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Meinung

Analyse zum US-Präsidenten
Wie konnte Biden nur so falschliegen?

Es türmen sich die Niederlagen: US-Präsident Joe Biden hat sich in der Natur des Parlaments getäuscht.
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Joe Biden trat seine Präsidentschaft auf den Stufen des Parlaments an, in dem er 36 Jahre lang als Senator die Unarten der Politik kennen gelernt hatte. Er übernahm das Amt wenige Tage nachdem das von ihm geliebte Capitol von einem Mob gestürmt worden war. Er versprach, die guten alten Zeiten des Gentleman-Politikers wieder aufleben zu lassen. Für all das wollte er mit seinem Senatoren-Ruf bürgen.

Wie konnte Biden nur so falschliegen? Der Präsident hat Unmengen politischen Kapitals für gewaltige Gesetzgebungsverfahren ausgegeben, aber der Ertrag ist frustrierend gering. Der Kongress verabschiedete ein Corona-Hilfsprogramm, ein Infrastrukturprogramm und ein Programm für Kinder, die unter der Armutsgrenze leben. Ausserdem liess sich Biden 40 Bundesrichter bestätigen – so viele wie nur Ronald Reagan vor ihm.

Aber: Hier endet die Erfolgsgeschichte. Auf der anderen Seite türmen sich die Niederlagen, die der Kongress Biden beigebracht hat – bis hin zu dem vom Demokraten-Senator Joe Manchin gefällten Mammutgesetz, mit dem Biden den Sozial- und Fürsorgestaat USA revolutionieren wollte. Am schlimmsten wirkt in dieser Kette der Unerfreulichkeiten, dass Biden stets gerupft und nie triumphal aus dem Gesetzgebungsprozess herauskommt. Zwar erhielt er im Sommer sein Infrastrukturprogramm, aber die Scharmützel mit dem linken Lager seiner Partei haben dem Gesetz jeden Glanz genommen. Genauso wird es dem grossen Sozial- und Wiederaufbaugesetz gehen, das nun in Scheibchen verabschiedet werden könnte.

Biden hat sich in der Natur des Parlaments getäuscht, indem er glaubte, dass die politische Klasse des Landes nach den bitteren Trump-Jahren zurückkehren würde zu Anstand und Kompromiss. Das war naiv, weil der Kongress schon vor Trump zum ideologischen Höllenort verkommen war, dessen Bewohner nur auf äussersten Druck reagieren. Seit Newt Gingrichs Haushaltsblockade 1995 ist der Giftpegel im Kongress nur gestiegen. Selbst der Trump-Mob vom 6. Januar hat keine Läuterung ausgelöst.

Über all der kleinteiligen Arbeit an Gesetzen hat Biden vergessen, dem Land eine Botschaft mitzugeben und für Begeisterung zu sorgen.

Bidens zweiter Fehler lag darin, dass er ausschliesslich auf die Kraft des Geldes vertraute, um seine Präsidentschaft zu festigen. Dollar für Dollar sollten die Wähler davon überzeugt werden, dass sie mit diesem Präsidenten besser fahren als mit seinem Vorgänger, der auch gern sein Nachfolger wäre. Da zeigt sich ebenfalls das alte Senatoren-Gen in Biden; er misst seine Erfolge an Geldgeschenken, die er in den heimatlichen Bundesstaat trägt.

Über all der kleinteiligen Arbeit an Gesetzen und Ausgabenprogrammen hat Biden vergessen, dem Land eine höhere Botschaft mitzugeben und für Begeisterung zu sorgen – der Präsident blieb Experte für Traubenlese im Wingert, wo sich die Wähler doch nur am Wein berauschen wollen. Den Rest erledigte dann die eigene Partei, die offenbar nicht verstehen will, dass auch ihre Zukunft vom Erfolg ihrer Parlamentsmehrheit abhängt.

Diese Mehrheit wird wohl in einem Jahr verloren gehen. Dann beginnt die Mühsal der Ebene. Ein Schuss bleibt Biden noch. Seine Demokraten könnten den Filibuster abschaffen, die Sperrminorität, die Gesetzesvorhaben lähmt und faktisch zu einer 60-Prozent-Zustimmung zwingt. Das wäre ein mutiger Schritt zur Wiederbelebung des Parlamentarismus – freilich mit dem Risiko, dass die Demokraten in der Opposition noch weniger Freude hätten als jetzt.