Interview mit Jane OwenWie soll die Schweiz auf das Ultimatum der EU reagieren, Frau Botschafterin?
Jane Owen, britische Botschafterin in der Schweiz, erklärt, auf welche Strategie ihr Land in den Brexit-Verhandlungen setzte. Und sagt, welche Pläne die Briten mit der Schweiz haben.
Ein schwieriges Treffen hatten alle erwartet. Doch die erste Reise des Schweizer Aussenministers Ignazio Cassis zu seinem neuen EU-Ansprechpartner endete nicht etwa mit versöhnlichen Worten, sondern mit einem Ultimatum: Die Schweiz müsse bis im Januar klar aufzeigen, was sie in Verhandlungen mit der EU erreichen wolle. Sonst machten weitere Gespräche keinen Sinn.
Grossbritannien war in den Brexit-Verhandlungen wiederholt mit Ultimaten konfrontiert – und konnte sich Ende letzten Jahres mit der EU doch auf einen Austrittsvertrag einigen, mit dem die britische Regierung offiziell «sehr zufrieden» ist. Wir wollten von Jane Owen, britische Botschafterin in der Schweiz, wissen, wie ein Land am besten in solche Verhandlungen steigt:
Die EU hat ein Ultimatum gestellt: Bis Januar muss die Schweiz aufzeigen, worüber sie mit Brüssel verhandeln will. Wie soll sie reagieren?
Ich kann als britische Botschafterin nicht kommentieren, was die Schweizer Regierung tun oder lassen sollte. Sagen kann ich: Es ist eine gute Sache, dass die Schweiz und die EU wieder über ihre künftige Beziehung sprechen. Ihre Beziehung ist wichtig für Europa.
Was haben die Briten aus den Brexit-Verhandlungen mit der EU gelernt?
Wenn ich zurückschaue auf unsere Verhandlungen, dann war ganz wichtig, dass wir als Land klar kommuniziert haben, was wir wollen. In Verhandlungen muss ein Gefühl dafür da sein, welche nationalen Interessen man vertritt. Und schliesslich braucht es ein Bewusstsein dafür, dass man als souveräner Staat auf Augenhöhe mit der EU verhandelt – und dieses Bewusstsein war in Grossbritannien sehr stark. Wir sind sehr zufrieden mit dem Ergebnis unserer Verhandlungen mit der EU.
Wenn wir Sie richtig verstehen, muss die Schweiz für erfolgreiche Verhandlungen vor allem eines machen: Klar vermitteln, was sie von der EU will.
Über die Schweizer Strategie müssen Sie mit Bundesrat Ignazio Cassis sprechen. Aus der britischen Perspektive kann ich aber sagen, dass wir in den Verhandlungen mit der EU, aber auch mit anderen Staaten rund um den Globus immer danach streben, den für uns richtigen Deal abzuschliessen. Selbst wenn das bedeutet, dass Verhandlungen am Ende deutlich länger dauern.
«Ich habe in Grossbritannien nirgendwo Schlangen vor Tankstellen gesehen.»
Wir hören von leeren Regalen und leeren Tankstellen in Grossbritannien. Sind Ihnen nie Zweifel gekommen, ob der Brexit die richtige Entscheidung war?
Ich war letzte Woche in Grossbritannien. Ich bin dort Auto gefahren und habe nirgendwo Schlangen vor Tankstellen gesehen – das kann ich Ihnen versichern. Vor einigen Wochen gab es tatsächlich Panikkäufe, und bei einigen Waren gibt es derzeit Lieferengpässe, wie überall auf der Welt. Doch es ist wichtiger, dass wir das grosse Ganze betrachten und nicht bloss auf kurzfristige Probleme schauen. Die Welt hat einige sehr grosse Probleme, die die Regierungen gemeinsam angehen müssen: die Förderung offener Gesellschaften, die Aufrechterhaltung der Wettbewerbsfähigkeit, der Schutz unserer Sicherheit und der Schutz unseres Planeten. Und Grossbritannien hat durch die Präsidentschaft des Weltklimagipfels in Glasgow und der G-7 eine führende Rolle in diesen Fragen gespielt. Wir Briten wollen, dass Europa erfolgreich ist, und wir wollen dazu beitragen. Das Abkommen, das wir mit der EU ausgehandelt haben, hilft dabei. Es ermöglicht Freihandel, Zusammenarbeit und Innovation, das Rezept für alle erfolgreichen Staaten.
