Verhandlungen Schweiz-EU«Fahrlässig, ärgerlich»: SP-Chef erzürnt über EU-Politik des Bundesrates
Die Schweiz habe sich bei neuen Verhandlungen zu einem Rahmenabkommen von der EU die Agenda diktieren lassen, meint SP-Co-Chef Cédric Wermuth. Auch andere Aussenpolitiker sind unzufrieden.
Aussenminister Ignazio Cassis sei diese Woche mit leeren Händen nach Brüssel gefahren und habe damit der EU die Initiative überlassen. «Wenn der Bundesrat nicht in der Lage ist, einen positiven Vorschlag zu machen, dann ist die EU in einer Position den Fahrplan zu bestimmen», sagte Cédric Wermuth, Co-Präsident der SP, dieser Zeitung. «Das ist fahrlässig, ärgerlich und unverständlich. Man kann so nicht Aussenpolitik machen.»
Unter anderem fordert die EU von der Schweiz bis Januar einen Zeitplan für Neuverhandlungen über ein institutionelles Rahmenabkommen. «Wir brauchen einen neuen Impuls, einen Schnellstart», sagte Maros Sefcovic, Vizepräsident der EU-Kommission und zuständig für die Schweiz, im Interview mit dieser Zeitung. «Das Ergebnis sollte sein, dass wir in Davos eine Roadmap dafür haben, wie wir die Schlüsselfragen in unserer Beziehung lösen können.» Davos: Gemeint ist das World Economic Forum (WEF), das im Januar 2022 wieder in den Bündner Bergen stattfinden soll. In knapp zwei Monaten wollen die EU-Kommission und der Bundesrat sich dort das nächste Mal beraten.
«Sefcovic hat die Chance gepackt und den Tarif durchgegeben», sagte Wermuth. «Die Schweiz hätte es in der Hand, die Weichen jetzt richtig zu stellen.» Der Vorschlag zur Deblockierung müsse aber aus der Schweiz kommen. Eine Möglichkeit wäre, dass die Schweiz ihre Kohäsionsbeiträge an die EU freiwillig erhöhen und von sich aus regelmässig zahlen könnte. «Die Schweiz muss gegenüber der EU jetzt in Vorleistung gehen. Das gäbe im Gegenzug Spielraum für verschiedene Varianten. Neue Verhandlungen zu einem Paket oder zu einzelnen Sektoren.» Stattdessen sei der Bundesrat als Gremium «seiner Verantwortung in den letzten sechs Monaten nicht gerecht geworden».
«Es braucht viel Zeit und Geduld»
Die Kritik an den neuen Vorgaben aus Brüssel teilt auch SVP-Nationalrat Franz Grüter, Mitglied der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrates. Der «aufoktroyierte Zeitplan» sei «völlig unrealistisch» und zeige, dass «die EU und Herr Sefcovic die direktdemokratischen Prozesse in unserem Land nicht oder nur schlecht kennen», findet Grüter. «Ich glaube, dass es viel Zeit und Geduld braucht, um mit der EU einen Schritt vorwärtszukommen. Diese Zeit und Geduld sollten wir uns aber nehmen.»
Das Verzögern sei genau die Strategie «der Bundesratsparteien», meint hingegen Sibel Arslan, Nationalrätin der Grünen. «Sie wollen das Thema bis mindestens nach den Wahlen 2023 unter den Teppich kehren – aus Angst vor einer Zerreissprobe.» Die Grünen würden Druck machen, damit der Bundesrat sich der Diskussion nicht entziehen könne. Dazu gehöre auch eine für 2022 geplante Volksinitiative für eine Annäherung der Schweiz an die EU.
Mitte-Nationalrätin Elisabeth Schneider-Schneiter hingegen hat Verständnis für den Zeitdruck. «Der Bundesrat muss alles daran setzen, bis im Januar Möglichkeiten vorzuschlagen, auf denen Verhandlungen über die offenen Fragen aufgebaut werden können», sagt sie. «Man muss kein Europafreund sein, um zu verstehen, dass das Abwarten bis zu den Wahlen 2023 in vielen Bereichen massiven Schaden verursachen wird.»
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