Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Oberster Schweizer Impfexperte
«Wir können einem 91-Jährigen nicht einfach sagen, er sei zu alt zum Impfen»

Im Kanton Basel-Landschaft haben die Corona-Impfungen bereits begonnen wie hier im Alters- und Pflegeheim zum Eibach in Gelterkinden.
Jetzt abonnieren und von der Vorlesefunktion profitieren.
BotTalk

Keine Woche nach dem Start der Covid-Impfungen hat die Nachricht vom ersten Todesfall nach einer Impfung Schlagzeilen gemacht. Hat Sie das überrascht?

Wir wussten, dass das passieren wird. Das ist einfache Statistik: Noch vor Corona sind in der Schweiz pro Tag etwa 110 Personen im Alter über 80 Jahren gestorben. Wenn wir nun alle Personen in dieser Altersgruppe impfen, ist früher oder später eine darunter, die kurz nach der Impfung stirbt. Die Person wäre aber auch ohne Impfung gestorben, einfach weil sie krank oder alt ist. Der Zusammenhang ist kein ursächlicher, sondern nur ein zeitlicher.

Wie stellt man fest, dass der Tod wirklich nicht eine Folge der Impfung war?

Der Arzt muss immer eine Todesbescheinigung ausstellen und beurteilen, ob es ein natürlicher oder ein ausserordentlicher Tod war. Letzteres muss er den Behörden melden, damit sie weitere Abklärungen machen können, zum Beispiel bei Verdacht auf eine Vergiftung oder einen Mord. Auch ein vermuteter Zusammenhang mit einer Impfung würde in diese Kategorie fallen. Der Arzt, der in Luzern den Verstorbenen untersuchte, hat keine Meldung erstattet, er ging von einem natürlichen Tod aus. Ich selber kenne den Verstorbenen und seine Krankengeschichte nicht. Aber gemäss Arzneimittelbehörde Swissmedic war er 91 und hatte Vorerkrankungen. Er starb mehrere Tage nach der Impfung und zeigte keine Symptome, die zu einer Impfreaktion passen.

«Wollen wir die Spitäler möglichst schnell aus der Belastungszone herausbringen, müssen wir die Älteren rasch impfen, weil sie öfter schwere Komplikationen haben.»

Christoph Berger, Präsident der Eidgenössischen Kommission für Impffragen

Skeptiker sagen, in der Schweiz würden viele nicht an, sondern mit Corona sterben – bei der Impfung hingegen heisse es, die Person sei nicht an, sondern mit der Impfung gestorben.

Natürlich gibt es 90-Jährige, die an Krebs sterben und gleichzeitig Corona haben. Aber es gibt eindeutig viele, die wegen Corona sterben. Die Statistik zeigt, dass wir vor allem in der zweiten Welle eine hohe Übersterblichkeit bei der älteren Bevölkerung haben, dass also mehr Leute sterben als in anderen Jahren. Es ist eindeutig, dass Corona der Grund dafür ist.

Der Mann, der in Luzern starb, war 91 Jahre alt. Ist es sinnvoll, so alte Menschen zu impfen?

Das ist eine ethische Frage. Impft man einen 75-Jährigen, rettet man wegen der höheren Lebenserwartung mehr Lebensjahre als bei einem 91-Jährigen. Wir wissen aber, dass Personen über 80 häufiger an Corona sterben. Darunter sind viele, die körperlich topfit sind. Da können wir einem 91-Jährigen nicht einfach sagen, er sei zu alt oder zu krank, um die Impfung zu erhalten. Eine andere Sichtweise ist die Belegung der Spitäler: Wollen wir die Spitäler möglichst schnell aus der Belastungszone herausbringen, müssen wir die Älteren rasch impfen, weil sie öfter schwere Komplikationen haben.

Die ethische Frage verschwindet aber nicht einfach, weil der Impfstoff knapp ist und jemand entscheiden muss, wer zuerst geimpft wird. Wie wird das Dilemma konkret aufgelöst?

Auf nationaler Ebene gilt die Impfempfehlung für Personen über 65 und solche mit Risikofaktoren. Weil noch zu wenig Impfstoff verfügbar ist, beginnen wir bei den über 75-Jährigen. Auf kantonaler Ebene sind es auch logistische Fragen, die entscheiden: Mobile Teams gehen mit einer Kiste gefrorenem Impfstoff in ein Heim und impfen dort alle, die das wollen. Das ist sinnvoll, weil in Heimen viele vulnerable Personen auf engem Raum leben, von denen einige die Schutzmassnahmen nicht einhalten können, weshalb die Ausbruchsgefahr gross ist.