Ihr Premierminister Boris Johnson sprach einst von der grossen Zukunft Grossbritanniens ausserhalb Europas. Davon ist also keine Rede mehr?
Natürlich gehören wir zu Europa. Der Premierminister meinte eher, dass Grossbritannien ausserhalb der EU erfolgreich sein wird. Und wenn wir auf Europa und die Welt blicken, dann tun wir das ähnlich wie die Schweiz. Unsere beiden Staaten haben enge Beziehungen zur EU und den europäischen Staaten ausserhalb der Union, aber wir wollen auch enge Beziehungen zum Rest der Welt.
Die britische Strategie, die EU-Mitgliedschaft durch Freihandelsabkommen mit Ländern auf der ganzen Welt zu ersetzen, harzt aber. Wo bleiben die Abkommen mit grossen Staaten wie Indien oder den USA?
Wir haben 67 Kontinuitätsabkommen auf der ganzen Welt abgeschlossen. Zusammen mit unserem EU-Abkommen decken diese Handelsvolumen von fast einer Billion Pfund ab. Davon ist das Freihandelsabkommen mit der Schweiz das zweitgrösste nach dem EU-Abkommen. Unsere Diplomaten haben in kurzer Zeit also sehr viel erreicht. Was die grossen Staaten betrifft: Die USA prüfen derzeit intern, wo wir stehen, danach sollen die Verhandlungen fortgesetzt werden. Mit Indien reden wir darüber, Verhandlungen zu starten. Solche Abkommen brauchen Zeit – und wie ich vorhin gesagt habe: Wir wollen sie abschliessen, wenn sie uns passen, nicht um irgendwelche unrealistischen oder erfundenen Deadlines einzuhalten.
Und was hat Grossbritannien mit der Schweiz vor?
Wir haben sehr ambitionierte Pläne. Die Schweiz und Grossbritannien hatten immer gute Beziehungen, aber in den letzten Jahren kam es zu einer Art Neustart. Die Gespräche darüber, was zusätzlich möglich ist, wurden intensiver. Natürlich hat das auch mit unserem Austritt aus der EU zu tun, aber es gibt noch viele andere Gründe dafür: Wir wollen beim Wiederaufbau nach der Pandemie, bei der Digitalisierung und bei Innovationen im Allgemeinen zusammenarbeiten. Künstliche Intelligenz, Quantenforschung, Medizin: Die Schweiz ist stark auf diesen Gebieten, und wir sind es auch. Es gibt darum viele Bereiche, in denen wir noch besser zusammenarbeiten können. Darum werde ich am Montag auch in London sein. In einem sogenannten «strategischen Dialog» sprechen Vertreter beider Länder dann darüber, wie wir unsere Beziehung vertiefen wollen. Die Schweizer Delegation wird Staatssekretärin Livia Leu anführen.
Die für beide Länder wichtige Finanzindustrie haben Sie nicht erwähnt. Wie steht es um die Verhandlungen für ein Finanzdienstleistungsabkommen?
Die Schweiz und Grossbritannien wollen ein solches Abkommen. Das Ziel ist, den Geschäfts- und Marktzugang durch die gegenseitige Anerkennung der Regulierungssysteme in unseren Ländern zu erleichtern. Basis dafür soll ein hohes Vertrauen in die Regulationsbehörden sein, nicht zusätzliche Vorschriften. Das Finanzdienstleistungsabkommen, das wir anstreben, ist einzigartig auf der Welt. Es soll ein Abkommen sein, dass vielleicht dereinst auf andere Märkte wie Singapur oder New York ausgeweitet werden kann. Die Verhandlungen laufen. Im Dezember wird darum Bundesrat Ueli Maurer in London erwartet, um eine Zwischenbilanz zu ziehen. Bis zum Abschluss der Verhandlungen wird es aber noch etwas dauern.
Monate oder Jahre?
Ich hoffe, dass es Monate werden.
«Es wird immer wieder gesagt, dass wir ein fremdenfeindliches Einwanderungsregime hätten. Das Gegenteil ist der Fall.»
Die Schweiz und Grossbritannien haben einige der besten Universitäten in Europa. Ist es nicht absurd, dass die EU zwar die Türkei bei ihrem Forschungsprogramm Horizon mitmachen lässt, aber nicht länger die Schweiz und Grossbritannien?
