Wie weiter beim KlimaschutzgesetzWindräder, Solarpflicht, Ladestationen – wo die nächsten Streitpunkte liegen
Eine deutliche Mehrheit der Stimmenden hat das Klimaschutzgesetz gutgeheissen – trotz lauter Kampagne der Gegner. Doch der Weg zum Ziel netto null ist noch lang.
Im Lager der Befürworter ist der Jubel am Sonntag gross. «Das klare Resultat zeigt: Klimaschutz ist in der Schweiz mehrheitsfähig», schreibt das Ja-Komitee. Nun könne die Schweiz endlich vorwärtsmachen. «Sieg für das Klima», betiteln die Grünen ihre Mitteilung. «Bahnbrechend», sagt die SP.
Am Ende war das Resultat deutlich: 59 Prozent der Stimmenden haben das Klimaschutzgesetz angenommen. Eine hohe Zustimmung gab es in städtischen Gebieten und in der Romandie. Genf nahm das Gesetz mit einem Ja-Stimmen-Anteil von rund 75 Prozent an, Basel-Stadt mit 73 Prozent. Sieben ländlich geprägte Kantone in der Zentral- und der Ostschweiz lehnten das Gesetz hingegen ab.
Gespalten war die Basis der FDP. Gemäss der Nachbefragung von LeeWas im Auftrag von 20 Minuten und Tamedia haben lediglich 51 Prozent der FDP-Wählerschaft zugestimmt. Die Befragung zeigt weiter, dass die Zustimmung bei den Jüngeren geringer war als bei den Älteren. Teilgenommen haben rund 13’700 Personen.
«Die Fakten haben sich durchgesetzt»
Mit dem Ja hat sich das Stimmvolk zum einen zu den Klimazielen bekannt, zu denen sich die Schweiz international längst verpflichtet hat: Das Ziel, den CO₂-Ausstoss bis 2050 auf netto null zu senken, ist nun direktdemokratisch legitimiert. Zum anderen steht mehr Geld für den Ersatz fossiler Heizungen und für Innovationen zur Verfügung. Ein Lenkungssystem hatte das Stimmvolk mit dem Nein zum CO₂-Gesetz abgelehnt. Ein Fördersystem hat es nun gutgeheissen. Die Schweiz schlägt damit einen Anreiz-Weg ein: Es soll billiger werden, die klimafreundliche Variante zu wählen. (Lesen sie unseren Kommentar: Klimaneutralität? Dann muss es jetzt schmerzen)
SVP-Umweltminister Albert Rösti kann seinen ersten Abstimmungserfolg verbuchen. Gegen die eigene Partei, die im Wahljahr eine Niederlage hinnehmen muss. Er freue sich für den Bundesrat, sagt Rösti am Sonntagabend vor den Medien. Das Stimmvolk habe ein ambitioniertes Ziel gesetzt. Wichtig sei nun, dass die Stromproduktion rasch ausgebaut werde. «So können wir auch den Bedenken der Gegner Rechnung tragen.»
Die SVP hatte vor immensen Kosten gewarnt, vor Strommangel – und vor Verboten, obwohl das Gesetz keine enthält. SP-Nationalrätin Nadine Masshardt sagt dazu: «Wir sind hocherfreut, dass sich die Fakten durchgesetzt haben und nicht die Fake News der Gegner.» Das Stimmvolk habe sich nicht irritieren lassen.
«Benzin-Autos verbieten? Nein zum Stromfressergesetz». Solche Plakate hängen am Sonntag auch im Restaurant Zum Äusseren Stand, wo sich die Gegner treffen. Hat die SVP es diesmal übertrieben? War die Kampagne zu schrill?
«Die anderen Parteien müssen zeigen, wie das Gesetz ohne höhere Kosten, Verbote und Strommangel umgesetzt werden soll.»
