Smartphone und Neuroplastizität Wie Mobiltelefone unsere Gehirne verändert haben
Je intensiver wir unser Handy benutzen, desto mehr neuronale Verbindungen legen wir in unserem Gehirn an. Das hat nicht nur negative Auswirkungen, wie eine neue Studie aufzeigt.
Das Handy ist für viele nicht mehr aus ihrem Alltag wegzudenken: Bis zu zwei Tage pro Woche verbringen junge Erwachsene unter dreissig in der Schweiz am Mobiltelefon, wie eine im Auftrag von Tamedia verfasste Studie im Mai aufgezeigt hat. Der exzessive Handygebrauch hat nicht nur die Art und Weise verändert, wie wir miteinander kommunizieren und auf Wissen zugreifen, sondern auch wie unsere Hirne strukturiert sind.
Je mehr wir unsere Smartphones verwenden, desto mehr neuronale Verbindungen werden in unserem Gehirn zur Handynutzung angelegt. Das entspricht der Logik, wie unser Hirn wiederholt ausgeübte Aktivitäten abspeichert und wieso wir nach langjähriger Erfahrung auf einem Gebiet etwas immer besser machen können. Diese Funktionsweise unseres Gehirns führt aber auch dazu, dass wir unser Telefon für jede beliebige Aufgabe in die Hand nehmen und wir den Drang verspüren, unser Telefon zu überprüfen, auch wenn wir dies gar nicht wirklich tun müssen.
Die Veränderungen, die der exzessive Gebrauch von Smartphones auf unser Hirn, unser Gedächtnis und unsere Aufmerksamkeit hat, sind indessen nicht nur negativ. Im Folgenden werden sowohl die positiven als auch abträglichen Effekte aufgezeigt.
Bessere Gedächtnisleistung dank digitalen Erinnerungshilfen
Eine Anfang dieses Jahres erschienene Studie von Wissenschaftlern des University College London legt dar, dass durch den Gebrauch von digitalen Erinnerungshilfen wie einem Smartphone die Gedächtnisleistung zumindest kurzfristig verbessert werden konnte. Den Teilnehmern der Untersuchung wurden nummerierte Kreise auf einem Bildschirm angezeigt, von denen sie sich merken mussten, welche sie nach links und welche sie nach rechts ziehen mussten. Die Anzahl der Kreise, die sie auf die richtige Seite ziehen konnten, bestimmte am Ende des Experiments ihren Lohn.
Bei der Hälfte der Tests durften sich die Teilnehmer auf dem Bildschirm notieren, welche Kreise in welche Richtung zu ziehen waren. Bei der anderen Hälfte mussten sie sich allein auf ihr Gedächtnis verlassen. Die Auswertung zeigte, dass jene Personen, die eine digitale Hilfe benutzen durften, nicht nur die abgespeicherte Information besser erinnerten, sondern auch jene Details wieder besser abrufen konnten, die sie sich nicht notiert hatten.
Der Hauptautor der Studie, Sam Gilbert, erklärte dazu gegenüber der Technologiezeitschrift «SciTechDaily»: «Die Verwendung eines externen Speichermediums führt keineswegs zu ‹digitaler Demenz›, sondern kann sogar unser Gedächtnis für Informationen verbessern, die wir nie notiert haben. Wir müssen jedoch darauf achten, dass wir die wichtigsten Informationen sichern. Andernfalls könnten bei einem Ausfall eines Speichertools nur Informationen von geringerer Bedeutung in unserem eigenen Gedächtnis zurückbleiben.»
Der Gebrauch eines Smartphones ändert daher auch die Art und Weise, wie wir unser Gedächtnis nutzen, um wichtige und weniger wichtige Informationen zu erinnern.
Die blosse Anwesenheit eines Handys führt zu «Braindrain»
Der Verbesserung der Gedächtnisleistung steht eine Vielzahl von negativen Auswirkungen von Mobiltelefonen auf unsere kognitiven Fähigkeiten gegenüber, die schon länger bekannt sind. So zeigt eine 2017 durchgeführte Untersuchung auf, dass die blosse Gegenwart eines Mobiltelefons zu schlechterer geistiger Leistungsfähigkeit führt: Vor Beginn einer Reihe von Tests zu Konzentrationsfähigkeit, Erinnerungsvermögen und Problemlösungskompetenz wurden die Teilnehmer nach dem Zufallsprinzip angewiesen, ihre Smartphones entweder mit dem Gesicht nach unten auf den Schreibtisch, in ihre Tasche oder in einen anderen Raum zu legen. Alle Teilnehmer wurden angewiesen, ihre Telefone auf lautlos zu stellen.
Die Wissenschaftler fanden heraus, dass die Teilnehmerinnen, die ihr Handy in einem anderen Raum aufbewahrten, deutlich besser abschnitten als die Probanden, die ihr Mobiltelefon auf dem Schreibtisch liegen hatten. Sie schnitten auch besser ab als jene Versuchspersonen, die ihr Telefon in einer Tasche aufbewahrten.
Professor Adrian Ward von der University of Texas, einer der Autoren der Studie, erklärte dazu gegenüber «Science Daily»: «Ihr bewusster Verstand denkt nicht über ihr Smartphone nach, aber dieser Prozess – der Vorgang, der von Ihnen verlangt, nicht über etwas nachzudenken – verbraucht einen Teil Ihrer begrenzten kognitiven Ressourcen. Das ist ein Braindrain. Die blosse Anwesenheit ihres Smartphones reicht daher aus, um ihre kognitiven Fähigkeiten zu reduzieren.»
Phantomvibrationen
Ein absurder Aspekt des exzessiven Smartphonegebrauchs zeigte zudem eine schon etwas ältere Untersuchung an rund 300 Studenten auf: 89 Prozent von ihnen gaben an, Vibrationen des Telefons wahrgenommen zu haben, die gar nicht stattgefunden hatten, bei denen es sich daher um Phantomvibrationen gehandelt hatte. Die genauen Ursachen dieser Phantomwahrnehmungen sind noch Gegenstand von Forschungen.
Wenn wir nun zu unserer anfänglichen Beobachtung zurückkehren, dass die intensive Handynutzung immer mehr neuronale Verknüpfungen zum Mobiltelefongebrauch in unserem Gehirn schafft, dann können wir uns auch antrainieren, nicht immer in jeder Situation zum Smartphone zu greifen. Auch diese Entsagung wird unser Hirn wieder neu strukturieren und zukünftigen Handyverzicht einfacher machen.
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