Wer entscheidet bei älteren Personen über die Impfung?

Wer mündig und urteilsfähig ist, entscheidet selbst. Für andere, zum Beispiel Demente, entscheiden die gesetzlichen Vertreter. Häufig besprechen Senioren diese Frage mit der Familie. All das muss vor dem Impfen passieren. Sehr wichtig ist: In der Schweiz entscheidet jeder frei, ob er sich impfen lassen will, die Impfung ist kostenlos, der Zugang wird gerecht gewährt, wir setzen die Prioritäten aus medizinischer Sicht. Die Abwägung muss aber jeder für sich machen.

«Die Impfung hat ein minimales Risiko und eine hohe Schutzwirkung. Das muss ich abwägen gegen das Risiko, an Corona zu erkranken.»

Christoph Berger

Welche Abwägung?

Die Impfung hat ein minimales Risiko und eine hohe Schutzwirkung. Das muss ich abwägen gegen das Risiko, an Corona zu erkranken, vielleicht sogar daran zu sterben. Für die Risikogruppe ist die Abwägung sehr klar. Bei der weiteren Bevölkerung, bei der schwerere Symptome seltener sind, ist es hingegen weniger eindeutig. Sie benötigen noch mehr Informationen über die Langzeitwirkung der Impfung. Im Frühling und Sommer wird sich auch die Frage stellen, ob man dank der Impfung Massnahmen lockern kann und zum Beispiel Reisen wieder möglich werden.

Lassen Sie sich impfen?

Ich bin 58 Jahre alt und gehöre nicht der Risikogruppe an. Wenn dann das Gesundheitspersonal an der Reihe ist, werde ich mich impfen lassen.

«Wollten wir verhindern, dass Private eine Impfung zur Bedingung machen können, müssten wir das gesetzlich regeln.»

Christoph Berger

Sie sagen, die Impfung sei freiwillig. Doch der Druck könnte erheblich werden, falls Airlines oder Konzertveranstalter eine Impfung verlangen.

Das ist eine schwierige Diskussion und eine politisch-kulturelle Frage. Wollten wir verhindern, dass Private eine Impfung zur Bedingung machen können, müssten wir das gesetzlich regeln. Für die Covid-Impfung müsste das sehr schnell passieren. Ich frage mich, ob das Risiko dieses Stichs so gross ist, dass man das regulieren muss. Und wenn der Staat eingreift, um die Rechte nicht Geimpfter zu schützen, befördert er Ängste vor dem Impfstoff. Dabei teilt die Mehrheit der Bevölkerung diese Bedenken nicht, nur eine laute kleine Minderheit.

Die Impfgegner sind vielleicht eine Minderheit, aber sehr gut organisiert. Sie haben auch die Meldung über den Todesfall in Luzern in Umlauf gebracht. Ist das ein Problem für das Schweizer Impfprogramm?

Es ist definitiv eine Herausforderung, auf die wir uns vorbereiten. Nun wurden wir überrascht davon, dass es so schnell ging. Wir haben am Montag in der Eidgenössischen Kommission für Impffragen diskutiert, ob wir dem Bundesamt für Gesundheit eine proaktive oder eine reaktive Kommunikation empfehlen. Proaktiv wäre, die Leute darauf zu sensibilisieren, dass sie Falschinformationen erhalten werden zur Impfung. Ganz sicher aber müssen Antworten bereit sein, wenn wieder Behauptungen kursieren.

Einige Kantone haben schon im Dezember mit Impfen begonnen, andere machen das erst im Januar. Warum erhalten nicht jene Kantone schon einmal möglichst viel Impfstoff, die schon bereit sind?

Wäre das gerecht? Die Armeeapotheke verteilt den Impfstoff auf die Kantone gemäss Einwohnerstatistik. Würde sie es anders machen, hätte ein Bündner vielleicht kleinere Chancen, sich impfen zu lassen, als ein Luzerner.

Aber die Chancen auf eine baldige Impfung sind ohnehin je nach Kanton verschieden - eben weil die einen früher beginnen.

Das sollten wir nicht überbewerten. Die nationale Impfkampagne beginnt am 4. Januar. Was vorher geschieht, findet vor dem Hintergrund von viel politischem Druck statt: Es geht auch darum zu beweisen, dass die Schweiz nicht langsamer ist als andere Länder. Aber ins Gewicht fällt das nicht. Vor dem 4. Januar wird eine kleine Anzahl Personen geimpft, auch um die Abläufe zu überprüfen. Wir müssen noch einige Kinderkrankheiten beheben, weil alles so unglaublich schnell gehen musste.

