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Szenarien von Sanktionen 
Wie reagieren, wenn China Taiwan wirklich angreift?

Dieses Foto zeigt der US-Marine zufolge eine Beinahe-Kollision in der Strasse von Taiwan Anfang Juni: Ein chinesischer Zerstörer schneidet dem amerikanischen Kriegsschiff USS Chung-Hoon den Weg ab. 
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Auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat der Westen mit starken Sanktionen reagiert. Und was passiert im Fall einer chinesischen Aggression gegen Taiwan? Seit Monaten diskutieren Politiker weltweit die Wahrscheinlichkeit eines Angriffs Chinas auf Taiwan und darüber, wie man einen solchen verhindern oder ihm im Ernstfall begegnen sollte. Und wieder ist viel von möglichen Sanktionen die Rede.

«Seit den Russlandsanktionen ist ein Spielplan auf dem Tisch», sagt Charlie Vest von der US-Denkfabrik Rhodium Group. Gleichzeitig kursierten «viele konfuse Vorstellungen» darüber, welche dieser Sanktionen sich wie und mit welchem Effekt einsetzen liessen, um China vor einem Angriff auf Taiwan abzuschrecken. Gemeinsam mit dem Atlantic Council stellt Rhodium nun heute die erste grössere Studie vor, die versucht, verschiedene Sanktionsszenarien durchzurechnen.

Eines ist klar: China ist ein völlig anderes Kaliber als Russland. Das Land ist grösste Handelsnation und zweitgrösste Wirtschaftsmacht der Welt. Chinas Wirtschaft ist zehnmal so gross wie die russische und weit wichtiger für die globalen Lieferketten. Die Verwerfungen für die Weltwirtschaft im Fall harter Sanktionen wären gewaltig. Allein wenn der Westen die vier grössten Banken Chinas ins Visier nähme, so die Studie, könnten Handels- und Investitionsströme in Höhe von etwa drei Billionen Dollar gefährdet sein.

Empfehlung: Sanktionen bereits vor dem Angriff

Weil Taiwan sich im Fall eines chinesischen Angriffs ohne ein direktes militärisches Eingreifen der Vereinigten Staaten wohl nicht lange halten könnte, jedenfalls nicht lange genug, damit Sanktionen eine nennenswerte Wirkung auf China entfalten könnten, empfiehlt die Studie deren möglichen Einsatz zum Zweck der Abschreckung schon vorher: nämlich dann, wenn China zu Zwangsmassnahmen unterhalb der Ebene einer Invasion greift. Wenn Chinas Armee die Insel einkreist etwa, wenn sie den Schiffs- oder den Flugverkehr behindert oder wenn es zu massiven Cyberattacken auf Taiwan kommt.

Ähnlich wie im Fall Russlands hält der Besteckkasten drei Typen von Sanktionen bereit: gegen den Finanzsektor, gegen Individuen im Dunstkreis von Partei- und Armeeführung und gegen Industrieunternehmen, die im weitesten Sinn zu Verteidigung und Rüstung beitragen. Das Problem ist, dass sich die Wirkung mancher dieser Sanktionen im vorwiegend Symbolischen erschöpft (wie im Fall von Reichen und Mächtigen, die auf schwarzen Listen landen) – und dass andere, wo sie China empfindlich treffen, zur gleichen Zeit gewaltige Kosten für den Westen und die Weltwirtschaft verursachen.

«Es ist unwahrscheinlich, dass sich die G-7-Führer auf Sanktionen dieser Grössenordnung einigen können.»

Studie «Sanctioning China in a Taiwan Crisis: Scenarios and Risks»

Ein Embargo der G-7-Länder gegen die chinesische Chemie-, Metall-, Elektronik- oder Logistikindustrie etwa brächte China zwar in grosse Schwierigkeiten und 15 Millionen chinesische Jobs in Gefahr – gleichzeitig käme es aber auch zu Verwerfungen weltweit. Möglicherweise stünden globale Handelsströme in Höhe von 378 Milliarden US-Dollar auf dem Spiel. «Es ist unwahrscheinlich, dass sich die G-7-Führer auf Sanktionen dieser Grössenordnung einigen können», heisst es in der Studie. 

Am praktikabelsten wären wohl gezielte Sanktionen in Feldern, in denen eine asymmetrische Abhängigkeit Chinas von der Aussenwelt besteht. Da ist der Kollateralschaden dann nicht ganz so gross. Die Studie spielt das am Beispiel von Chinas Luftfahrtunternehmen durch, aber auch da würden westliche Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen.

Abschreckung ist möglich, wenn alle die gleiche Botschaft senden

Die Autoren sehen den Ball nun im Feld der Regierungen der G-7-Länder. Diese müssten erstens die roten Linien definieren, deren Überschreiten durch China Sanktionen zur Folge hätte. Sodann sei eine baldige Koordination untereinander und mit Taiwan notwendig – auch was die Botschaften angeht, die die Länder des Westens an China übermitteln. Teilweise werden diese Signale der Abschreckung schon gesendet. Gleichzeitig gibt es immer noch politische Führer wie etwa zuletzt Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, die ebendiese Botschaften wieder konterkarieren. Macron hatte im April gesagt, eine Taiwan-Krise sei «nicht die unsere». (Lesen Sie hier unsere Analyse zu Macrons Aussage.)

«Es ist dringend notwendig, zumindest einmal die Abschreckungsinstrumente zu schärfen.»

Charlie Vest, Mitautor der Studie

«Diese Diskussionen haben begonnen», sagt Charlie Vest, der einer der Autoren der Studie ist, «aber wir sind noch im ganz frühen Stadium.» Die Studie warnt zudem davor, sich auf Wirtschaftssanktionen allein zu verlassen: «Abschreckung allein durch Wirtschaftspolitik funktioniert nicht», schreiben die Autoren. Sie müsse begleitet werden durch diplomatische und militärische Instrumente.

Allzu viel Zeit solle sich die Politik nicht lassen, mahnt Vest. Im Moment kursierende Prophezeiungen für mögliche Daten zur Invasion Taiwans halte er für unseriös und übertrieben, sagt er, aber die nächste Krise sei möglicherweise nicht mehr weit weg. Taiwans Präsidentschaftswahl im Januar 2024 etwa könnte je nach Wahlausgang zu einem erneuten Brennpunkt werden: «Ich denke deshalb, dass es dringend notwendig ist, zumindest einmal die Abschreckungsinstrumente zu schärfen.»