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Mamablog: Bandscheibenvorfall
Wenn die Mama ausfällt

Wer soll denn nun schauen, dass alles läuft? Wir dürfen und sollten unseren Kindern ruhig etwas mehr zutrauen.
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Urplötzlich war er da. Aus dem Nichts. Gerade noch dachte ich, was für ein schöner Spätsommertag heute doch sei, als mich ein jäher Schmerz in der Schulter aufjaulen liess und mich von null auf hundert in jene Bewegungslosigkeit katapultierte, welche die folgenden Wochen mein Leben bestimmen würde.

Die erste Station war ein MRI. Und als ich mich dafür in ein papierenes Nachthemd zwängte und mir im Spiegel ein schlecht zusammengeflickter Harlekin entgegenschaute, war es ausgerechnet der Song: «I’m too sexy – and I know it!», der durch meinen Kopf schwirrte und mir noch in der Röhre ein Lächeln aufs Gesicht zauberte. Dieses verging mir aber schnell, als mir im Anschluss ein Bandscheibenvorfall in mehreren Halswirbeln diagnostiziert wurde. «Sie werden für längere Zeit ausfallen. Die Heilung wird mindestens ein halbes Jahr dauern», sagte der Arzt.

«Ich darf andere doch nicht belasten!»

«So lange? Wie soll das denn bitte gehen? Die viele Arbeit im Büro! Die Kinder! Der Blog, der alle zwei Wochen abgegeben sein will, mein Roman, der eben erschienen ist …» Doch weiter konnte ich nicht denken, denn jeder Gedanke löste weitere Schmerzstösse aus. In der kommenden Zeit konnte ich also nur noch mumiengleich stillhalten oder mein hoch ambitioniertes Tagesziel – vom Bett zur Badewanne und wieder zurück – todesmutig in Angriff nehmen. Ich war allem beraubt worden, was sonst meine Tage ausfüllte. Hatte nichts mehr zu bieten. War nicht mal mehr sonderlich sympathisch, da der Schmerz nicht gerade meine besten Seiten zum Vorschein brachte.

Da war nur noch mein ureigener Kern und das Aufbegehren alter Glaubenssätze, die schrien: «Ich darf andere doch nicht belasten!» «Ich leiste, also bin ich!», «Ich muss schauen, dass alles läuft!» oder «Ich will unabhängig sein!» Doch selbst wenn ich der Tochter nur zurufen wollte, sie soll den Turnsack einpacken, schlug es mir in die Halswirbel und der Satz versandete in einem: «Vergiss-den-AUUUUUAAAAAAAA……!».

Keinem meiner alten Glaubenssätze konnte ich mehr Folge leisten. Und ich begann zu ahnen, dass sie Teil meines Problems sind. Denn jetzt, wo ich mich nicht mehr über mein Tun, über mein «Für-andere-da-sein» definieren konnte, lag nur noch die Frage brach, wer ich jenseits von alldem eigentlich bin? Es blieb mir nichts anderes übrig, als meinem Mann und den Bürogspändli alles zu übertragen, die Kinder ans Bett zu trommeln und mitzuteilen: «Hört zu, ich werde die nächste Zeit eure Unterstützung enorm brauchen und ich bin darauf angewiesen, dass ihr es macht, wenn ich euch um etwas bitte!»

Zu Grenzen stehen, bevor sie einen dazu zwingen

Nun ist zu sagen, dass bisher oft, wenn ich die Kinder um Mithilfe gebeten habe, erst mal maulende Einwände wie: «Ja, gleich, ich muss aber noch» und «Warum ich und nicht die Schwester, der Bruder?» ertönten. Mir schwante also Böses. Doch ich sollte mich täuschen. Die Kinder waren grossartig, halfen mir selbst ungefragt und ganz ohne nervige Diskussionen. Helfen machte für sie offensichtlich gerade richtig Sinn. Kinder leben normalerweise in unseren Breitengraden ja manchmal ein etwas künstliches Leben. Für die meisten gibt es nicht viel mehr als Spielplätze, Schule, Hobbys und allenfalls Ämtlis, die sie ins normale Leben einbinden. Doch etwas Fundamentales erleben viele Kinder nicht: für die Gesellschaft wichtig zu sein. Nützlich zu sein. Und gerade das waren meine Kinder in den vergangenen Wochen so sehr, dass ich zu behaupten wage, dass mein Totalausfall ihrer Entwicklung einen regelrechten Schub verliehen hat. Sie begannen sogar zu kochen.

Das soll nun weder eine Romantisierung von Kinderarbeit, noch ein Aufruf zur Herbeiführung eines Bandscheibenvorfalls sein. Ich bitte Sie, halten Sie sich zurück! Aber sehen Sie es als kleine Anregung, dass wir Erwachsenen mehr zu unseren Grenzen stehen sollten, bevor uns diese dazu zwingen. Dass wir unsere Kinder durchaus auch mal brauchen, ihnen etwas zumuten dürfen. Dass es für sie sogar wichtig ist, etwas zum System beizutragen. Denn leider ist es ja so, dass, wenn alles in «normalen», gewohnten Bahnen verläuft, Erwachsene und Kinder oft eine Art Parallelleben führen, in dem für Kinder die Notwendigkeit ihres Tuns oft nicht spürbar oder erkennbar wird – so sehr wir auch dafür plädieren. Doch wirksam werden unsere Reden eben erst dann, wenn wir von Herzen für unsere eigenen Bedürfnisse einstehen und selbst an deren Wichtigkeit glauben.

Noch bin ich nicht zurück in der Normalität. Und obwohl ich auch zuvor nicht der Typ «Superglucke» war, hat sich im Innern doch etwas sehr Persönliches geändert – und das ist das eigentliche Geschenk dieser Krankheit.

Hatten Sie auch schon solch ein Erlebnis, liebe Leserinnen und Leser? Oder können Sie sich vorstellen, wie Ihre Familie damit umgehen würde? Wir freuen uns, in der Kommentarspalte davon zu lesen.