«Wir wollen garantieren, dass jeder Geimpfte sicher die volle Dosis Wirkstoff erhält, auch wenn mal ein Tröpfchen oben aus der Spritze kommt.»

Christoph Berger

Welche Kinderkrankheiten?

Ein Beispiel: Die elektronischen Instrumente sind alle neu. Wir müssen erfassen, ob eine Person die Voraussetzungen erfüllt und ob sie Vorerkrankungen hat. Noch geschieht das manuell, aber es soll bald digital werden. Erfahrungen mussten wir auch mit der Verdünnung des Impfstoffs sammeln. Die supergenauen Impfer schaffen es, mit dem Inhalt einer Ampulle sechs Personen zu spritzen. Andere sind hingegen nicht so routiniert und schaffen nur fünf. Wir wollen garantieren, dass jeder Geimpfte sicher die volle Dosis Wirkstoff erhält, auch wenn mal ein Tröpfchen oben aus der Spritze kommt. Also haben wir uns darauf geeinigt, dass wir mit einer Ampulle fünf Personen impfen.

Israel, ein ähnlich grosses Land wie die Schweiz, hat schon fast 10 Prozent der Bevölkerung geimpft, in der Schweiz sind wir viel langsamer. Frustriert Sie das?

Wir sind nicht gleich wie Israel. Wir haben den Föderalismus. Und wir haben vor allem einen sehr ausgeprägten Individualismus. Das braucht alles Zeit. Viele in der Schweiz verfügen noch nicht über genug Informationen, um ihren eigenen Impfentscheid zu fällen. Wenn man die unter Druck setzt, sagen sie Nein. Da lassen wir uns besser die Zeit, alles gründlich zu diskutieren.

«Meine 85-jährige Mutter rief mich auch frustriert an, weil sie einfach nicht reinkam.»

Christoph Berger

Wie schädlich sind organisatorische Probleme wie in Zürich, wo die elektronische Anmeldeplattform in die Knie ging?

Meine 85-jährige Mutter rief mich auch frustriert an, weil sie einfach nicht reinkam. Und ich habe in den letzten Tagen viele SMS und E-Mails erhalten von Bekannten, ob ich ihnen helfen könne. Aber wir müssen jetzt alle einfach Geduld haben. Natürlich ist jeder Tag, den man auf die Impfung wartet, einer mehr, an dem man extrem aufpassen muss. Es ist darum sehr wichtig, dass der zweite Impfstoff, jener von Moderna, bald zugelassen wird. Dann können wir viel schneller impfen. Den Behörden müssen wir zugute halten, dass sie alles sehr schnell organisieren mussten.

Zurück zu den Nebenwirkungen der Impfung: Wie würden diese sich äussern?

Möglich ist eine schwere allergische Reaktion mit einem anaphylaktischen Schock. Die geschieht am Tag der Impfung, nicht mehrere Tage danach. Darum überwachen wir die Patienten nach der Impfung 15 Minuten lang.

Auf welchen Bestandteil gibt es allergische Reaktionen?

Theoretisch ist eine allergische Reaktion auf jeden Bestandteil im Impfstoff möglich. Bei der Covid-Impfung wurden in den USA und Grossbritannien schwere allergische Reaktionen auf Polyethylen-Glukol beobachtet. Das betraf aber sehr wenige Personen, die alle schon vorher wussten, dass sie gegen diesen Stoff überempfindlich sind, und Allergie-Medikamente auf sich trugen.

Welche anderen Nebenwirkungen sind möglich?

Bisher sind es die üblichen Nebenwirkungen: Die Einstichstelle kann schmerzen, besonders bei der zweiten Dosis sind auch Kopf-, Muskel- und Gelenkschmerzen und ein Schlappheitsgefühl möglich.

Was löst die Nebenwirkungen aus?

Sie gehören zur Reaktion des Immunsystems auf den Impfstoff und belegen, dass es funktioniert. Darum sind die Nebenwirkungen bei der zweiten Spritze auch etwas häufiger, weil dann die Immunantwort dank der ersten Impfung schneller und stärker ist. Diese Nebenwirkungen sind relativ häufig und gut dokumentiert. Wir gehen davon aus, dass die Reaktion vor allem das Impfkügelchen betrifft. Dieses Lipid muss man sich vorstellen wie einen Transporter, der den eigentlichen Impfstoff in eine Körperzelle einbringt. Der mRNA-Impfstoff enthält einen Bauplan für ein Protein, das die Zelle produzieren soll, damit das Immunsystem Antikörper dagegen bildet. Der Körper reagiert aber auch auf das Lipid.

