtig grosses Treffen von Staats- und Regierungschefs aus: US-Präsident Joe Biden trifft zusammen mit Ehefrau Jill zum  G-20-Gipfel in Rom ein. 
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So viel Hektik flimmerte schon lange nicht mehr über Rom, mindestens seit zwei Jahren nicht mehr. Die Fünfsternhotels in der Stadt machen mal wieder Umsatz, die italienischen Topköche werden herumgereicht, auch sie ganz erfreut. Es ist G-20-Gipfel, und obschon nicht alle Mächtigen der Welt persönlich angereist sind, ist es dennoch das erste richtig grosse Treffen von Staats- und Regierungschefs in Präsenz seit Ausbruch der Pandemie, je mit stattlichen Delegationen.

Viel zu reden gaben zunächst die Abwesenden: Chinas Staatschef Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin sind zu Hause geblieben, das schwächt die Runde in zentralen Punkten der Agenda. Aber Joe Biden ist in der Stadt. Dafür haben sie das gesamte Quartier Parioli abgeriegelt, Laub weggewischt und alle falsch parkierten Autos in einem Umkreis von einigen Kilometern rund um die Residenz des amerikanischen Botschafters abgeschleppt.

Alle Gäste wohnen im alten Zentrum Roms, doch die Sitzungen des Gipfels finden etwas ausserhalb statt: im EUR – so heisst ein Viertel auf dem Weg zum Meer, erreichbar über die vielspurige Via Cristoforo Colombo. EUR ist das Akronym für Esposizione Universale di Roma. Die Weltexpo, für die der Stadtteil einst erbaut werden sollte, war für 1942 geplant gewesen und sollte im Kopf von Benito Mussolini seine eigene verschrobene Grösse und die seines faschistischen Regimes feiern. Mit bombastischer Architektur, das meiste im Stil des italienischen Rationalismus, mit Anlehnungen an die Zeiten des antiken Rom.

Die «Washington Post» wittert etwas für die Cancel-Culture

Der Zweite Weltkrieg stoppte den Plan, doch kaum war der Krieg vorbei und der Faschismus besiegt, baute man das Viertel fertig. Es hat sich seitdem längst ins Stadtbild gefügt, Architekturstudenten von überall kommen vorbei, um den Palazzo dei Congressi, das Colosseo Quadrato und den Palazzo delle Fontane zu studieren und zu bestaunen.

Für die «Washington Post» ist es aber unerhört, dass die Italiener für den Schlusspunkt ihres turnusmässigen G-20-Vorsitzes ausgerechnet dieses «Symbol des Faschismus» ausgewählt hätten. Auf einem Flachrelief sieht man Mussolini hoch zu Pferd. Die «Washington Post» findet, das gehe nicht, so wenig wie gewisse Reiterstatuen in den USA statthaft waren, die dann von der Cancel-Culture geschleift wurden.

So gar nicht urrömisch: «La Nuvola», das neue Kongresszentrum im Stadtteil EUR, von Stararchitekt Massimiliano Fuksas. Im Innern: Eine weisse Wolke. 

Die Italiener haben gemeinhin ein sehr lockeres Verhältnis zum Vermächtnis ihres Diktators. In diesem Fall war die Ortswahl aber vor allem der Sicherheit geschuldet: Das EUR mit seinen geometrischen Linien ist viel leichter zu schützen, als es ein Austragungsort im verwinkelten Zentrum gewesen wäre. 10’000 Polizisten sind mobilisiert. Man will unbedingt verhindern, dass es zu Szenen wie vor zwanzig Jahren beim blutigen G-8-Gipfel in Genua kommen kann. Gegenkundgebungen wird es auch diesmal geben, doch sie werden weit weg von der Hochsicherheitszone stattfinden.

Der Gipfel selbst tagt in «La Nuvola», einem neuen Kongressbau mit einer gewagten Konstruktion im Innern, einem vermeintlich frei schwebenden Auditorium in der Form einer Wolke, gezeichnet vom berühmten Architekten Massimiliano Fuksas. Wenn man den Namen als Omen nehmen wollte: Auch die zwei wichtigsten Gipfelziele hängen noch in den Wolken, sie handeln vom Klimaschutz und der Pandemiebekämpfung.

Beim Klima kämpft man um eine vage Definition

Vor COP26, der Klimakonferenz, die am Sonntagabend in Glasgow beginnen wird, sollen die Anführer der grössten Wirtschaftsmächte, welche zusammen für mehr als 80 Prozent der Treibhausgase verantwortlich sind, ein möglichst starkes Signal im Kampf gegen die Erderwärmung aussenden. Geht es nach den Organisatoren, soll Rom als Rampe für Glasgow dienen, oder als Beginn einer erfolgreichen Stafette. Dafür müsste man sich aber zum Beispiel auf ein klares zeitliches Bekenntnis zur Klimaneutralität einigen können.

Den Europäern etwa wäre 2050 lieb; China aber, das für ein Viertel des globalen CO₂-Ausstosses steht, denkt eher über 2060 nach. Ein Kompromiss könnte die vage Formulierung «Mitte Jahrhundert» sein. Doch «vage» ist in diesem Zusammenhang nicht gut. Die UNO gibt zu bedenken, dass beim jetzigen Tempo der Erderwärmung das Ziel einer Beschränkung auf 1,5 Grad bis Ende Jahrhundert unmöglich erreicht werden könne. Im Moment steuert die Welt auf plus 2,7 Grad zu. Unsicher ist auch, ob die reichsten Staaten einen Konsens dafür finden, den Entwicklungsländern jedes Jahr 100 Milliarden Euro zukommen zu lassen, damit sie sich den Umstieg auf klimafreundlichere Industrien leisten können.

Reiche Länder versprachen in der Pandemie zu viel

Auch bei der multilateralen Bekämpfung der Pandemie ist man weit entfernt von eigenen Ambitionen. Neulich, beim Weltgesundheitsgipfel, versprachen die reichen Länder und die Pharmaindustrie, dass sie den ärmeren Ländern mit der Lieferung von fast zwei Milliarden Impfdosen helfen wollten. Damit, wie es jetzt heisst, bis Mitte 2022 etwa 70 Prozent der Weltbevölkerung geimpft seien.

Bisher wurden jedoch nur rund 17 Prozent der ausgemachten Dosen ausgeliefert. In Rom will man nun Strukturen beschliessen, die der Welt in Zukunft beim Bekämpfen neuer Pandemien helfen könnten. Es soll auch dafür gesorgt werden, dass Entwicklungsländer Impfstoffe vor Ort produzieren können. Doch viel mehr als Pläne sind das nicht.

Und so könnte es sein, dass am Ende des römischen G-20-Gipfels nur ein Durchbruch begangen werden kann, einer allerdings, der schon beschlossen und bekannt ist: 15 Prozent Mindeststeuer für Grossunternehmen. Auch die führenden Firmen aus der Netzökonomie sollen endlich ihre gigantischen Gewinne versteuern müssen. Damit ein ganz klein bisschen mehr Gerechtigkeit herrscht auf der Welt.