«Nein», sagt der für die Kampagne verantwortliche Nationalrat Michael Graber: «Wir werden recht bekommen.» Nationalrätin Magdalena Martullo – sie kommt gerade von einem Schwingfest – sagt: «Nein, im Gegenteil.» Die SVP habe diesmal fast alleine gekämpft – und weit über ihr Wählerpotenzial hinaus Stimmen geholt. «Nun sind die anderen Parteien in der Verantwortung», sagt Martullo. «Sie müssen zeigen, wie das Gesetz ohne höhere Kosten, ohne Verbote und ohne Strommangel umgesetzt werden soll.»
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Aus Martullos Sicht kann eine Strommangellage ohne fossile Energien nur mit Kernkraft verhindert werden. Der Energie-Club Schweiz fordert deshalb, sofort die Planung für den Bau neuer Kernkraftwerke an die Hand zu nehmen. Mehrheitsfähig scheint das allerdings nicht zu sein: Für neue Atomkraftwerke sprachen sich in der Nachbefragung nur 30 Prozent der Befragten aus. Dass die bestehenden AKW länger laufen, wünschen sich 45 Prozent. Eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent befürwortet dagegen eine Solarpflicht auf Neubauten.
Fest steht, dass das Klimaschutzgesetz lediglich ein Puzzle-Teil ist: Sinnvoll ist es nur im Gesamtpaket mit weiteren Vorlagen. Viele davon sind bereits in Arbeit. Das Ja sei ein Auftrag für die Zukunft, schreibt der WWF.
Wie geht es nun weiter in der Klima- und Energiepolitik?
Elektroöfen und Ölheizungen ersetzen
Der Bundesrat wird rasch eine Verordnung vorlegen, in der geregelt wird, wie die Gelder für den Ersatz alter Heizungen eingesetzt werden sollen. Rösti bekräftigte am Sonntag, dass er einen Fokus auf den Ersatz von Elektroöfen legen will. Diese verbrauchen im Winter zehn Prozent des Stroms – viel mehr als Wärmepumpen. Die Umsetzung wird Sache der Kantone sein. Weil nun viel mehr Geld zur Verfügung steht, wird die Herausforderung darin bestehen, die Anfragen möglichst effizient bewältigen zu können. Dem Vernehmen nach ist geplant, das Gesetz Anfang 2025 in Kraft zu setzen. Die Umweltverbände fordern mehr Tempo.
Mehr Strom produzieren
Die Gegner des Klimaschutzgesetzes haben im Abstimmungskampf davor gewarnt, der Ausstieg aus den fossilen Energien werde zu höherem Strombedarf und mithin zu Strommangel führen. Damit das nicht geschieht, soll die Stromproduktion ausgebaut werden. Das Bundesamt für Energie geht in seinen Energieperspektiven 2050+ davon aus, dass der Energieertrag von Fotovoltaikanlagen von rund 6 Terawattstunden (TWh) im Jahr 2021 auf 34 TWh im Jahr 2050 gesteigert werden muss.
Das Gesetz zur sicheren Stromversorgung mit erneuerbaren Energien (Mantelerlass) ist zurzeit in der parlamentarischen Beratung. Noch gibt es gewichtige Differenzen zwischen National- und Ständerat, namentlich zu den Abstrichen beim Umwelt- und Landschaftsschutz, zu einer Solarpflicht auf Neubauten und zur Güterabwägung. So will der Ständerat, dass Gebiete, die sich für die Nutzung von Solar- und Windenergie eignen, in den kantonalen Richtplänen ausgeschieden werden. Ist der Bedarf ausgewiesen, soll in diesen Gebieten die Nutzung der Solar- und Windenergie Vorrang haben vor anderen nationalen Interessen. Im Nationalrat ist das am Widerstand von SVP und Grünen gescheitert. Auch Massnahmen für mehr Energieeffizienz sind noch umstritten.
Je nach Version, auf die sich die Räte am Ende einigen, droht das Referendum der Umweltverbände oder der SVP – oder von beiden. Es könnte der nächste Entscheid sein, den das Stimmvolk zu fällen hat. Beschliesst das Parlament keine Solarpflicht für Neubauten, wollen die Grünen eine Initiative dazu lancieren.