Es ist sowohl für Grossbritannien wie auch für die Schweiz sinnvoll, bei Horizon mitzumachen. Wir haben in unserem Handelsabkommen mit der EU vereinbart, dass Grossbritannien bei Horizon weiter dabei ist. Die EU hat sich rechtlich dazu verpflichtet, und im Gegenzug haben wir uns bereit erklärt, erhebliche finanzielle Beiträge zu leisten. Wir hoffen, dass die EU nun den entsprechenden Schritt unternehmen wird. Unsere Position ist klar: Wir sind bereit, uns zu beteiligen, und glauben, dass dies ganz Europa zugutekommen wird.
Kann die Wissenschaftskooperation zwischen der Schweiz und Grossbritannien noch ausgebaut werden?
Die Kooperation zwischen der Schweiz und Grossbritannien ist bereits stark. Ebenfalls am nächsten Montag organisiert das University College in London ein Treffen von Schweizer und britischen Hochschulen. Dabei wird über eine engere Zusammenarbeit gesprochen.
Worum geht es bei diesem Treffen?
Wir sind sehr interessiert am Austausch von Studierenden. Wir haben jetzt ein neues Migrationssystem. Es wird immer wieder gesagt, dass wir ein fremdenfeindliches Einwanderungsregime hätten. Das Gegenteil ist der Fall: Es ist unwahrscheinlich offen für Talente aus der ganzen Welt. Wenn Studierende zum Beispiel ein Angebot einer britischen Universität haben und ihren Lebensunterhalt selber bestreiten können, können sie sich bei uns bewerben – egal, aus welchem Land der Welt. Nach dem Bachelorabschluss erhalten sie eine Arbeitserlaubnis für zwei Jahre, nach dem Doktorat für drei Jahre. Es ist auch möglich, den Visastatus in eine Arbeitserlaubnis umzuwandeln, wenn man nach dem Studium erfolgreich einen Job findet. Unsere Absicht ist es, Talente in unser Land zu holen.
Sie machen keinen Unterschied mehr zwischen europäischen Ländern und anderen Nationen?
Nein, der freie Personenverkehr gilt nicht mehr. Aber die Zulassung von Talenten in Grossbritannien ist unser Ziel.
«Ein Beitritt Grossbritanniens zur Efta ist kein Thema mehr.»
Bevor Sie in die Schweiz kamen, waren Sie Botschafterin in Norwegen, das wie Ihr Land und die Schweiz gegenüber der EU auf Distanz bleibt. Haben die drei Länder etwas gemeinsam?
Sicherlich haben diese drei Länder eine starke Tradition der Unabhängigkeit und des souveränen Entscheidens. Gleichzeitig sind sie sehr pragmatisch und offen. Denken Sie aber auch an die zwei anderen Länder im EWR, Island und Liechtenstein. Ich bin in meiner Funktion auch britische Botschafterin für Liechtenstein. Erst kürzlich haben wir mit dem EWR ein Handelsabkommen abgeschlossen, das auch Dienstleistungen und Investitionen umfasst.
Dann hat Liechtenstein im Moment den besseren Marktzugang in Grossbritannien als die Schweiz?
Das Ziel Grossbritanniens vor dem EU-Austritt war es, Kontinuität mit unseren wichtigsten Handelspartnern zu erreichen. Das haben wir sowohl mit der Schweiz als auch mit Liechtenstein getan. Da die Schweiz keine umfassenden Dienstleistungsabkommen mit der EU hat, können wir in diesen Bereichen viel mehr tun – ebenso wie in Fragen der Digitalisierung, der Nachhaltigkeit und der Daten, wie wir es im Freihandelsabkommen mit den drei EWR-Staaten getan haben.
Die Schweiz ist ja nicht im EWR, aber in der Efta. Nach dem Brexit dachte Grossbritannien über einen Beitritt zur Efta nach. Ist das noch ein Thema?
Nein. Wir kamen zum Schluss, dass es nicht nötig ist, da wir mit allen Efta-Ländern sehr gute Beziehung haben. Aber wir vertiefen unsere derzeitigen Beziehungen zu diesen Ländern, zum Beispiel mit Blick auf ein neues, modernes Handelsabkommen mit der Schweiz, das ebenfalls Dienstleistungen, Investitionen und Umweltbelange enthält.
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