Welche schweren Nebenwirkungen sind möglich?

In bisherigen Studien wurde beispielsweise einmal eine Beinlähmung beschrieben. Das trat bei den Geimpften aber gleich häufig auf wie bei denen, die nur ein Placebo erhielten. Diese Reaktionen haben also vermutlich nichts mit der Impfung zu tun.

«Speziell bei der Covid-Impfung ist, dass noch nie zuvor Studien mit so vielen Teilnehmern gemacht wurden vor der Zulassung.»

Christoph Berger

Bei der Schweinegrippe zeigte sich später, dass die Impfung die Schlafkrankheit verursachen konnte. Sind solche Langfristwirkungen auch bei der Covid-Impfung möglich?

Bei der Schweinegrippe war es der Impfstoff Pandemrix, der Narkolepsie auslösen konnte, aber nur bei Personen, die dafür eine genetische Veranlagung hatten. Solche Nebenwirkungen sind bei jeder Impfung möglich. Sie sind so selten, dass man sie bei der Impfstoffzulassung nicht erkennen kann. Speziell bei der Covid-Impfung ist, dass noch nie zuvor Studien mit so vielen Teilnehmern gemacht wurden vor der Zulassung.

Die Erfahrung auf die lange Frist fehlt aber.

Langzeitwirkungen kann man natürlich noch nicht erkannt haben. Darum werden wir weiterhin die Nebenwirkungen genau überwachen und möglichst viele Daten dazu sammeln. Dabei ist es vorerst absolut egal, ob es einen ursächlichen oder nur einen zeitlichen Zusammenhang mit der Impfung gibt. Swissmedic sammelt all diese Daten über ein Meldeportal. Die werden statistisch ausgewertet, um allfällige epidemiologische Zusammenhänge zu finden.

«Da ist es wahrscheinlich, dass irgendwann jemand geimpft wird und zwei Tage später eine Leukämie festgestellt wird – aber unwahrscheinlich, dass es wegen der Impfung ist.»

Christoph Berger

Können Sie das mit einem Beispiel erklären?

Die HPV- und die Hepatitis-B-Impfungen standen im Verdacht, Multiple Sklerose auszulösen. Aber auch das ist Statistik: Wenn man alle Teenager gegen HPV impft, wird es irgendwann passieren, dass ein Mädchen fünf Tage nach der Impfung eine MS-Diagnose erhält. Mit grossen epidemiologischen Studie wird darum abgeklärt, ob ein Zusammenhang mit der Impfung besteht. Die Dänen und Schweden sind darin extrem gut, sie haben festgestellt, dass die MS-Diagnose bei den Geimpften nicht häufiger war als bei Ungeimpften. Zum selben Ergebnis kam Frankreich bei der Hepatitis-B-Impfung. In der Schweiz erhalten täglich 150 Personen eine Krebsdiagnose. Da ist es wahrscheinlich, dass irgendwann jemand geimpft wird und zwei Tage später eine Leukämie festgestellt wird – aber unwahrscheinlich, dass es wegen der Impfung ist.

Wie unabhängig von der Pharma-Industrie sind diese Untersuchungen?

Zum einen ist dafür Swissmedic zuständig, eine unabhängige nationale Behörde mit Experten, deren Lohn der Staat zahlt. Sie haben zum Teil früher in der Pharmaindustrie gearbeitet, von dort kommt ihre Expertise, aber die sind total unabhängig. Die Experten von Swissmedic studieren die Unterlagen, welche die Hersteller einreichen, und beurteilen, ob eine Impfung wirksam und sicher ist und wo die Risiken liegen.

Welche Rolle spielt die Eidgenössische Kommission für Impffragen, die Sie präsidieren?

Sie ist eine unabhängige ausserparlamentarische Kommission, die das Bundesamt für Gesundheit bezüglich Impfungen berät. Unsere Mitglieder sind Schweizer Experten aus verschiedenen Bereichen, von der Kinder- über die Altersmedizin bis zu Public Health. Wir prüfen die internationale Literatur zu Impfstoffen. Das ist keine identische, aber eine mit Swissmedic überlappende Beurteilung. Die Mitglieder der Impfkommission müssen vor jeder Sitzung ihre Interessen deklarieren, sonst dürfen sie nicht teilnehmen, und die Deklarationen sind öffentlich zugänglich. Besteht ein Konflikt, darf die Person nur zuhören oder nicht teilnehmen.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.