Best of Mamablog: Ärger an der KasseWie Migros und Coop Familien verachten
Von wegen familienfreundlich: Kinder scheinen für Migros und Coop vor allem Mittel zum Zweck zu sein. Das bekommen Eltern Einkauf für Einkauf zu spüren.
Unsere Mamabloggerinnen und Papablogger haben Sommerferien. Daher publizieren wir diese Woche Beiträge, die besonders viel zu reden gaben. Dieser Beitrag erschien erstmals am 30. November 2021.
Als ich vor ein paar Wochen las, in der Migros solle das Alkoholverkaufsverbot fallen, liess mich das zunächst ziemlich kalt. An den meisten Standorten verkauft die Migros-Tochter Denner sowieso bloss ein paar Meter nebenan Wein und Hochprozentiges, die Migrolino-Shops tun es ebenso. Und dass es Gottlieb Duttweiler einst anders wollte, ist das heute noch relevant?
Das waren in etwa meine Gedanken. Aber dann las ich das Porträt eines trockenen Alkoholikers. Ein Spiessrutenlauf werde das Einkaufen nun für ihn, sagte er. Tatsächlich, einkaufen ganz ohne Alkohol in Griffweite wird fast nirgends mehr möglich sein. Suchtkranke in der Schweiz sind gefährdet. Der Entscheid, wenn er denn stehen bleibt, hat unklare soziale Folgen. Die Absicht der Migros-Spitze hat mir etwas in Erinnerung gerufen, nämlich, worum es dem Detailhandel letztlich geht: So viel wie möglich zu verkaufen. Spätestens seit den Siebzigerjahren sind Supermärkte für dieses eine Ziel optimiert, die Läden ein Labyrinth für Labormäuse, die man mit allen möglichen Mitteln zu manipulieren versucht. Auch über die Kinder.
Da führt kein Weg an der Spielzeugabteilung vorbei …
Seit unser Grosser die Zwei überschritten hat, überlegen wir uns zweimal, ob wir ihn zum Einkaufen mitnehmen. Einmal quer durch Coop oder Migros zu fahren und einen Einkaufswagen zu füllen, ist zur Zumutung geworden. Es gibt schlicht keine konfliktfreie Route – und das ist Konzept. Eine der grösseren Filialen ist so gestaltet, dass man nicht aus dem Laden kommt, ohne die Spielzeugabteilung zu kreuzen. Und schafft man es zur Kasse, wartet dort die sogenannte Quengelware. Der Ausdruck stammt von den Supermarktstrategen selbst. Es sind vor allem Süssigkeiten, Dinge, die Kinder mit Vehemenz einfordern, bei denen aber auch Erwachsene rasch zugreifen. Wir alle kennen die Dramen, die sich an der Kasse abspielen, tobende Kinder mit einer Tüte Gummischlangen. Eltern, die einhändig versuchen, die Situation zu beruhigen. Geschrei, Gerangel, Stress vor aller Augen.
Viele Kunden würden es schätzen, an der Kasse noch ein Schoggistängeli mitzunehmen, sagen sie.
Letztes Jahr hat die nordkalifornische Stadt Berkley Quengelware per Gesetz aus Supermärkten verbannt, und damit ein internationales Echo gelöst. Auch in der Schweiz gab das an sich alte Thema ein politisches Comeback. Die Westschweizer Gesundheitspolitikerin Laurence Fehlmann-Rielle hat diesen Sommer einen Vorstoss für ein Verbot von Quengelware im Nationalrat eingereicht. Allerdings nicht, wie einst angekündigt, als Postulat, sondern lediglich in Form einer Interpellation. Es ist das erste Anzeichen, dass die Idee in der liberal geprägten Schweiz schlechte Chancen hat.
Der Detailhandel hat seine Argumente schon parat. Viele Kunden würden es schätzen, an der Kasse noch ein Schoggistängeli mitzunehmen, sagen sie. Und für Familien gebe es sogenannte Familienkassen – ohne Süssigkeiten, dafür mit Erlebnisfaktor, um den Kindern das Warten zu erleichtern. Sollte es eine breitere Debatte geben, wird man von den Auguren des freien Marktes noch ein anderes Argument hören, dass es gar nicht möglich ist, einen Laden so zu gestalten, dass man ihn mit einem kleinen Kind konfliktfrei besuchen kann.
Das mag zwar stimmen, verdeckt aber die Tatsache, dass der Verkauf in jeder Hinsicht ein Massengeschäft ist. Als die Luzerner Zeitung vor einem Jahr nachfragte, wie viele Familienkassen es denn gebe, wollten die Migros Genossenschaften Zürich und Aare keine Zahlen nennen. Coop hat Familienkassen in den Megastores, als solche gelten 35 von über 900 Filialen. Überall sonst gibt es eigentlich nur Kasse mit Süssigkeiten, obschon Erwachsene das spontane Schoggistängeli auch in einer einzelnen Kassengasse mitnehmen könnten. Aber eben, es geht im Verkauf darum, so viele Versuchungen und Konfliktpunkte wie möglich einzubauen.
Natürlich sind Migros und Coop mit ihrer Politik nicht allein. Zwar hat ausgerechnet der deutsche Discounter Lidl in jeder Filiale eine Kasse ohne Süssigkeiten, ob diese beim Besuch geöffnet ist, dürfte indes Glückssache sein – und Quengelware kann man auch sonst im Laden platzieren.
Was Migros und Coop auszeichnet, ist das Ausmass ihrer Heuchelei. Mit Famigros und Hello Family, mit Gesundheitsinitiativen und dergleichen geben sich die beiden alteingesessenen Schweizer Detailhändler familienfreundlich und erwecken den Anschein, ihren Platz in der Mitte der Gesellschaft mit Verantwortung wahrzunehmen. Gleichzeitig werden in den Läden weiterhin Kinder auf Kosten des Familienfriedens für den Verkauf instrumentalisiert. Jetzt beginnt die Adventszeit, der Zucker materialisiert sich farben- und formenprächtig in den Läden, Adventskalender und Spielzeug stehen in Hüfthöhe Spalier. Uns Eltern winken besinnliche Weihnachtsdramen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.