Produktionsanlagen rascher bewilligen
Der Bundesrat will auch dafür sorgen, dass die Anlagen zur Stromproduktion schneller gebaut werden können. Die Planungs- und Bewilligungsverfahren sollen vereinfacht und gestrafft werden. Die Vorschläge hatte noch die frühere Energieministerin Simonetta Sommaruga in die Vernehmlassung geschickt. Demnächst wird der Bundesrat die Gesetzesänderungen ans Parlament leiten. Hauptelement ist ein konzentriertes kantonales Plangenehmigungsverfahren, das diverse Bewilligungen enthält. Neu soll nicht mehr jede Etappe bis vor Bundesgericht angefochten werden können. Bereits beschlossen hat das Parlament den «Windexpress». Damit werden die Genehmigungsverfahren für Windparks um ungefähr zwei Jahre verkürzt.
Gebäude schneller sanieren
Die Konferenz der Energiedirektoren (EnDK) will bis Ende 2025 sämtliche Mustervorschriften überarbeiten. Diese bilden die gemeinsame Grundlage der Kantone bei der Umsetzung energierechtlicher Vorschriften. Eine Solarpflicht für neue und bestehende Bauten dürfte Bestandteil dieser Revision sein. Wo die Vorschriften umgesetzt würden, seien in neun von zehn Fällen erneuerbare Heizsysteme eingeführt worden, heisst es in einem Papier der EnDK. Noch haben allerdings nicht alle Kantone die geltenden Mustervorschriften in ihrer Gesetzgebung umgesetzt. Die Sanierungsrate bestehender Gebäude liegt nach wie vor deutlich unter dem Wert, den es braucht, um die Ziele für 2050 zu erreichen.
Mehr Elektroautos importieren
Im Parlament steht die Beratung des CO₂-Gesetzes an – der Neuauflage des 2021 an der Urne gescheiterten Gesetzes für die Zeit ab 2025. Bis 2024 muss die Schweiz bei der UNO ihre Ziele für die kommenden Jahre einreichen. Nach dem Vorschlag des Bundesrates soll die Schweiz bis 2030 ihren Treibhausgas-Ausstoss gegenüber 1990 um die Hälfte reduzieren.
Zu zwei Dritteln soll dies im Inland erfolgen und zu einem Drittel mit Klimaschutz-Projekten im Ausland. Neue Abgaben oder Verbote sind diesmal nicht vorgesehen. Verschärfen will der Bundesrat aber die CO₂-Zielwerte für Autos, analog zur EU. Es handelt sich dabei um Ziele, welche die Autoimporteure berücksichtigen müssen.
Ladestationen fördern
Das Bundesamt für Energie kommt in einer Studie zum Schluss, dass bereits in rund 12 Jahren der Aufbau der Ladeinfrastruktur in der Schweiz abgeschlossen sein muss. Der Grund: Bereits 2035 könnten über die Hälfte der Personenwagen elektrisch fahren. Das hiesse: Der Ausbau muss in den nächsten Jahren stark gefördert werden. Das betrifft Miethäuser, aber auch den Arbeitsplatz und öffentliche Standorte. Der Bundesrat hat vorgeschlagen, die Verbreitung der Ladestationen durch eine finanzielle Förderung im Rahmen des revidierten CO₂-Gesetzes voranzubringen.
In den Klimaschutz investieren
Mittelfristig wird das Stimmvolk voraussichtlich über die Klimafonds-Initiative von SP und Grünen befinden können. Aktuell sammeln die beiden Parteien Unterschriften. Die Initiative fordert einen Investitionsfonds: Pro Jahr soll der Bund den Fonds mit 0,5 bis 1 Prozent des Bruttoinlandprodukts füllen. Mit dem Geld sollen Projekte zur Senkung des Treibhausgasausstosses finanziert werden. Die Initianten denken etwa an den Bau von Ladestationen für E-Autos oder Energiespeicherung in Form von Wasserstoff.
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